Leser fragen, Schriftsteller Thomas Meyer antwortet
Warum habe ich keinen einzigen Freund?

Ich habe zwar viele Bekannte, aber keinen einzigen richtigen Freund. Ist das normal?
Publiziert: 24.10.2016 um 09:41 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 14:48 Uhr
Thomas Meyer

Der Grund, warum so viele Menschen so wenige Freunde haben, ja viele sogar überhaupt keine, besteht darin, dass Freunde ziemlich mühselige Weggefährten sind: Sie sagen zu allem ihre Meinung und zerren einen immer wieder aus der Komfortzone heraus.

Kein Wunder, verzichtet manch einer darauf, von solchen Ekeln umgeben zu sein, und zieht die harmlose Gesellschaft seiner Bekannten vor. Von denen ist nichts zu befürchten, sie interessieren sich nicht sonderlich für einen. Freunde hingegen sehr wohl: Sie wollen ständig genau wissen, wie es Ihnen wirklich geht, und sie sind immer für Sie da, auch wenn Ihr Leben wieder mal eine peinliche Zirkusnummer ist. Eigentlich vor allem dann.

Zwar wollen wir alle solche Menschen um uns herum wissen, die uns noch besser kennen als wir selbst und uns immer wieder helfen, über uns hinauszuwachsen. Doch wir machen uns in ­ihrer Nähe auch ungemein verletzlich. Wir zeigen ihnen Dinge, die wir selbst am liebsten übersehen würden, und können ihnen nichts vormachen – im Gegensatz zu allen ­anderen um uns herum.

Vor ­unseren Freunden sind wir nackt. Sie sollten es sich deshalb gut überlegen, ob Sie diese aufsässigen Voyeure in Ihrem Leben ­haben wollen.

Falls ja, liegt es allerdings ganz in Ihrer Hand. Freunde findet man nicht zufällig, man macht sie. Je mehr Sie von sich geben, umso mehr Freundschaft wird in Ihrem Leben sein. Zeigen Sie also Interesse an den Menschen, nehmen Sie Anteil an deren Nöten, fühlen Sie mit und gewähren Sie ihnen Einblick in Ihre eigenen Schattenseiten.

Öffnen Sie sich, und zwar ganz! Aber behalten Sie dabei stets den Respekt im Auge, bei sich selbst und bei Ihrem Gegenüber. Denn wahre Freunde sind zwar immer ehrlich. Aber auch immer liebevoll. Andernfalls sind sie einfach überdurchschnittlich neugierige Bekannte.

Zur Person

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht. Haben auch Sie Fragen an ihn? magazin@sonntagsblick.ch, Betreff: «Meyer»

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht. Haben auch Sie Fragen an ihn? magazin@sonntagsblick.ch, Betreff: «Meyer»

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