Heimatbesuch beim Nati-Trainer
Wieder daheim – Murat Yakin zeigt sein Basel

Murat Yakin bleibt über die Fussball-EM hinaus unser Nati-Trainer. Blick ging vor der EM auf Spurensuche und hat den Nati-Trainer in seiner alten Heimat Basel besucht.
Foto: TOTO MARTI
Blick besucht Nati-Trainer Murat Yakin in seiner Heimat
Publiziert: 12.07.2024 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2024 um 11:36 Uhr

Als Fussballer war er ein Genie, aber auch einer, der seine Trainer und Mitspieler in den Wahnsinn treiben konnte. Als Nationaltrainer hat Murat Yakin (49) die Schweiz vor zwei Jahren an die WM nach Katar geführt. Doch seit ein paar Monaten sieht er sich auch Kritik ausgesetzt: Eine schwierige EM-Qualifikation und öffentliche Diskussionen mit Schlüsselspielern führten dazu, dass sogar sein Vorgesetzter Pierluigi Tami lautstark über Veränderungen nachdachte. Gleichzeitig machte Yakin privat eine schwere Zeit durch, als im November seine Mutter starb. Dann tauchte er am Rand eines Prozesses gegen einen Hells Angel auf, der wegen schwerer Delikte verurteilt wurde und der für ihn Uhren verkaufen sollte. Während der EM in Deutschland wurde Yakin dank den grossartigen Nati-Leistungen und seiner Kult-Brille über unsere Landesgrenze hinaus zum Star.

Wie tickt der Mann, dessen Vertrag bei der Nati nun verlängert wurde? Wo kommt er her? Blick macht sich mit Yakin auf Spurensuche. In Münchenstein und Basel, wo Yakin aufgewachsen ist. 

Münchenstein

Es ist ein Donnerstagmorgen im April, 8.30 Uhr, leichter Schneefall. Der Nati-Trainer kommt auf leisen Sohlen. Das Verbandsauto summt vollelektrisch, als Murat Yakin den schmalen Weg vor seinem Elternhaus entlang fährt, ums Eck biegt und wieder davonrollt. Kurz darauf kommt er zu Fuss zwischen ein paar Bäumen hervor. «Früher konnte man hier links und rechts noch parkieren», sagt er lachend.

Es hat sich einiges verändert im Quartier Neue Welt in Münchenstein, wo er aufgewachsen ist. Und manche Dinge sind immer noch gleich. Vom Balkon winkt einer, als er Yakin erblickt, wenig später kommt ein älterer Herr des Weges. Yakin: «Hallo Fredy, wie gehts? Lange nicht gesehen.» Fredy ist der Vater von Dirk, mit dem Yakin bei den D-Junioren zusammenspielte. Yakin war der beste Spieler des Teams, Dirk der Goalie.

Jeden Tag spielten Murat und sein jüngerer Bruder Hakan im Quartier Fussball.
Foto: TOTO MARTI

Wenn seine Jugend manchmal als hart und entbehrungsreich beschrieben wird, stimmt das, weil Mutter Emine ihre Kinder alleine durchbringen musste. Geld war wenig vorhanden, Status und Prestige schon gar nicht. Vieles aber wirkt idyllisch in der Münchensteiner Siedlung, wo die Yakins ab 1982 wohnten. Ein paar Strassen weiter steht eine alte Fabrik für Basler Läckerli. Gleich ums Eck liegt der Robinsonspielplatz, auf dem sich Murat und sein kleiner Bruder Hakan austobten, ein paar Meter weiter zeigt Yakin auf ein frei stehendes Haus: «Da hat Roger Federer gewohnt.» Christina Surer ist im selben Quartier aufgewachsen.

Keinen Steinwurf vom alten Balkon der Yakins entfernt liegt die Wiese, auf der Murat, Hakan und die anderen Kinder und Jugendlichen früher kickten. Der Fussballplatz ist mittlerweile mit Büschen überwuchert, die Tore sind weg. Das Gras steht hoch. «Hakan und ich haben hier mit 6 und 8 Jahren gegen andere Kids und erwachsene Männer gespielt, jeden Tag. Strassenfussball pur. Ich musste mich da schon durchsetzen», erzählt er. «Aber wir waren unbekümmert und machten uns keine Gedanken. Du gehst einfach mit den Jungs mit und kickst.»

Murat Yakin besucht sein altes Viertel
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«Hier bin ich aufgewachsen»:Murat Yakin besucht sein altes Viertel

Da war Mama Emine noch nicht so präsent, wie sie es später sein würde. «Sie wusste nie genau, wo wir sind. Entweder auf dem Spielplatz, auf dem Fussballplatz oder sonst wo.» Als es dann bei Concordia Basel ernster wurde mit dem Fussball, änderte sich das. «Sie hat uns täglich auf den Fussballplatz begleitet. Wenn andere mit 14, 15 Jahren eine Freundin hatten, kam das für uns nicht infrage. Unsere Mutter hat uns da schon kontrolliert. Sie hat ein paar Gefahren gesehen, die wir nicht sahen.» Mussten Sie Ihre Freundinnen also heimlich treffen, Herr Yakin? Lautes Lachen. «Ja.»

Die innige Beziehung der Yakin-Brüder zu Mutter Emine ist bestens dokumentiert. Legendär die Bilder, wie sie in den Nullerjahren mit dem Dreirad zum Training auf dem FCB-Gelände fuhr. Im vergangenen November stirbt sie 89-jährig – in einer Phase in Yakins Karriere, in der ihm als Nationaltrainer der mediale Wind steif ins Gesicht bläst. «Am Schluss musst du loslassen können», sagt er. «Es war eine Befreiung für sie, was dich in dem Moment aber nur wenig tröstet. Ich vermisse sie jeden Tag. Sie stand immer hinter mir, immer. Ein Fels in der Brandung.»

Auch im Robinsonclub waren Murat und Hakan Yakin immer wieder mal anzutreffen.
Foto: TOTO MARTI

St. Jakob-Park

Knapp zwei Kilometer von der früheren Wohnung der Yakins entfernt liegt das Joggeli. Es ist der Sehnsuchtsort der jungen Murat und Hakan. Das Stadion des FC Basel liegt in Sichtweite, mit dem Velo entlang der Birs ein Katzensprung. Dank Halbbruder Ertan Irizik, der zehn Jahre älter ist als Murat und Mitte der Achtzigerjahre beim FCB spielt, haben die beiden schon früh eine Bezugsperson im Profifussball. «Wir sind in einer Fussballfamilie gross geworden. Auch wegen Ertan hatten Hakan und ich das Ziel vor Augen, mal etwas im Fussball zu erreichen», sagt Yakin.

Mit dem FCB gewann Yakin als Spieler und Trainer fünf Meistertitel.
Foto: Toto Marti

Während Hakan bereits 1995 zum ersten Mal für den FCB spielt, führt der Weg von Murat via GC, Stuttgart und Fenerbahce Istanbul in seine Geburtsstadt. Ab 2001 im neu eröffneten St. Jakob-Park startet der FCB unter Christian Gross und mit Abwehrchef Yakin so richtig durch. 2002 feiert Rot-Blau den ersten Meistertitel nach über 20 Jahren. Es folgen für Murat diverse weitere Meister-Partys auf dem Barfüsserplatz und magische Europacup-Nächte – als Spieler wie auch als Trainer.

Yakin muss lachen, als er auf der FCB-Bank im leeren Stadion Platz nimmt. Sitzheizung und Steckdosen gab es zu seiner Zeit noch nicht, denn iPads waren bei Trainern damals noch nicht en vogue. Yakin erinnert sich zurück an unzählige Siege, wobei ihm einer in besonderer Erinnerung bleibt. Es ist der 28. August 2002, der FCB kämpft gegen Celtic Glasgow um den erstmaligen Einzug in die Champions League. Nach einem 1:3 im Hinspiel wendet der FCB im bis auf den letzten Platz gefüllten Stadion das Blatt, führt nach 22 Minuten 2:0. Torschütze: Murat Yakin per Kopfballaufsetzer. Der FCB verteidigt den Vorsprung über die Zeit.

«Ein Gefühl von Unbesiegbarkeit», beschreibt Yakin gut zwei Jahrzehnte später den Abend. Bereits mit GC hatte er in der Königsklasse gespielt, «aber mit Basel war die Champions League noch einmal spezieller». Es war die erste «Night to remember». Viele Weitere folgten, wie das 3:3 gegen Liverpool oder später, als Yakin seinen FCB zu zwei Siegen gegen das von José Mourinho trainierte Chelsea coachte. Auch der Halbfinal-Einzug in der Europa League 2013 nach dem dramatischen Sieg im Penaltyschiessen gegen Tottenham bleibt Yakin in spezieller Erinnerung. Doch so stark wie im Sommer 2002 knisterte es im Joggeli nie mehr.

Congeli

Vom St. Jakob-Park geht es auf die Brüglinger Ebene, zum Leichtathletik-Stadion St. Jakob. Hierhin ist Emine Yakin mit ihrem Velo Hunderte von Malen gefahren, um ihren Söhnen zuzuschauen. Heute trifft der Nati-Trainer hier zwei alte Freunde. Die gleichaltrigen Renato Balmelli und Mark Sindaco haben mit Yakin bei den Junioren von Concordia Basel gespielt. Mark ist im Nachbarhaus aufgewachsen.

«Muri war besser als alle anderen, das hat man vom ersten Tag an gesehen», sagt Renato, der seine Fussball-Karriere längst beendet hat und im Immobilien-Business tätig ist. Schon früh zeigt sich aber auch, dass Yakin nicht der Mann mit der Pferdelunge ist. «Wenn uns der legendäre Schleifer Werner Mogg bei den Junioren auf einen Waldlauf schickte, hiess es schon mal: Wart hier und versteck dich, wir nehmen dich auf der nächsten Runde wieder mit», erzählt Renato grinsend. «Wir haben ihn gedeckt. Wir brauchten ihn auf dem Platz!»

Murat Yakin mit seinen Freunden Mark Sindaco (links) und Renato Balmelli (rechts), mit denen er in den Junioren von Concordia Basel zusammengespielt hat.
Foto: Toto Marti

Während Yakin als Fussballer überragt, haben die anderen andere Qualitäten. «Ich durfte ja lange nicht wirklich in den Ausgang und an Partys, da hat meine Mutter aufgepasst. Aber Mark und Renato hat sie vertraut, mit ihnen durfte ich raus. Und so haben sie von mir über Fussball das eine oder andere gelernt und ich von ihnen über manche Dinge neben dem Platz», sagt Yakin. «Wir sehen uns leider nicht mehr gleich oft wie in den Jahren, wo Muri als Trainer oder Spieler in Basel war», erzählt Jurist Mark. «Aber wenn wir uns sehen, ist es sofort wieder wie früher.»

Den ersten ganz grossen Moment seiner Karriere hat Yakin seinem Freund Mark zu verdanken. «Das war im Hinspiel der Erstliga-Aufstiegsspiele mit Concordia gegen Ibach», erinnert sich dieser. «Mit Murats Schuhen stimmte etwas nicht, da habe ich ihm meine gegeben.» Das waren ganz besondere Treter, erinnert sich Murat. «Pantofola d’Oro, italienische Marke, echtes Känguru-Leder. Als Italiener hatte Mark immer diese Marke, wir haben ihn darum beneidet.» Yakin zieht sich also die Schuhe des Kollegen an – und trifft per Traumtor zum entscheidenden 1:0.

«Das Tor habe ich also vor allem ihm zu verdanken», schmunzelt der Nati-Coach. Der Rest ist Geschichte: GC-Managerlegende Erich Vogel beobachtet das Spiel auf der Tribüne. Nach dem Rückspiel, Concordia steigt auf, macht er noch in der Schiri-Kabine Nägel mit Köpfen: Murat unterschreibt für die nächste Saison bei GC, Mutter Emine kassiert 10’000 Franken Handgeld.

Bei Congeli hatten die drei Freunde Mark, Renato und Murat zusammen viel erlebt.
Foto: TOTO MARTI

Pizzeria DioMio

Die Zeit vergeht, es ist kurz nach 12 Uhr. Zeit zum Mittagessen. Treffpunkt ist das DioMio an der Theaterstrasse in Basel unweit des Tinguely-Brunnens. Besitzer ist Pascal Engler (51), auch er ein guter Kumpel und ehemaliger Teamkollege Yakins bei den Concordia-Junioren. «Wir haben gemeinsam in der 1. Mannschaft von Congeli in einem Spiel gegen Bubendorf debütiert und dabei beide gleich ein Tor geschossen», erinnert sich Pascal. Auch der Aufstieg in die 1. Liga gegen Ibach sei natürlich sehr speziell gewesen.

«Ich habe Muri ein, zweimal in den Ausgang verführt», verrät Pascal lachend. In welche Clubs sie damals gingen? Der Gastronom mag sich nicht erinnern. «Aber es waren eher rockige Sachen. Und Muri musste natürlich ab und zu auch ein Bierchen trinken.» Ihr heutiges Verhältnis bezeichnet er als «schöne Freundschaft». Sie würden sich zwar auch nicht mehr oft sehen, «aber man hilft und unterstützt sich». Den Nati-Trainer beschreibt er als «charismatisch, natürlich und authentisch». Und Kollege Renato ergänzt: «Muri ist ein herzensguter Mensch und sensibel. Ihm entgeht nichts, darum ist er manchmal auch enttäuscht. Er hat eine gewisse Bauernschläue, aber das Herz am rechten Fleck.»

Yakin stösst mit seinen früheren Teamkollegen und heutigen Gastro-Unternehmern Christof Hiltmann (links) und Pascal Engler (Mitte) an.
Foto: TOTO MARTI

Die Spezialität im DioMio ist die neapolitanische Küche. Im WC sind Diego Armando Maradona und Sophia Loren auf Fotos verewigt. Beide haben – wenn auch nicht in Neapel geboren – in der Stadt am Vesuv Heiligenstatus erlangt. Maradona ist auch Yakins Lieblingsspieler, neben Fernando Redondo, dem eleganten defensiven Mittelfeldspieler. Auch er wie Maradona Argentinier.

Wie Mark und Renato schaffte es auch Pascal nicht, im Profifussball Fuss zu fassen, seine Passion wird die Gastronomie. Im Herbst 2025 übernimmt er zusammen mit seinem Geschäftspartner Christof Hiltmann – auch er ein Ex-Congeli-Spieler – die Bodega zum Strauss, nachdem die beiden 2022 ein weiteres Lokal eröffnet haben.

In diesem fand im Frühjahr 2023 auch das Ehemaligentreffen der Congeli-Junioren statt. Mark und Renato trommelten das Team zusammen, das 1988 im Final gegen Xamax den Cup gewann. Auch die beiden Trainer sind dabei. Zusammen schwelgte man in Erinnerungen, auch an den Abend im Mai 1989, als die C-Inter-Mannschaft im Wankdorf das Vorspiel des Finals im Cup der Cupsieger zwischen Barcelona und Sampdoria Genua gegen den FCZ bestreiten durfte. Andoni Zubizaretta und Gary Lineker gegen Gianluca Vialli und Roberto Mancini. Haften blieb auch die Gratulation des damaligen Barça-Trainers Johan Cruyff. Nach all den Jahren hatte man sich viel zu erzählen. «Als wir das Lokal verlassen haben, zwitscherten schon die Vögel», erinnert sich Renato.

Gruppenbild mit alten Freunden (v.l.): Christof Hiltmann, Pascal Engler, Murat Yakin, Mark Sindaco und Renato Balmelli.
Foto: Toto Marti
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