Als Bulat Tschagajew Xamax zerstörte
«Ich werde euch alle umbringen»

Er ging Spielern und Trainern an den Kragen und fälschte Bankgarantien. Bulat Tschagajew war der verrückteste und wohl auch der kriminellste Klubpräsident des Schweizer Fussballs.
Publiziert: 12.07.2023 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2023 um 07:03 Uhr
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Frühling 2011: Bulat Tschagajew (l.) übernimmt die Aktienmehrheit von Neuchâtel Xamax und ernennt Andrej Rudakow zum Präsidenten.
Foto: Blicksport
Martin Arn
Martin ArnReporter Fussball

Als Bulat Tschagajew am 5. Mai 2011 die Aktienmehrheit von Xamax übernahm, jubeln alle am Neuenburgersee. In der VIP-Loge wird falscher Kaviar zu Lachsbrötchen und Champagner gereicht. Tschagajew will mit Xamax an die grossen Erfolge der 80er-Jahre anknüpfen. Der grössenwahnsinnige Tschetschene träumt von der Champions League. Zuerst einmal entlässt er seinen Trainer Didier Ollé-Nicolle, der da gerade eine Woche im Amt ist. Schliesslich steht der Cupfinal gegen Sion vor der Tür. Und den will Tschagajew gewinnen.

Es wird ein denkwürdiger Nachmittag im St.-Jakob-Park in Basel. Nicht wegen des Spiels, das ist nach zwei schnellen Treffern für Sion früh entschieden.

In der Pause marschiert Tschagajew – vorbei an den verdutzten Sicherheitsleuten – geradewegs in die Kabine der Neuenburger. Noch bevor der neue Trainer Bernard Challandes taktische Änderungen vornehmen kann, staucht der Tschetschene seine Spieler auf Russisch derart zusammen, dass der Übersetzer Mühe hat, ihm zu folgen. Den Torhüter Jean-François Bédénik will Tschagajew auf der Stelle auswechseln, und als ihm nach seiner fulminanten Wutrede langsam die Luft ausgeht, droht Tschagajew den Spielern: «Ich werde euch alle umbringen!» Das allerdings ist erst der Anfang.

Ohrfeigen und 200'000 Franken in der Tiefgarage

Am Tag nach der Cup-Pleite entlässt Tschagajew den eben erst eingestellten Challandes und holt Ex-Servette-Star Sonny Anderson, obwohl dieser gar keine Trainerlizenz hat. Schon nach dem zweiten Spiel der neuen Saison muss Anderson wieder gehen.

Tschagajew hat zu Saisonbeginn aufgerüstet und unter anderem den Schweizer Haris Seferovic als Stürmer engagiert. Den Mittelfeldspieler Victor Sanchez lockte er mit einem Handgeld von 200'000 Franken von Barcelona nach Neuenburg. Die Notenbündel werden Sanchez bar in einem Aktenkoffer in der Tiefgarage der Maladière ausgehändigt.

Der neue Trainer heisst Joaquin Caparros, ebenfalls ein Spanier. Doch auch dessen Engagement ist von kurzer Dauer. Nach einem 2:2 gegen Lausanne stürmt Tschagajew abermals die Kabine, dieses Mal in Begleitung bewaffneter Bodyguards. Es kommt zu Handgreiflichkeiten und Ohrfeigen zwischen Trainer Caparros und Tschagajew. Drei Tage später wird Caparros gefeuert. In Neuenburg herrscht Ausnahmezustand.

Der damalige Liga-Präsident Thomas Grimm will sich die Sache persönlich ansehen und folgt Tschagajews Einladung auf die Maladière. Nachdem er sich mit Tschagajew zwei Stunden unterhalten hat, ist Grimm zuversichtlich. «lch habe den Eindruck gewonnen, dass sich Herr Tschagajew längerfristig engagieren will. Er mag ungewöhnliche Methoden haben. Aber solange er sich innerhalb der Bestimmungen der Liga bewegt, gibt es von unserer Seite nichts einzuwenden», sagt Grimm zu Blick.

Kitsch, Kunst, leere Büros

Mitte August 2011 lädt Tschagajew SonntagsBlick zum Interview ein: Rue du Commerce 7, 1204 Genf. Ein schmuckloser Bau, abgewetzter Teppich, Kitsch, Kunst an den Wänden. Tschagajews Assistentin bittet ins Sitzungszimmer. Sie stellt Wasser in grossen Kelchen und einen Aschenbecher auf den Tisch. Tschagajew wird in den nächsten zwei Stunden eine halbe Packung Parliament rauchen.

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Es ist ein wildes Gespräch, zwischen Wutrede, Grössenwahnsinn und gespielter Demut. Tschagajew redet ohne Punkt und Komma. «Ende Saison sind wir Meister, dann die Champions League», posaunt er. Oder: «Der Cupfinal war gekauft.» Den Neuenburgern wirft er Undankbarkeit vor: «Ich dachte, ich kann hier etwas Nützliches machen.» Beim Thema Geld wird Tschagajew einsilbig. «Darüber spreche ich nicht. Ich mache meine Geschäfte im Baugewerbe und an der Börse. Ich beschäftige 230 Mitarbeiter weltweit.»

Von all diesen Mitarbeitern ist ausser seiner Assistentin zufälligerweise niemand im Büro in Genf. Vermutlich sind sie alle gerade in Dubai, Hongkong oder New York beschäftigt. Angeblich sind das Tschagajews weitere Firmensitze.

Fehlende Löhne, gefälschte Bankgarantie

Gleichzeitig werden auf der Maladière die anderen Mitarbeiter Tschagajews langsam unruhig. Die Löhne der Profis treffen mit grosser Verspätung ein. Ein Spielervermittler fordert 400'000 Franken für seine Dienste. Tschagajew wird von einem Zivilgericht aufgefordert, Bankgarantien für sein Vermögen vorzulegen. Eine angebliche Bankbescheinigung soll beweisen, dass er auf einem Konto der «Bank of America» 35 Millionen US-Dollar liegen hat. Das Papier ist eine Fälschung.

Die Staatsanwaltschaft lässt Tschagajews Büros in Genf durchsuchen. Der Vorwurf: Geldwäsche, ungetreue Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung. Die Liga spricht Geldbussen und Punkteabzüge wegen nicht bezahlter Spielerlöhne aus.

Dennoch macht sich das Team im Januar 2012 auf ins Trainingslager nach Dubai. Am Check-in stellt sich heraus, dass die Flüge nicht bezahlt worden sind. Der Veranstalter des Freundschaftsturniers in Dubai, an dem Xamax teilnimmt, springt ein. Blick deckt gleichentags auf: Xamax schuldet seinen Neuenburger Gläubigern mindestens 8 Millionen Franken.

Am 16. Januar 2012 hat der Schrecken ein Ende: Die Liga entzieht Xamax die Lizenz. Islam Satujew, Tschagajews Statthalter in Neuenburg, der von Fussball und wohl auch von vielem anderen keine Ahnung hat, nimmts gelassen: «Wir haben die Lizenz verloren», sagt er zu einem Vertrauten, «aber das macht nichts. Ich habe eine Kopie ausdrucken lassen.»

«Es war alles wie ein schlechter Witz», sagt der damalige Captain, Stéphane Besle, zu Blick. Trotz Satujews Kopie wird der stolze Neuenburger Klub in die 2. Liga interregional zwangsrelegiert.

2012 kommt Tschagajew in Untersuchungshaft. Dort wird der Millionär zum Bettler: Tschagajew muss bei Mitgefangenen und Wärtern Zigaretten schnorren, weil er bei seiner Verhaftung kaum welche dabeihatte. Er wird 2013 zu 30 Monaten verurteilt und dann aus der Schweiz ausgeschafft.

Seither fehlt von ihm jede Spur.

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