Ex-Fussballer Kay Voser outet sich als schizophren
«Mein Leben ist ein einziges Drama»

Der Aargauer Kay Voser verdiente als Fussballspieler Millionen. Was niemand wissen durfte: Der frühere Verteidiger kämpfte nicht nur gegen die Stürmer, sondern auch mit seiner Schizophrenie.
Publiziert: 02.01.2024 um 16:59 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2024 um 10:48 Uhr
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28. Dezember 2023: Kay Voser an seinem Wohnort in Zürich-Oerlikon. Der Ex-Fussballer spricht über seine psychischen Probleme.
Foto: Patrick Mäder
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Kay Voser war als Fussballer bekannt für seine langen Haare. Jetzt trägt er sie ganz kurz und ist erst zu erkennen, als er die dunkle Sonnenbrille abnimmt. Der neue Look ist auch Ausdruck der schwierigen Monate, die der Aargauer hinter sich hat: Freundin weg, Job als Fussballexperte beim SRF weg, Klinikaufenthalt, Outing. Auf seinem Instagram-Kanal mit über 340'000 Followern hat er vor kurzem seine psychischen Probleme angedeutet, die ihn schon sein Leben lang verfolgen. Während seiner Fussballerkarriere hat er diese verheimlicht. Heute steht er mutig hin und sagt: «Ich bin schizophren!» Es ist Donnerstag, der 28. Dezember. Wir setzen uns in eine Hotel-Lobby in der Nähe von Zürich.

Kay Voser, Sie wollen heute Ihre Lebensgeschichte erzählen – warum?
Kay Voser: Weil sie endlich raus muss. Zu lange musste ich Dinge verheimlichen, die eigentlich zu mir gehören, ein Teil von mir sind, meine Ängste und Psychosen. Mein Leben ist ein einziges Drama. Ich will darüber reden.

Lassen Sie uns am Anfang beginnen. In welcher psychischen Verfassung waren Sie, als Sie als Teenie vom Dorfklub Fislisbach zu GC wechselten?
Ich war ein scheuer, introvertierter, unsicherer, junger Kerl mit psychischen Problemen. In der Schule hatte ich Schwierigkeiten. Der Unterricht langweilte mich, weil ich viel zu intelligent war. Aber für Fussball interessierte ich mich brennend.

Mit 19 bekamen Sie von GC einen Profivertrag. Ihr Trainer war damals Krassimir Balakov. Haben Sie mit ihm über ihre Probleme geredet?
Nein, mein Umfeld war ungeheuer schwierig. Mein Vater war Alkoholiker, meine Mutter manisch-depressiv und ich schizophren. In meiner Parallelwelt, in die ich immer wieder eintauchte, hatte ich einen Freund, der sah genau so aus wie ich. Wir lachten und spielten im Garten zusammen und wir halfen einander, wenn es uns schlecht ging. Hätte ich das Balakov erzählen sollen? Das war damals undenkbar.

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«Mein Vater war Alkoholiker, meine Mutter manisch-depressiv und ich bin schizophren.»
Kay Voser. Ex-Fussballer
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Schizophren sein heisst, dass Sie Ängste haben, Wahnvorstellungen und Realitätsstörungen – wie äusserten sich diese während der Spiele auf dem Fussballplatz?
Es gab jeweils den einen Moment, in dem sich alles änderte, in dem ich plötzlich funktionierte und alles Belastende ablegen konnte. Manchmal kam dieser Moment erst nach 20 Spielminuten, manchmal funktionierte ich schon von Anpfiff an bestens.

Was passierte in den Minuten, in denen es nicht gut ging?
Ich stand neben den Schuhen. Ich wusste nicht, was tun, wusste nicht, wo ich bin. Erst als ich an dem Punkt war, an dem ich dachte, dass gleich alle im Stadion merken, was mit mir los ist, setzte sich die Realität wieder zusammen und ich konnte spielen, als wäre da nichts.

Trotz dieser Probleme haben Sie sich als Profi bei GC schnell durchsetzen können. Hat es Sie nicht belastet, dass Sie mit niemandem darüber sprechen konnten?
Ich hatte die Hilfe eines Sportpsychologen. Aber mit Trainer Balakov ging es mir gut. Er wusste, wie er mich nehmen musste. Er liess mich im defensiven Mittelfeld spielen und gab mir viel Verantwortung. Das hat mir gutgetan und ich wurde immer selbstbewusster. Fussball war meine Ferien-Oase. Mir war bewusst, dass dieser Sport ein Ausweg sein kann, um meine Familie aus dem Dreck ziehen zu können. Leider wurde Balakov dann durch Hanspeter Latour ersetzt, das war für mich ein Rückschlag.

Kay Vosers Karriere

Kay Voser wurde am 4. Januar 1987 in Baden geboren. 1997 wechselte er vom FC Fislisbach als Nachwuchshoffnung zu GC, wo er 2005 zum Profi wurde. Bis 2011 machte Voser für GC 118 Spiele, dann wechselte er zum FC Basel, wo er grosse Erfolge und Titel feiern konnte (dreimal Meister, Cupsieger, Champions-League-Spiele). Sein Abstecher nach England zu Fulham (2014 bis 2016) war nicht von Erfolg gekrönt. Bei seinen folgenden Stationen in der Schweiz bei Sion (4 Spiele) und dem FCZ (30) konnte er auch keine Ausrufezeichen mehr setzen. Anfang 2019 beendete Voser seine Karriere in den USA bei Charlotte Independence in North Carolina. 2020 wurde er vom SRF als Fussballexperte engagiert. Im vergangenen November wurde das Arbeitsverhältnis beendet.

Kay Voser 2006 als junger GC-Spieler. Er wird am 4. Januar 2024 37 Jahre alt.
Blicksport / Valeriano Di Domenico

Kay Voser wurde am 4. Januar 1987 in Baden geboren. 1997 wechselte er vom FC Fislisbach als Nachwuchshoffnung zu GC, wo er 2005 zum Profi wurde. Bis 2011 machte Voser für GC 118 Spiele, dann wechselte er zum FC Basel, wo er grosse Erfolge und Titel feiern konnte (dreimal Meister, Cupsieger, Champions-League-Spiele). Sein Abstecher nach England zu Fulham (2014 bis 2016) war nicht von Erfolg gekrönt. Bei seinen folgenden Stationen in der Schweiz bei Sion (4 Spiele) und dem FCZ (30) konnte er auch keine Ausrufezeichen mehr setzen. Anfang 2019 beendete Voser seine Karriere in den USA bei Charlotte Independence in North Carolina. 2020 wurde er vom SRF als Fussballexperte engagiert. Im vergangenen November wurde das Arbeitsverhältnis beendet.

Was ist passiert?
Latour befand mich als zu klein, als zu wild, als zu offensiv. Er gab mir eine neue Rolle als Aussenverteidiger, liess mir da wenig Freiheiten. Aber wenn mich jemand einsperren will, dann regt sich in mir Widerstand, dann kann ich mürrisch werden. So gerieten wir ein paar Mal aneinander. Aber schliesslich rauften wir uns zusammen.

2011 wechselten Sie zum FC Basel und zu Trainer Thorsten Fink – war das eine Befreiung?
Es war in erster Linie eine Geldfrage. Ich wusste, dass bei GC gewisse Spieler, die nicht mein sportliches Niveau hatten, viel mehr verdienten als ich. Bei Basel wurde ich dann sehr gut bezahlt, Fink hielt grosse Stücke auf mich.

Und Ihre psychischen Probleme?
Die habe ich, seit ich denken kann, und die gehen auch nicht weg. Manchmal sind sie schlimmer, manchmal weniger schlimm. Es gab also auch in Basel viele Momente, die schwierig waren.

Und der Trainer hat nichts gemerkt?
Ich habe meine Verheimlichungsstrategien im Verlauf meines Lebens immer mehr verfeinert und bin ein König im Verstecken und Verschweigen geworden. Aber ich glaube, Fink war der Erste, der merkte, dass etwas nicht stimmt. Ich war zu Beginn meiner Basler Zeit nicht mehr der Spieler, der ich noch bei GC gewesen war, und plötzlich kamen auch Verletzungen dazu. Ich brauchte ziemlich Zeit, bis ich mich im neuen Umfeld wohlfühlte und meine Leistungen bringen konnte.

Wie lief das Leben neben dem Fussballplatz?
Ich ging in Basel in schwierigen Momenten oft in den Ausgang, habe ab und zu auch mit Alkohol übertrieben. Ich habe verzweifelt Halt gesucht.

Die sportliche Bilanz Ihrer Basler Zeit liest sich aber sehr gut: drei Mal Meister, Cupsieger, Europa-League-Halbfinalist, Champions-League-Teilnehmer …
Nach den Schwierigkeiten zu Beginn entwickelte sich die Zeit in Basel für mich tatsächlich sehr gut. Ich stand meinen Mann und habe tolle Spiele gemacht. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das meine glücklichste und erfolgreichste Zeit war.

Im Sommer 2014 wechselten Sie zum englischen Erstliga-Absteiger Fulham. Warum sind Sie nicht in Basel geblieben, wo es Ihnen doch so gut gefallen hat?
Felix Magath war damals der Cheftrainer in Fulham. Er hatte denselben Berater wie ich und wollte mich in seinem Team. Die Ambitionen waren trotz des Abstiegs gross. Magath sagte mir, ich könnte eine ähnliche Karriere machen wie Philipp Lahm. Als wir dann über den Vertrag redeten, wusste ich: Wenn ich hier unterschreibe, muss ich mir keine Geldsorgen mehr machen. Leider habe ich unterschrieben.

Leider?
Fulham wurde zum Horror-Trip. Und der fing schon vor dem Wechsel an. In den Ferien nach Saisonende war ich mit anderen FCB-Spielern auf Ibiza. Da verlor ich total den Bezug zur Realität. Wir waren auf einer Yacht. Es war so viel Geld und Luxus im Spiel, und plötzlich waren da überall diese Gelegenheiten. Ich betrog meine Freundin, worauf sie mich auf der Stelle verliess. Ich stürzte in eine schlimme Psychose.

Haben Sie sich rechtzeitig zum Arbeitsbeginn in Fulham erholt?
Ich kam in keinem guten Zustand auf der Insel an, verletzte mich zudem früh und verpasste die ersten drei Saisonspiele. Dass mein Fürsprecher Magath bereits im September beurlaubt wurde, machte meine Situation nicht besser. Ich konnte mich sportlich nicht durchsetzen und machte einen grossen Fehler.

Welchen?
Ich hatte immer Angst vor Drogen. Aber um mit meinen Ängsten klarzukommen, muss ich mich ihnen stellen. Das war schon immer so. Ich verdiente also wahnsinnig viel Geld, war sportlich isoliert, wohnte in einer fremden Grossstadt, fühlte mich radikal einsam, meine Mutter erkrankte an Krebs, meiner Schwester ging es auch nicht gut … zusammengefasst: Mein Zustand war besorgniserregend. In dieser Krise liess ich mich zum Koksen verführen und bin aufgeflogen.

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«Ich liess mich zum Koksen verführen und bin aufgeflogen.»
Ex-Fussballer Kay Voser
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Wie ist das passiert?
Am Montag kamen die Doping-Kontrolleure ins Training, ich war einer von drei Spielern, die zum Test mussten. Da kam es raus und ich wurde vom Verband gesperrt. Aber ich bin gegen das Urteil vorgegangen.

Warum?
Weil ich wusste, dass das mein Ende als Fussballer bedeuten könnte und weil ich den Mitspieler, der dabei war, nicht verraten wollte. Dass ich alles abgestritten habe, war eher eine Verzweiflungstat. Doch ich kam tatsächlich davon, weil die nachgewiesene Menge Kokain so gering war, dass nicht einwandfrei festgestellt werden konnte, ob ich wirklich gekokst hatte. Ich wurde reingewaschen, die Sperre aufgehoben, aber ich war rund 100'000 Franken an Anwaltskosten los.

Warum gab es kein Happy End in Fulham?
Es ist zu viel passiert. Als mich meine Mutter in London besuchen kam und ein paar Wochen blieb, nahm ich mir Zeit für sie. Ich meldete mich verletzt ab, was gelogen war. Das hat man mir übelgenommen. Aber meine Mutter war mir wichtiger als der Fussball. Kurze Zeit später ist sie am Krebs gestorben und mit ihr auch ein Teil von mir. Sie war eine hochsensible, hochintelligente Frau. Wir standen uns sehr nah.

Wie ging ihre Karriere weiter?
Man hat mich bei Fulham in die zweite Mannschaft verbannt, schliesslich lösten wir den Vertrag auf. Ich habe viele Erfahrungen gemacht und die englische Sprache gelernt, aber sonst war diese Zeit in London schrecklich für mich. Könnte ich nochmals zurück, ich würde diesen Wechsel nicht mehr machen, ich hätte damals in Basel bleiben sollen.

Sie kehrten in die Schweiz zurück, kamen aber nicht mehr richtig in den Tritt – woran lags?
Das stimmt, es lief nicht wie gewünscht. Ich eckte auch immer wieder an. Beim FC Sion und beim FCZ fehlten mir die Menschen, die mich so hätten nehmen und motivieren können, wie Balakov es früher bei GC konnte oder Thorsten Fink und Murat Yakin bei Basel.

Trotzdem haben Sie angesichts der gravierenden Probleme eine erstaunliche Karriere hingelegt und mit Fussball Millionen verdient. Sind Sie stolz auf sich?
Es wäre viel mehr drin gelegen. Im Training war ich ein ganz anderer Kay Voser. Da konnte ich den Vergleichen mit Philipp Lahm vielleicht gerecht werden, in den Spielen leider viel zu selten. Ich glaube, mein Talent hätte für eine viel grössere Karriere ausgereicht. Aber ich bin dem Fussball trotzdem unendlich dankbar. Er hat mein Leben gerettet.

Nach der Karriere wurden Sie Fussballexperte beim SRF. Haben Sie ohne zu zögern zugesagt, als die Anfrage kam?
Es war wie immer, wenn ich vor einer grossen Herausforderung stehe. Ich hatte Angstzustände, Wahnvorstellungen, konnte nicht schlafen. Ich zweifelte an mir, dachte, das schaffst du nie. Und dann, als ich im Studio sass, kam dieser Moment, wo alles gut wurde, wo ich funktionierte, wie früher auf dem Fussballplatz, wo alle Ängste plötzlich verflogen waren.

Im November verkündete SRF, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen nach rund zweieinhalb Jahren beendet wurde. Was ist passiert?
Ich hatte im September eine schwere Krise. Die hatte unter anderem mit der Trennung von meiner Freundin zu tun. Und auch damit, dass mich gewisse Menschen als krank betrachten, mich drängen und einweisen wollten. Ich bekam solche Kopfschmerzen, dass ich mich schliesslich überreden liess, für ein paar Tage in eine Klinik zu gehen, wo ich aber eigentlich nicht sein wollte. Als Zeichen des Protests habe ich mir meine Haare abrasiert.

Hat Ihnen die Klinik gutgetan?
Ich habe da viele interessante Patienten kennengelernt. Es war ein gutes Experiment, das mich in meiner Meinung bestärkt hat, dass Ärzte, Therapeuten und vor allem deren Diagnosen die Menschen erst richtig krank machen können. Wenn dich ein Arzt krank stempelt, dann wirst du auch krank. Ich bin überzeugt, dass in der Psychologie vieles völlig falsch läuft. Okay, ich bin schizophren, aber für mich ist das keine Krankheit. Das ist eine Facette meines Seins, ein Teil meines Lebens, mit dem ich versuche, klarzukommen. Darum rede ich jetzt auch darüber.

War der Klinikaufenthalt der Grund für das Aus bei SRF?
Nein, wir hatten die Zusammenarbeit zu dieser Zeit nur unterbrochen, weil ich nicht arbeitsfähig war. Aber dann passierte das mit Ardon Jashari, der nicht zu einem Spiel der U21-Nati einrückte und darum die ganze Härte der Experten abbekam. Er wurde so beleidigt und verunglimpft, dass ich mich wehren musste für ihn. Ich kenne Ardon. Er ist ein feiner Kerl, erst 21-jährig und das Gegenteil von arrogant. Auf meinem Insta-Kanal habe ich mich dann für ihn starkgemacht.

Es war wohl eher eine Abrechnung mit Jasharis Kritikern.
Ich habe mich dafür entschuldigt und inzwischen alles wieder gelöscht. Es musste einfach raus in diesem Moment und ich bereue es nicht. Den Fernsehleuten hat das auch nicht gefallen. Ich hätte mich zuerst absprechen müssen, weil ich ja als SRF-Experte angestellt war. Da gibt es halt Regeln, was man sagen darf und was nicht. Der Fall Jashari war also wohl mit ein Grund für die gegenseitige Trennung.

Jetzt sind Sie arbeitslos – wird es Ihnen nicht langweilig?
Schauen Sie auf meinen Insta-Kanal, sekündlich werden es mehr Follower. Zu Beginn unseres Gespräches waren es 308'000, jetzt sind es schon 2000 mehr und morgen werden es über 340'000 sein und Anfang Januar 400'000. Echt crazy, was da abgeht. Mein Profil zu unterhalten, ist zeitintensiv, aber ich habe daneben auch andere Pläne.

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«Ich werde weiter schlimme Momente haben, aber auch gute, in denen ich funktioniere.»
Kay Voser, Ex-Fussballer
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Welche?
Meine Biografie schreiben, mein Leben verfilmen lassen. Ein Unternehmen gründen. Mich für die Anliegen des Umweltschutzes einsetzen. Neue psychologische Theorien entwickeln. Den Mächtigen auf die Finger schauen. Menschen unterstützen, die Hilfe brauchen …

An welche Menschen denken Sie?
Beispielsweise an Sportler, die sich ihre Träume nicht erfüllen können, weil ihnen die finanzielle und soziale Unterstützung fehlt. Denen würde ich gern mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Haben Sie keine Angst um Ihre Gesundheit, jetzt, wo der Fussball nicht mehr hilft?
Ich werde immer Ängste haben. Ich lebe mit ihnen. Ich werde weiter schlaflose Nächte haben und Wahnvorstellungen und Krisen. Aber ich werde auch die anderen Zeiten erleben – die guten, in denen ich bestens funktioniere. So war es immer, seit ich denken kann. So wird es immer sein.

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