Fussball-Trainer Giorgio Contini ganz offen
«Das war meine grösste persönliche Niederlage»

Fussball-Trainer Giorgio Contini steht ohne Job da, kriegt keinen Lohn und sieht trotzdem positiv in die Zukunft. Im Interview spricht der 49-Jährige über den FCSG, den FCB und seinen Flirt mit dem FCZ.
Publiziert: 21.10.2023 um 17:06 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2023 um 17:10 Uhr
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Der zurzeit arbeitslose Fussball-Trainer Giorgio Contini in der Halle 53 im alten Sulzerareal in Winterthur.
Foto: TOTO MARTI

Blick: Giorgio Contini, wie nennen Sie selber die momentane Zeit ohne Job – Auszeit, Künstlerpause, Arbeitslosigkeit …?
Giorgio Contini: Wohl am ehesten Sabbatical. Nach 15 Jahren ununterbrochen im Trainergeschäft mal Zeit, für sich selber zu haben, einen Sommer zu verbringen ohne Planung, Termine, Trainingslager, Stress, das war schon etwas sehr Besonderes.

Jetzt ist Herbst – ist die Lage immer noch besonders oder scharren Sie schon mit den Trainerhufen?
Die Lage ist immer noch besonders, ich geniesse die Tage mit meiner Familie. Aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, der Fussball fehle mir nicht.

Was fehlt Ihnen am meisten?
Die tägliche Arbeit mit den jungen Spielern. Sie weiterzubringen, sie zu verstehen, ihnen zuzuhören, ihnen etwas auf den Weg zu geben. Das hat mir immer schon gefallen. Mir würde auch der Lehrerberuf gefallen. Kürzlich hatte ich eine Aufgabe in einer Schule.

Erzählen Sie.
Die Primarschule Boppartshof in St. Gallen hatte Probleme mit den Erst- bis Sechstklässlern in den Pausen. Da wollen sie Fussball spielen, aber es gab immer wieder Streit und Puff. Ich wurde darum von den Schulverantwortlichen zu einem Workshop eingeladen. Meine Aufgabe war, den rund 80 Schülern zu erklären, dass es Regeln geben muss, dass es Toleranz und Respekt braucht, um zusammen klarzukommen. Das war eine spannende Aufgabe. Die Schüler machen das heute richtig gut.

Sie wurden bis Ende August noch von GC bezahlt. Gehen Sie seither stempeln?
Ich bin angemeldet und es macht mir nichts aus, demnächst aufs Arbeitsamt zu gehen.

Giorgio Contini persönlich

Giorgio Contini ist am 4. Januar 1974 in Winterthur geboren und aufgewachsen. Der Stürmer spielte unter anderem für Winterthur, Baden, Lausanne und Luzern. Seine erfolgreichste Zeit als Aktiver verbrachte er beim FC St. Gallen, die er mit dem Meistertitel 2000 krönte. Einmal stand er auch für die Schweizer Nati im Einsatz.

2017 wurde Contini Cheftrainer beim FCSG. Zuvor amtete er in Vaduz (Aufstieg in die SL), danach in Lausanne (Aufstieg in die SL) und ab 2021 bei GC. Im März 2023 reichte er bei GC die Kündigung auf Ende August ein. Nun ist er auf Jobsuche.

Contini ist seit 2005 verheiratet, hat zwei Töchter und einen Hund und lebt mit der Familie in der Ostschweiz.

TOTO MARTI

Giorgio Contini ist am 4. Januar 1974 in Winterthur geboren und aufgewachsen. Der Stürmer spielte unter anderem für Winterthur, Baden, Lausanne und Luzern. Seine erfolgreichste Zeit als Aktiver verbrachte er beim FC St. Gallen, die er mit dem Meistertitel 2000 krönte. Einmal stand er auch für die Schweizer Nati im Einsatz.

2017 wurde Contini Cheftrainer beim FCSG. Zuvor amtete er in Vaduz (Aufstieg in die SL), danach in Lausanne (Aufstieg in die SL) und ab 2021 bei GC. Im März 2023 reichte er bei GC die Kündigung auf Ende August ein. Nun ist er auf Jobsuche.

Contini ist seit 2005 verheiratet, hat zwei Töchter und einen Hund und lebt mit der Familie in der Ostschweiz.

Das heisst: Momentan kommt kein Geld rein.
Das ist so, macht mir aber noch keine grösseren Sorgen. Es gab bei mir schon als Spieler Phasen, wo ich kein Geld bekam, weil die Klubs vor der Pleite standen – das war in den frühen Nullerjahren bei Luzern so, bei Lausanne danach auch. Im Fussball darf man da nicht gleich in Panik verfallen.

Macht Ihnen der Begriff «arbeitslos» keine Angst?
Nein, ich glaube, dass meine Chancen im Arbeitsmarkt ziemlich gut sind.

Das klingt entspannt: Liegen denn schon Angebote auf dem Tisch?
Es gab ernsthafte Interessen von Spitzenklubs aus Marokko und aus Tunesien. Aber dazu bin ich momentan nicht bereit.

Warum nicht?
Ich habe als Trainer im Schweizer Fussball einiges erreicht, oft unter schwierigen Umständen das Optimum herausgeholt. Aber ich habe noch keine Titel gewonnen. Es gibt noch viele Ziele, die ich hier anpeilen kann und will.

Also käme ein Ausland-Engagement nicht infrage?
Doch klar, aber nicht unbedingt ein Abenteuer. Deutschland ist selbstverständlich immer interessant für Schweizer Trainer.

Saudi-Arabien?
Nicht jetzt, aber das könnte mittelfristig schon zum Thema werden, wenn ich länger ohne Job bliebe und es käme ein Angebot.

Keine moralischen Bedenken?
Jein, aber wenn man das Geld braucht, weil es um die Existenz geht, dann ist das eine Option. Warum also nicht?

Weil es Menschenrechtsverletzungen gibt, gegen die man auch als Fussballer ein Zeichen setzen könnte.
Es ist mir schon bewusst, dass der ethische Aspekt wichtig ist. Aber ich würde allein mit einem Verzicht die Lage in Saudi-Arabien wohl nicht ändern können.

Was tun Sie, um im Gespräch zu bleiben?
Dieses Interview geben zum Beispiel, oder mich ab und zu im TV als Experte zur Verfügung zu stellen. Aber ich glaube, dass mich die Klub-Bosse auch ohne diese Auftritte noch kennen und meine Fähigkeiten einschätzen können.

Zeigen Sie sich in den Stadien?
Nein, ich war diese Saison noch nicht einmal in einem Stadion. Ich schaue aber sehr viel Fussball, und zu Hause habe ich bessere Sicht und mehr Ruhe.

Hand aufs Herz: Wünscht man den Trainerkollegen, bei welchen es gerade sportlich nicht gut läuft, dass es weiter bergab geht, weil dann die eigenen Chancen vielleicht steigen?
Nein, das würde ich nicht tun, weil ich die andere Seite auch kenne. Ich war als Trainer auch schon unter Druck und musste lesen, wer alles als Nachfolger schon in den Startlöchern steht. Das ist überhaupt nicht angenehm.

Egoismus gehört aber zum Fussball-Geschäft. Da kann man nicht nur lieb sein.
Das ist mir bewusst. Klar schaut man auch die Tabelle an und schätzt ab, ob und wo ein Türchen aufgehen könnte. Aber ich wünsche keinem Kollegen Schlechtes, wirklich nicht.

Konkret: Würde Sie der FC Basel interessieren? Man hört, es hätte schon Kontakt gegeben.
Ich kann versichern, dass das nicht wahr ist. Es gab keinen Kontakt und klar, ein Klub wie der FC Basel ist selbstverständlich eine attraktive Adresse für einen Trainer. Auch für mich. Aber ist gerade kein Thema.

Was wäre denn Ihr Wunsch?
Ich war jetzt in mehreren Klubs, wo es Chaos gab und schwierig war. Und ich mehr Krisenmanager war als etwas anderes. Ich wünsche mir ein Projekt mit Hand und Fuss, wo ich mich auf meine Traineraufgaben fokussieren kann. Ein langfristiges Projekt, wo der Trainer und seine Arbeit auch wertgeschätzt werden und sein Wissen und die Erfahrung gefragt sind.

Das klingt nach dem FC St. Gallen. Da würden Sie hervorragend hinpassen. Aber da waren Sie schon mal und es endete mit der Freistellung.
Ich glaube, ich war einfach zur falschen Zeit da. Es war immer mein Ziel, FCSG-Trainer zu sein, doch als ich es wurde, war der Klub gerade in einer Umbruch- und Unruhephase – mit drei Präsidenten innert kürzester Zeit. Ich habe die Mannschaft auf dem Abstiegsplatz übernommen, als man mich freigestellt hat, waren wir auf dem dritten Platz.

Die Trennung hat sie offensichtlich sehr geschmerzt.
Ja, der 24. April 2018 war ein Stich ins Herz. Sicher einer meiner grössten persönlichen Niederlagen bisher.

Bevor Sie bei GC Trainer wurden, war auch der FCZ im Gespräch. Bereuen Sie im Nachhinein, dass es nicht anders gelaufen ist?
Ich sass mit den Canepas am Tisch, wir hatten ein prima Gespräch und ich verliess den Raum mit einem guten Bauchgefühl. Doch am Ende hat es nicht geklappt. Aber bereuen tue ich nichts. Ich stehe zu meinem Weg. Die Erfahrungen, die ich bei GC machen durfte oder auch musste, sind viel wert und haben mich weitergebracht.

Wie sieht momentan ein durchschnittlicher Tag aus bei Ihnen?
Wenn die Töchter frühmorgens aufstehen, dann bin ich auch wach. Danach gehe ich mit dem Hund spazieren. Danach schwinge ich mich in der Regel aufs Bike. Am Nachmittag ist dann Base chillen angesagt. Am Abend Sport am TV.

Base chillen? Diesen Ausdruck kenne ich nicht.
Das heisst so viel wie entspannen. Das ist Jungendslang.

Sie werden im Januar 50, so jung sind Sie nun auch nicht mehr.
Doch, doch, ich fühle mich jung und fit, aber der Trend ist klar: Die alten weisen Trainerikonen, die werden immer seltener. Die Jugend hält auch auf der Trainerbank Einzug. Mit 36 Jahren für die Nationalmannschaft verantwortlich zu sein, wie jetzt Julian Nagelsmann in Deutschland, das war noch vor nicht allzu langer Zeit völlig undenkbar.

Sehen Sie sich mit 65 als Trainer in Pension gehen oder gibt es einen Plan B, der nichts mit Fussball zu tun hat.
Es gibt keinen konkreten Plan B. Ich denke, wenn es irgendwann mit dem Fussball vielleicht nicht mehr klappt, dann werde ich genug Management- und Lebens-Erfahrungen gesammelt haben, um auch in der Privatwirtschaft bestehen zu können und meinen Platz zu finden. Aber daran möchte ich jetzt nicht denken.

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