Für Sie degustiert: Helvetien
Ab an die Vinea nach Sierre!

Heute öffnet die Vinea in Sierre ihre Pforten. Eine der beiden grossen Werkschauen des Schweizer Weins. Zeit für eine Bestandsaufnahme helvetischen Schaffens. Die fällt sehr positiv aus. Made in CH wird immer besser!
Publiziert: 02.09.2016 um 06:51 Uhr
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Aktualisiert: 21.09.2021 um 19:31 Uhr
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Sierre steht für zwei Tage ganz im Zeichen der Vinea, des grössten Freiluft-Degustationsanlasses der Schweiz.
Foto: Alain Kunz
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Alain KunzWein-Kolumnist

280 Millionen Liter Wein trinken Herr und Frau Schweizer jährlich. Über ein Drittel davon kommt aus einheimischen Reblagen, womit die Schweiz vor Italien unangefochten die Nummer eins ist. Und: Wir lassen niemand anders an unseren Wein! Denn über 98 Prozent trinken wir selber.

Der Export spielt überhaupt keine Rolle. Und wissen Sie was? Wir haben Recht! Denn die Qualität des Schweizer Weins steigt von Jahr zu Jahr.

Mémoire-Chef Andreas Keller (l.) und die Vinea-Macher Elisabeth Pasquier und François Murisier.
Foto: Alain Kunz

Am Montag fand – zum letzten Mal im Zürcher Kongresshaus, das von 2017 bis 2020 umgebaut wird – das Swiss Wine Grand Tasting statt, das grosse Stelldichein des Schweizer Weins, das unter dem Label Mémoire & Friends 160 (!) Aussteller vereinte. DIE Gelegenheit, sich ein Bild vom aktuellen Weinschaffen zu machen. Kommen Sie mit auf eine kleine Schweizer Weinreise, die durch den Besuch bei einem Walliser Erfolgs-Winzer komplettiert wird.

Ticino: Zanini, Gialdi, Balin

Winzerlegende Feliciano Gialdi (links) und sein Nachfolger Fredi De Martin: Ein Herz und eine Seele. Das macht stark.
Foto: Alain Kunz

Sehr überzeugend fällt der Jahrgang 2014 des Sassi Grossi von Feliciano Gialdi und Alfred de Martin (Foto) aus. Die Nase ist dunkel und mächtig, die Frucht reif, im Gaumen ist er feingliedrig, mit kerniger Säure, das Finish ist lang und herbal. Dafür gibts 17,5 Punkte. Preis: 48 Franken. 17,5 gibts auch für den fantastischen Sottosopra 2013, einen nach klassischer Methode hergestellten Brut-Schaumwein aus Pinot Noir. Der ist ganz toll und kostet 35 Franken.

Höhepunkt der Tessin-Stippvisite war der Balin 2014 (Foto) der fabelhaften Cantina Kopp von der Crone Visini. Eine tolle komplexe Nase, deutlich weniger vom Holz getragen als im Vorjahr, Chriesi schwirren umher, auch kräuterige Aromen, im Gaumen ist er filigran, hoch präzis, mundfüllend, er hat Power und eine tolle Länge. Mmh! Dafür gibts 18,5 Punkte. Tages-Höchstwert! (CHF 47.—).

Bei den Vinattieri Ticinesi – am Mémoire ist jeweils auch Luigi Zanini persönlich zugegen – gefielen uns der Ligornetto 2013 (17,5, CHF 45.--) und der Vinattieri 2013 sehr gut. Okay, die 18 Punkte haben ihren Preis, kostet das Flaggschiff doch 139 Franken. Eine komplexe Nase mit Zedernholznoten und viel Frucht bildet den Ersteindruck, im Gaumen bleibt er elegant, die Tannine sind präsent, der Wein ist frisch, mundfüllend und lang. Oft werden für den Vinattieri ein Teil der Trauben (wie beim Amarone) angetrocknet. 2013 nicht. Das tut dem Wein gut!

Waadt: Monachon und Sarraux-Dessous

Verlassen wir das Tessin und gehen in die Waadt. Das sensationelle Weinjahr 2015 hat speziell beim Chasselas ihre Spuren hinterlassen. Die in der Schweiz am meisten angebaute Traube, die in anderen Ländern «nur» als Tafeltraube verzehrt wird, ist von Haus aus eher profan. Doch was unsere Winzer mittlerweile aus dem Chasselas herausbringen, ist schlicht erstaunlich. Wir trinken wieder Chasselas, und das mit Freude. Wir rümpfen nicht mehr die Nase, wenn es irgendwo zum Apéro «nur» einen La Côte oder Féchy gibt.

Hier ein paar solcher Top-Beispiele:

Domaine de Sarraux-Dessous 2015, Luins VD (Foto): Wunderschön-dichte Nase von Flieder, Ananas, Pfirsich, Melone, Stachelbeere, im Gaumen Schmelz, Tee, Rhabarber, erdig-mineralisch, sehr konzentriert, leichte Säure, Bittermandel-Finish, vegetal, mittellang. Score: 17/20 (CHF 15.--).

St-Saphorin Les Plantaz 2015, Domaine Monachon, Rivaz VD: Erstaunlich fruchtige Nase, nicht nur Pfirsich und Aprikose, auch ein Hauch Erdbeeren, Rosen- und Lindenblüten, Schwarztee, Schmelz, Power, schöne Länge. Ein schlicht fantastischer Chasselas. Score: 17,5/20 (CHF 16.50).

Château Maison Blanche 2015, Yvorne VD: Marzipan-Nase, Würze, im Gaumen Fülle, Power, dezente Säure, durchaus edler, prickelnder, frischer  und ausgewogener Chasselas. Score: 16,5/20 (CHF 23.--).

Und noch ein Walliser «Pirat», um zu zeigen, dass auch die Fendant 2015 teils meisterhaft ausgefallen sind. Dieser hier ist übrigens einer der sechs Finalisten am GP du Vin Suisse in der Sparte Chasselas: Fendant La Guerité 2015, Maurice Gay, Chamoson VS: Schöne Pfirsichnase, etwas Stachelbeeren, Teenoten, im Gaumen Schmelz, kaum merkbare Säure, Volumen, Salzigkeit, rechte Typizität, Fruchtsüsse gegen Ende, ziemich lang. Score: 16,5/20 (CHF 11.80).

Weiter degustiert:

Domaine de Valmont 2015, Morges VD: Score 16/20 (CHF 9.35 bei Denner)

Domaine du Martheray 2015, Féchy VD: Score 15,5/20 (CHF 10.80 statt 13.50 bei Coop)

Wallis: Amigne-Künstler Fontannaz

Höchste Zeit den Vinea-Gastgeberkanton zu beehren, das Wallis. Hier sind wir bei einem Winzer direkt vorbeigegangen. Nämlich in der Cave La Madeleine von André Fontannaz in Vétroz. Ein junger Familienbetrieb, dessen erster Wein auf das Jahr 1991 zurückgeht. Drei Jahre später bezieht André seinen eigenen Keller. «Danach haben wir alles nach und nach ein bisschen vergrössert», sagt Gattin Sandra , die sich vornehmlich um die Administration kümmert.

Lehrling Cédric Posse ist stolz auf die drei Betoneier seines Brötchengebers André Fontannaz.
Foto: Alain Kunz

Der Keller mag jung sein, Quereinsteiger sind die Fontannaz’ nicht. Schon der Herr Papa war zuständig für die Weine einer Genossenschaft. Und Reben im Familienbesitz gabs auch schon. Was mit der Lancierung des eigenen Weines neu hinzukam, war die Pacht weiterer Reben. Total füllt der Familienbetrieb 110 000 Flaschen jährlich ab. Am meisten Pinot Noir, Fendant und Gamay. Liebkind ist aber – wie könnte es in Vétroz, der Kapitale der Traube anders sein? – Amigne. «Ist ja klar», sagt Sandra, «wenn schon drei Viertel der Weltproduktion im Wallis ist.» Und in der Tat: Der trockene Amigne der Kellerei ist einer der drei Stars. Und hier sind sie, die drei Topweine:

Amigne de Vétroz 2015, une abbeille (also eher trocken, das heisst mit 0 bis 8 Gramm Restzucker, teilweise in Amphoren vergoren): Mandarine in der Nase, im Gaumen feingliedrig, Frucht, aber auch Mineralität, Frische, dezente Säure, einnehmendes, recht langes Finale, in Agrumen- und Bittermandel-Noten endend. Score: 17/20 (CHF 25.--).

Humagne Rouge Nid d’Aigle 2014 (Barrique, 1/3 neues Holz): Zedernholz-Aromen in der Nase, Espresso, im Gaumen Würze, reife Tannine, dann dominieren Fruchtaromen, weshalb Hoffnung besteht, dass die Holzaromen sich integrieren werden, Bittermandeln, recht langes Finish. Die Punktzahl wird er in einem Jahr erreicht haben. Fakt ist: Dies ist einer der schönsten Vertreter von Humagne Rouge. Einer Lieblingstraube der Walliser, welche die Winzer nach wie vor noch nicht vollumfänglich im Griff haben. Score: 17/20 (CHF 30.50).

Syrah 2014 (Barrique, ein Drittel Neuholz): Leichte Edelholz-Noten, Kaffee, dahinter schimmert die Frucht durch, im Gaumen Fruchtsüsse, Power, bleibt aber filigran-kräuterig, schmelzige Tannine, Parfüm, sehr frisch, gute Länge. Score: 17,5/20 (CHF 29.50).

Weiter empfehlenswert:

Amigne flétrie sur souche Barrique 2012 (Süsswein): Score 17,5/20 (CHF 36.-- für 50 cl)

Amigne de Vétroz Grand Cru 2015, 2 abbeilles (in diesem Fall: 9 Gramm Restzucker): Score 16,5/20 (CHF 23.50)

Cornalin 2015: Score 16,5/20 (CHF 20.—in der 50-cl-Flasche)

Magdalena 2014 (Assemblage aus 70% Merlot, dazu Cabernet Sauvignon und Franc): Score 16,5/20 (CHF 29.50)

(Alle Weine gibt’s bei www.fontannaz.ch)


ZWEI WALLISER SUPERTIPPS ZUM SCHLUSS

Im wahrsten Sinn des Wortes ein Trio infernale, die drei Macher von Histoire d'Enfer.
Foto: ZVG

Zuerst begeben wir uns in die Hölle! Zur Histoire d’Enfer, dem jungen Weingut aus Corin ob Sierre, das in der Tat höllisch gute Weine macht. Wir haben sechs davon degustiert. Keiner war unter 16/20 Punkten. Und der Païen 2014 erhielt gar 17,5 Punkte! Ein Wein mit viel Fruchtaromen zum Beispiel von Pfirsich in der wunderbaren Nase, Power und Schmelz im Gaumen, stützende Säure, leichte Vegetalität, tolle Länge. Ein Super-Heida, der allerdings seinen Preis hat: Er kostet 38 Franken.

Der zweite ultimative Tipp kostet mehr. Das Gute: Nur einen Franken. Und er ist jeden Rappen wert. Kein Wunder wurde der weisse Ambassadeur des Domaines von Diego Mathier 2014 aus Salgesch an den Decanter World Wine Awards unter 16 000 Weinen zum besten Weissen in der Kategorie über 15 Pfund erkoren. Er erhielt von der Jury (in der nicht weniger als 69 Master of Wine Einsitz haben!) mit «Platin Best in Show» ausgezeichnet. Lassen wir die Juroren sprechen. Hier ihre Degu-Notiz: «Faszinierende Aromen von Zitrus, nassem Heu, Quitte und Orangenzeste. Reich, crèmig, voller zerlassener Butter, Zimt, Schokoladenbohnen und Mais. Im Gaumen klare, reinigende Säure und Struktur, mit ausbalanciertem Einsatz von Holz und pikantem Nachhall.» Wir sagen: Wow! Für Die Beschreibung – und den Wein. Bei Decanter gabs 95/100 Punkte. Bei uns 18/20 Punkte.

PS. Sechs weitere Kellereien haben an den Decanter Awards mit Platin oder Gold brilliert. Hier sind sie, auch wenn wir die Weine (noch) nicht degustiert haben:

  • Tamborini Vini, Lamone TI: 95 Punkte und Platin für den Merlot Comano Riserva 2013
  • Gregor Kuonen, Caveau de Salquenen VS: 96 Punkte und Platin für den Süsswein Vieux Salquenen Petite Fugue 2013 aus Pinot Gris und Marsanne
  • Vins des Chevaliers, Salgesch VS: 95 Punkte und Gold für den Petite Arvine Patrimoine 2015
  • Cave St-Pierre, Chamoson VS: 95 Punkte und Gold für den Syrah Réserve des Administrateurs 2014
  • Weingut zur alten Post, Georg Schlegel, Jenins GR: 96 Punkte und Gold für den Chardonnay Barrique 2013
  • Provins, Sion VS: 96 Punkte und Gold für den Süsswein Domaine Tourbillon Ermitage Grains Nobles 2011 und 2012 (aus der Marsanne-Traube gewonnen)


Ab nach Sierre!

Und nun heisst es: Reise planen! Den heute öffnet der Salon des Vins Suisses Vinea seine Pforten. 73 Aussteller präsentieren in der grössten Schweizer Freiluft-Ausstellung ihre Weine. Dazu kommen 80 Produzenten gruppiert in Vereinigungen aus dem Waadtland, Schaffhausen, dem Tessin und dem Wallis, natürlich. Die Highlights: Degustation von prämierten Pinots, Merlots und Chasselas’, die Afterparty und eine Einführung in die Degustation für 10- bis 25-Jährigen am Samstag um 11 Uhr. Die Ausstellung ist geöffnet am Freitag, 2. September von 15 bis 20 Uhr und am Samstag, 3. September von 11 bis 19 Uhr. Der Eintritt kostet pro Tag 30 Franken, wobei das das Degustationsglas und der Zutritt zur Afterparty bis 23 Uhr inbegriffen sind. Die Party alleine kostet 10 Franken. Die Vinea schlägt ihre Zelte rund um das Hotel de Ville beim Bahnhof auf. (www.vinea.ch)

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