Interessant an den Rassisten ist, dass kaum einer von ihnen dazu steht – stattdessen präsentieren sie sich als besonders gut informiert. Zur Sicherheit beginnen sie ihre Sätze gern mit der Erklärung, kein Rassist zu sein. Und sagen dann aber Dinge, die eben nur ein Rassist sagen kann: Asylanten kommen nur unseres Geldes wegen, Migranten sind kriminell, die Juden kontrollieren die Finanzmärkte.
Doch was bringt jemanden dazu, fremden, ihm gänzlich unbekannten Menschen Verderbtheit zu unterstellen? Rassisten operieren ja mit pauschalisierten, nicht verifizierten Behauptungen, die sie frech als Tatsachen verkaufen. Was ist ihr Motiv? Die Antwort liegt, wie so oft, im Herzen: Die Wut, die der Rassist gegen Andersartige richtet, ist ein Ventil für seine unerkannten und unbefriedigten seelischen Bedürfnisse. Ein Mensch, der mit sich und seinem Leben zufrieden ist, kommt gar nicht erst auf die Idee, Menschen dafür zu verachten, dass sie überhaupt existieren – und ihnen exakt jene Schlechtigkeit anzudichten, die der Rassist durch ebendieses Andichten ironischerweise selbst ausübt.
Ihr Mann ist kein Rassist geworden, sondern verbittert. Nun, da seine Zeit abläuft, wird ihm bewusst, was ihm entgangen ist; wofür er Zeit verschwendet und wofür er zu wenig aufgewendet hat. Er merkt, was ihm fehlt und wie viel davon unwiederbringlich verloren ist. Der nahende Tod spiegelt seine Unzulänglichkeiten. Anstatt dass er die Tage, die ihm bleiben, dafür nutzt, neue Wege zu gehen, reagiert er auf seine tiefe Trauer mit jener Wut, die gesellschaftlich leider breit akzeptiert ist: Fremdenhass. Reden Sie mit ihm, und zwar gezielt über ihn und seine Gefühle. Er wird vermutlich bald aufhören, über Migranten herzuziehen – weil er merken wird, dass er die Zeit besser für sich nutzt.
Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht. Haben auch Sie Fragen an ihn? magazin@sonntagsblick.ch, Betreff: «Meyer»
Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht. Haben auch Sie Fragen an ihn? magazin@sonntagsblick.ch, Betreff: «Meyer»