Von seinen Beratern
Als der FCZ-Stürmer Raffael entführt wurde

Wo ist Raffael? Diese Frage stellten sich im April 2006 die Verantwortlichen des FC Zürich, denn das brasilianische Stürmer-Juwel war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.
Publiziert: 24.09.2023 um 21:25 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2023 um 08:54 Uhr
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Zwischen 2005 und 2007 ging Raffael für den FC Zürich auf Torejagd.
Foto: TOTO MARTI
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Daniel LeuStv. Sportchef

Als der Tabellenzweite FC Zürich am Sonntag, 23. April 2006 auswärts auf St. Gallen trifft, reiben sich die anwesenden Fans und Journalisten im Espenmoos verwundert die Augen. Das 21-jährige Offensiv-Juwel Raffael fehlt ohne Angaben von Gründen im Aufgebot für dieses Spiel der 32. Super-League-Runde. Warum das so ist, verrät FCZ-Trainer Lucien Favre nach dem 3:2-Sieg an der Pressekonferenz: «Ils ont kidnappé Raffael!»

Sie haben Raffael entführt! Vier Worte, die ein Erdbeben auslösen. Der Entführungsfall Raffael – er ist bis heute einzigartig im Schweizer Fussball. Die Chronologie der spektakulären, aber auch absurden sechs Tage im April 2006.

Freitag, 21. April 2006

Zwei Tage vor dem Spiel in St. Gallen kommen zwei brasilianische Spieleragenten auf den damaligen FCZ-Sportchef Fredy Bickel zu. «Sie haben gesagt, Raffael gehöre ihnen, sie nähmen ihn mit», wird Bickel später erzählen. Noch glaubt er, diese Drohung sei ein schlechter Scherz.

Samstag, 22. April 2006

Nach dem Abschlusstraining packen die beiden zwielichtigen Gestalten Raffael ins Auto und fahren mit ihm davon. Zum abgemachten Termin um 15.30 Uhr taucht nur noch einer der Agenten bei Bickel auf. Er fordert eine Lohnerhöhung um das Vier- bis Fünffache, plus eine halbe Million Handgeld. Kämen die Zürcher dem nach, rücke er Raffael wieder heraus. Doch Bickel lehnt ab. «Ein Spieler kann nicht einem Agenten gehören, nur einem Klub.» Und der FCZ habe Raffael im Herbst 2005 rechtmässig von Chiasso erworben.

Sonntag, 23. April 2006

Als sich der FCZ am Spieltag um 10.15 Uhr besammelt, fehlt von Raffael jede Spur. Ex-Nati-Stürmer und Chiasso-Präsident Marco Grassi, der sich – seit Raffael 2003 aus seiner Heimat Brasilien nach Europa kam – um ihn kümmerte, erklärt: «Sie haben ihm das Handy abgenommen.» Und Bickel sagt: «Wir sind in seine Wohnung gegangen. Sie war leer. Die beiden Agenten müssen ihm völlig den Kopf verdreht haben. Es geht nur noch ums Geld.»

Bickel schaltet deshalb die Polizei ein, gibt eine Vermisstenmeldung auf und erhebt Anzeige wegen Freiheitsberaubung und versuchter Erpressung.

Am Sonntagabend meldet sich Raffael bei der Polizei und erklärt, es gehe ihm gut, er sei nicht entführt worden. Tage später kommt raus, dass er die Nacht von Sonntag auf Montag in Bars verbringt. Dort ist er gemeinsam mit seinem Teamkollegen und Landsmann Cesar unterwegs. Dieser habe gemäss FCZ offenbar versucht, ihn von einer Rückkehr ins Training zu überzeugen. Noch ohne Erfolg.

Gleichzeitig versuchen die beiden Agenten, Stimmung gegen den FCZ zu machen. Sie behaupten, Raffael werde bei den Zürchern mit bloss 4000 Franken Monatslohn abgespeist. Alles Quatsch, sagt Bickel, und spricht von 200’000 Franken Jahresgehalt. Einer der beiden Berater erklärt auch, dass Chiasso 2003 nicht die volle Ablösesumme an CA Juventus São Paulo bezahlt habe. Ein haltloser Vorwurf.

Montag, 24. April 2006

Es gibt ein weiteres Lebenszeichen von Raffael. Er ist zwar noch immer nicht wieder aufgetaucht, telefoniert aber mit seinem Trainer Lucien Favre und entschuldigt sich für sein Fernbleiben. Seine beiden brasilianischen Berater hätten ihm davon abgeraten.

Dienstag, 25. April 2006

Um 9.28 Uhr taucht Raffael in der Allmend Brunau pünktlich zum Training auf. Der Entführte, er ist endlich wieder da. Nach einer lockeren Einheit erklärt er im Blick-Interview seine Sicht der Dinge. Inklusive einiger Widersprüche.

Warum sind Sie in den letzten Tagen abgetaucht?
Raffael: Man hat mir gesagt, ich solle nicht ins Training kommen. Ich habe ja nur einmal gefehlt.

Zweimal, am Sonntag waren Sie ja auch nicht in St. Gallen.
Richtig, zweimal. Es war nicht richtig, dass ich nicht da war. Aber es war nicht meine Schuld.

Wessen Schuld war es Ihrer Meinung nach?
Es war ihre (gemeint sind die Berater, die Red.) Schuld.

Sie geben zu, dass es ein Fehler war abzutauchen?
Ja, aber es war nicht meine Schuld. Es war eine Anweisung meiner Berater, und ich habe sie befolgt.

Trainer und Spieler scheinen Raffael zu vergeben. Favre: «Für mich ist Raffael Opfer, nicht Täter. Ich bin überzeugt, dass massiv Druck auf ihn ausgeübt worden ist.» Blerim Dzemaili sagt: «Er hat sich vor der Mannschaft entschuldigt, und wir haben ihn mit offenen Armen empfangen. Böse sind wir ihm nicht, im Gegenteil: Jetzt können wir uns noch lustiger machen über ihn …» 

Mittwoch, 26. April 2006

Nachholspiel des 30. Spieltags, Xamax gegen Zürich. In der Startelf? Raffael! Der FCZ siegt 1:0, und der Stürmer verspricht: «Ich lade alle in eine brasilianische Churrascaria ein!»

Nur 17 Tage später hat der FCZ noch mehr Grund zum Feiern. In Basel entführt er nach dem dramatischen 2:1-Sieg (Iulian Filipescu lässt grüssen) den Meistertitel aus dem St. Jakob-Park, auch dank insgesamt 14 Toren von Raffael.

Heute lässt sich über den Entführungsfall Raffael schmunzeln, doch wie sagte Fredy Bickel 2016 Blick: «Im Nachhinein klingt die Geschichte vielleicht lustig. Das war sie aber nicht.»

Der mittlerweile 38-jährige Raffael hat seine Karriere übrigens noch immer nicht beendet. Seit diesem Sommer geht er für den deutschen Achtligisten Ay-Yildizspor Hückelhoven auf Torejagd.

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