Nein, kennengelernt habe ich ihn nie. Es hat sich einfach nicht ergeben. Unzählige Male fuhren wir an der gigantischen Cantina vorbei, als wir auf dem Weg von Barolo nach Monforte d’Alba waren. Erst war es jahrelang eine Riesen-Baustelle. Und seit 2011 ein Monument piemontesischer Architekturkunst, der neue Keller von Clerico. Und da fragte ich mich jedes Mal: Wie ist wohl der Mensch, der hier lebt, arbeitet? Der Mensch, ja. Die Weine hingegen waren ja schon längst hinlänglich bekannt.
Als es endlich passt mit einem Besuchsdatum, muss sich der Hausherr kurzfristig entschuldigen. «Er ist in den USA», sagt Giorgia Zucca, seine engste Mitarbeiterin. Schade, denke ich. Aber so ist es nun mal. Vielleicht hat seine Absenz auch ganz andere Gründe. Denn Domenico hatte seit längerem Krebs. Eine Gehirntumor-OP hatte ihn indes nicht daran gehindert, die Pläne für seine Zehn-Millionen-Euro-Cantina in die Tat umzusetzen. Wenn er da war, bewohnte er ein einfaches Zimmer. Dabei wären ein Haus samt Pool für ihn zur Verfügung gestanden. «Weder das Haus noch den Pool hat er jemals benutzt», sagt Giorgio. «Und er wird sie auch nie benutzen, denke ich», fügt sie hinzu. Sie hatte Recht.
Clerico war einer der famosen Barolo Boys. Jener Gruppe von Modernisten, die Barolo in Barriques auszubauen begannen. Ein Sakrileg sondergleichen im traditionsverfangenen Piemont. Doch Clerico, Elio Altare, Giorgio Rivetti von La Spinetta und Co. hatten andere Ideen als ihre Väter. Sie brachten den Barolo in die Belletage des Weins. In Barbaresco war es Einzelkämpfer Angelo Gaja. In Barolo ein Gruppetto von Verrückten. Die Pioniertaten der Barolo Boys wurden in einem gleichnamigen Film gewürdigt.
Es war nicht das erste Mal, das Domenico für durchgeknallt erklärt worden war. Als er 1970 begann, den Wein mit eigenen Etiketten auf den Wein zu bringen und nicht die Trauben an die Genossenschaften abzuliefern wie sein Vater, sagte dieser kurzerhand: «Sohn, Du bis verrückt geworden!»
Zum Weingut. Es umfasst 21 Hektaren. 110 000 Flaschen werden jährlich produziert. «Wir könnten hier locker eine Million machen», sagt Giorgia. Doch das wolle man nicht. Keinesfalls. Ein Wein wie der Percristina wird zudem gelagert, bevor er auf den Markt kommt. Zehn Jahre - in der Regel. «Einzig beim 2007er haben wir bereits 2014 mit dem Verkauf begonnen, weil er früher reif war.»
2011 wird nicht nur die neue Cantina eröffnet. Sondern auch erstmals ein Basis-Barolo auf den Markt gebracht. Zuvor gab es einzig Lagenweine. «Doch wir wollten da noch mehr selektionieren», erläutert Giorgia. «Mittlerweile machen wir 25 000 bis 30 000 Flaschen des Basis-Barolo.» Eine Erfolgsgeschichte. Und der Wein schlummert nicht in Barriques, sondern in 50-Hektoliter-Tonneaux. Wie anno dazumal. Wie vor den wilden Achtziger-Jahren, als die Barolo Boys alles aufmischten.
Ohnehin gehe der Trend mittlerweile wieder dahin, den Holzeinsatz zu reduzieren. Weniger Neuholz, ungetoastete Barriques, Tonneaux. Das ist der neue Trend. «Wir wollen schliesslich blitzsaubere Weine», sagt Giorgia.
Solche hat Domenico gemacht. Immer schon tatkräftig unterstützt von Önologe Oscar Arrivabene. Dieser führt den Betrieb nun zusammen mit Domenicos Wittwe Giuliana und mit dem zweiten Önologen Gianmatteo Rainieri fort. In Erinnerung an einen, dessen Vater ihn Aeroplan Servaj nannte, wildes Flugzeug. Unzähmbar. Der Übername blieb. Bis das Flugzeug nicht mehr flog.
DIE WEINE VON DOMENICO CLERICO
Langhe Dolcetto Visadi 2014: Rotfruchtige Nase, Erdbeeren, stringent, sauber, ehrlich, trinkig, macht uneingeschränkt Spass. 16/20 (in der Schweiz nicht erhältlich).
Barbera d’Alba Trevigne 2014: Würzig-beerige Nase, sortentypisch im Gaumen, etwas hart, säurebetont, ein Widerstandsbrocken. 16/20. Jahrgang 2013: 17/20. (CHF 26.50).
Arte Rosso Langhe 2014: Assemblage aus 90% Nebbiolo und 10% Barbera. Markantes Holz in der Nase, starke Tannine im Gaumen, frisch, ein harter Wein. 15,5/20. Es gilt dasselbe wie für den Barbera: Zeit lassen. Der 13er nämlich ist in der Nase expressiv, würzig, das Holz ist weit weniger dominant, der Wein ist trinkig geworden, elegant, ist klar und lang. Dafür gibts 17 Punkte! (CHF 39.—für Jahrgang 2014. CHF 82.— für die Magnum von Jahrgang 2013).
Langhe Nebiolo Capisme-e 2014: Der 100-Prozent-Nebbiolo, der aus einer Barolo-Lage kommt, dennoch nicht als Barolo, sondern als Langhe DOC auf den Markt kommt (erstmals 2009) ist floral, rosig, mineralisch, zältlig, klar, geradlinig, sortentypisch, minzig, nur im Finale etwas gar säurebetont. 16,5/20 (CHF 24.49.--. www.tannico.ch).
Barolo 2012: Sortentypische Nase, floral, Rosen, herbal, Sauerkirschen, im Gaumen Power, reife Tannine, leichte Adstringenz, super Frische, Fruchtsüsse, Fülle, langes Finish. 17,5/20 (CHF 46.--).
Barolo Pajana 2011 (Foto): Ausladende blumige Nase, rote Beeren, expressiv, viel Frucht im Gaumen, feinkörnige, präsente Tannine, einnehmend, aristokratisch-elegant, frisch, lang. 17,5/20 (CHF 77.--).
Barolo Ciabot Mentin 2011: Frische, minzige Nase, Blütennoten, starke Tannine, etwas Adstringenz, Power und Wucht, floral, leichtre Bittermandeln, sehr kräftig, muskulös, lang. 18/20 (CHF 77.--).
Barolo Percristina 2007 (Foto): Leichte Reifenoten, Rosen, erdig, würzig, Kirschen, feine Tannine, Mundfülle, Wärme, Kräuter, Power, tolle Länge. Wunderbar – aber immer noch zu jung! 18/20. Für den 2006er, der ein Jahr mehr Reife hat, gibts fast schon folgerichtig 19 Punkte! (CHF 108.— für Jahrgang 2006).
(Die Weine von Domenico Clerico gibts bei www.caratello.ch)
GAULT&MILLAU: ZWEI NEUE IKONEN
Anlässlich der Weinausstellung Vinea in Sierre haben Gault&Millau und Swiss Wine Promotion den Jahrgang des Taschen-Weinführers «Die 100 besten Schweizer Winzer» vorgestellt. Zwei Winzer sind als Nummern acht und neun in den Ikonenstand erhoben worden: Thomas Donatsch aus Malans, wo das Weingut indes längst von Sohn Thomas geführt wird, und der ins Tessin ausgewanderte Zürcher Christian Zündel. Beide konnten ihren Preis nicht persönlich abholen. Neu im Führer vertreten sind diese Kellereien:
- Gilbert Devayes, Leytron VS
- Olivier Mounir, Cave du Rhodan, Salgesch VS
- Matthias & Sina Gubler-Möhr, Möhr-Niggli Weine, Maienfeld GR
- Annatina Pelizzatti, Jenins GR
- Ralph Theiler, Theilervini SA, Bosco Luganese TI
Der Preis für die beste Karte des Schweizer Weins 2018 geht an L’Ermitage von Bernard Ravet in Vufflens-le-Château im Waadtland. 754 Positionen umfasst Ravets gigantische Karte. Ein Drittel kommt aus der Schweiz. Wenn das keine Hommage an unsere Weine ist, wenn ein 19-Punkte-Restaurant derart konsequent auf einheimisches Schaffen setzt!
Den Preis als Rookies des Jahres entgegennehmen durften Benjamin Hodel von der Cave du Château de Valeyres in Valeyres-sur-Rances VD, Pirmin Umbricht aus Untersiggenthal AG und Valentina Andrei aus Saillon VS.
Einige Anmerkungen zum Event. Schade war kaum jemand im Château Mercier anwesend. Auch keine fünf Journalisten. Schade werden die Rookies ausgezeichnet, verschwinden danach indes gleich wieder in der Versenkung. Sie finden im Büchlein keine Aufnahme. Schade fehlen einige der wichtigsten Winzer aus politischen Gründen, obwohl kein seriöser Weg an ihnen vorbeiführt. Schade ist das Büchlein derart minimalistisch gehalten, dass man ausser Namen und Homepage des Winzers in einem Kürzesttextchen nur Rudimentäres über sie erfährt und kaum etwas über ihre Weine.
Zu degustieren gabs an der Zeremonie ein paar Kostproben der drei Rookies. Stellen wir Ihnen gerne vor. Dazu je einen Wein der Neo-Ikonen.
Sauvignon Blanc 2016, Weingut Umbricht: Schöne knackige zitronige Nase, frisch, nasses Gras, Schmelz, Säure, recht breit, Power, Kräuter, mittellang. Schön. 16,5/20 (CHF 18.--. www.wugu.ch).
Chardonnay 2015, Weingut Umbricht: Butternase, exotische Frucht, ausladend, knackig im Gaumen, dezente Säure, schöner Body, sauber, trinkig, würzig, mittleres Finish. 16,5/20 (CHF 15.--. www.wugu.ch).
Petite Arvine Combe des Noutse 2016, Valentina Andrei: Dezente Nase, ein Hauch Frucht, im Gaumen ruhig, fast etwas schlaff, wenig Säure, unaufregend, Zitrus im frischen Finale. 15,5/20 (CHF 36.50. www.lepasseurdevin.com).
Gamay Confidentiel 2015, Benjamin Morel: Ausladende würzige Landweinnase, Waldbeeren, wild, animalisch gar, Schmelz, schöner Trinkfluss, süffig, kräftig, mittellang. 16/20 (CHF 22.15. www.chateauvaleyres.com).
Completer Malanserrebe Donatsch 2015: Im Moment in der Nase völlig verschlossen, im Gaumen tolle Säure, Power, trinkig, kräuterig, lebhaft, Lebkuchen, frisches, recht langes Finish. 17,5/20 (CHF 46.--. www.donatsch.info).
Chardonnay Dosso 2014, Christian Zündel: Ausladende exotische Nase, Pfirsich, Mango, Power, schöne Säure, Vanille, Barriquenoten insgesamt aber dezent, Frische, mittleres Finale. (CHF 39.--. www.vinothek-brancaia.ch)
WEIN DER WOCHE: DOMINUS 2011
Okay, ist ein bisschen teuer. Ist sogar sehr teuer, diese Flasche. Aber sie ist mittlerweile ein unverrückbares Monument im Napa Valley geworden: Dominus! Christian Moueix, Bordeaux-Impressario und Besitzer diverser Châteaux, gründete das Gut in einem Joint Venture in den frühen 80er-Jahren. Dass Moueix in den USA einen Wein machen wollte, darf nicht erstaunen, studierte der junge Christian doch Weinbau und Önologie an der University of California. 1995 wurde er Solobesitzer. Die Napanook Vineyards liefern die Reben für den Dominus. Das ist jene historische Gegend, in welcher der Weinbau in Napa 1836 seine Anfänge nahm. Der neue Keller wurde 1997 eröffnet. Die Architekten? Herzog und De Meuron. Who else? Der erste Jahrgang Dominus – eine Assemblage aus vornehmlich Cabernet Sauvignon mit einem Touch Petit Verdot und Cabernet Franc - kommt aber bereits 1983 auf den Markt. 1996 kommt der Zweitwein Napanook dazu. Ganz neu ist der Drittwein Othello.
Dominus 2011 (Foto): Cabernet-Sauvignon-typische lakritzige Nase, enorm frisch, fast rotbeerig, Kräuteraromen, die sich im Gaumen weiterziehen, enorm lang. 18/20 (dieselbe Punktzahl gabs übrigens für den 2009er. CHF 198.--)
Degustiert habe ich auch den Napanook 2011, ein Zweitwein, der ziemlich eukalyptisch daherkommt und es auf 16,5 Punkte bringt (CHF 68.--). Die Jahrgänge 2012 und 2013 wurden von James Suckling ungleich höher bewertet. Erstmals auf dem Schweizer Markt erhältlich ist der Othello, ein Wein aus Jungreben. Der Jahrgang 2012 ist in der Nase wohl zurückhaltend, hat im Gaumen aber viel Power, ist enorm beerig, süffig und macht uneingeschränkt Spass! Score: 17 Punkte (CHF 56.--).
(Die Weine von Dominus gibts bei www.moevenpick-wein.com)
SAVE THE DATE: WEINMESSE AM 20./21. OKTOBER
Der eine oder andere Wein von Christian Moueix kann an der grossen Mövenpick-Weinmesse degustiert werden! Darf ich es verraten? Letztes Jahrs gabs den Dominus! Die Weinmesse ist der Jahres-Hauptanlass von Mövenpick. Nicht weniger als 250 Weine können verkostet werden. 45 Winzer sind persönlich anwesend. Flankierend gibt es Expertenvorträge zum Thema Wein. Also unbedingt schon jetzt dick in der Agenda eintragen! Die Messe im Papiersaal Sihlcity steigt in Zürich am Samstag, 21. Oktober von 13 bis 20 Uhr und am Sonntag, 22. Oktober von 13 bis 19 Uhr. Bereits am Freitag, 20. Oktober steigt eine Light-Version der Messe mit 170 Weinen und 30 Winzern in Basel, in der Fabrik Event Allschwil, von 15 bis 21 Uhr. Tickets gibts für 20 Franken bei www.moevenpick-wein.com.