Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet: Vor über 15 Jahren versuchte sich der chinesische Autobauer Landwind am Start in Europa – und scheiterte kläglich, weil sein Modell Jiangling beim Crashtest versagte. Selbst ein Budgetpreis von rund 16'000 Euro konnte ihn nicht retten.
Danach versuchten es weitere: Brilliance mit abgetragener Mitsubishi-Technik im altbackenen B6, der auf Blick-Probefahrt mehrfach nicht ansprang und an dessen schlecht entgrateten Plastikteilen man sich die Finger aufschnitt. Ende 2021 ging Brilliance in Konkurs – nachdem noch Renault eingestiegen war. Oder Qoros mit der geballten Erfahrung von 400 westlichen Automanagern, die diese Marke aber nicht einmal chinesischen Kunden schmackhaft machen konnten. Und auch die Neugründung von Borgward als schweizerisch-chinesischem Projekt scheiterte kläglich.
Neue Konkurrenz für Etablierte?
Kurz: China-Autos waren lange nichts, wovor etablierte Marken sich hätten fürchten müssen. Das könnte sich jetzt ändern. Dank der Zusammenarbeit mit BMW, Mercedes oder VW haben die chinesischen Autobauer massiv hinzu gelernt. Weil Elektro die Zukunft ist, lassen sich neue Modelle mit E-Antrieb dank geringerer Komplexität leichter auf Weltmarkt-Niveau bringen.
Die ersten Marken haben in Europa Fuss gefasst. Genauer: in Norwegen. Das fünfzehnmal dünner als die Schweiz besiedelte Land wurde dank üppigen Kaufzuschüssen vom Staat und massivem Ausbau der Infrastruktur zum Elektro-Boomland, in dem Tesla in manchen Monaten 50 Prozent oder mehr der Neuwagen verkaufte. Ganz so boomts nicht mehr, aber Ende Juni waren 13 der 15 meistverkauften Autos Norwegen weiterhin elektrisch.
Los gehts in Norwegen
Zwischen Tesla, VW und BMW finden sich in der Liste unter anderem BYD und MG. Nie gehört? Gleich sieben China-Marken sind in den letzten zwölf Monaten in Norwegen gestartet – weil die Kundschaft Elektro mag, es genug Ladesäulen gibt und die Einfuhr wenigen Regeln unterliegt. Die vergleichsweise günstigen Preise tun ein Übriges. Ausserdem ist das Land zwar kein EU-Mitglied, aber so eng assoziiert, dass dort die gleichen Zulassungsregelungen für neue Modelle gelten. Wie auch in der Schweiz. Der Schritt aus Skandinavien zu uns könnte damit nur ein kleiner sein. Die sieben Marken, die binnen eines Jahres in Norwegen losgelegt haben:
1. BYD
BYD steht für «Build your Dreams» und hat die passende Tellerwäscher-Historie: Aus einer Bastelbude für wiederaufladbare Batterien wurde der weltgrösste Akku-Produzent und einer der wichtigsten chinesischen Autobauer. Mit einem E-Linienbus ist die Marke in den USA, in China arbeitete sie lange mit Mercedes. Im März wurde die Verbrenner-Produktion eingestellt, daher gibts den ziemlich europäisch wirkenden SUV Tang nur rein elektrisch. Mit 4x4, 509 PS (374 kW) und bis zu 528 Kilometern Reichweite kostet er in Norwegen umgerechnet rund 60'000 Franken.
2. Hongqi
Der Name bedeutet in China «rote Fahne» und passt perfekt – bei uns kannte man die Marke lange nur als Lieferant der prähistorisch wirkenden chinesischen Staatskarossen. Der E-HS9 katapultiert Hongqi jetzt in die Moderne: Ein extra-fetter SUV mit über 5,20 Metern Länge, dessen Front auch einem Rolls-Royce stehen würde. Auf norwegischen Bergstrassen ein Monster, aber sein Schnäppchenpreis von rund 63'000 Franken sorgt für rund zwei Prozent Marktanteil bei den Neuwagen im hohen Norden. Dafür gibts einen 90-kWh-Akku, bis zu 465 Kilometer Reichweite und bis zu 551 PS (405 kW).
3. Maxus
Maxus kennt man schon in der Schweiz – als Lieferant von E-Lieferwagen unter dem Dach des Importeurs Astara. Aber die Marke hat noch mehr in petto: in Norwegen einen Pick-up, einen Neunsitzer-Kleinbus, Vans namens Euniq5 mit sechs oder sieben Sitzen und den SUV Euniq6 (Bild). Eher ein Kompakter mit Frontantrieb mit 171 PS (130 kW), 70 kWh und 452 Kilometern Normreichweite. Dafür gibts aber auch 754 Liter Laderaum und bleibt der Preis in Norwegen bei umgerechnet nur rund 40'000 Franken.
4. MG
Moment – MG kennen wir doch? Stimmt: Schon 1923 startete die britische Automarke, war nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich und irrte nach 1981 als Teil der unseligen British Motor Cooperation umher. 1994 stieg BMW ein und stiess bei der Rover-Schwester feine Modelle an, die dennoch niemand wollte. Seit dem Konkurs 2005 gehört MG zum VW-Partner Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC). Und macht seinen VW-Gspänli mit dem elektrischen MG ZS EV (Bild) kräftig Konkurrenz oben in Norwegen. Jetzt wird er frisch geliftet mit bis zu 70 kWh Akkukapazität und 440 Kilometern Reichweite. In Norwegen kostet er ab rund 26'000 Franken.
5. Nio
Lange galt die Marke als ewiges Talent – kann sie mehr als Concept Cars? Reicht das Geld bis zur Serienreife? Wann gehts los in Europa? Letzten September startete sie mit dem Edel-SUV ES8 in Norwegen. Etwas absurd: Gerade in Norwegen ist die Ladeinfrastruktur schon gut ausgebaut, aber der Nio kommt mit auswechselbarem Akku, für den es noch nicht einmal Wechselstationen gibt. Gut 2,5 Tonnen wiegt das Fünfmeter-Schiff mit Allrad, 574 PS (400 kW) und bis zu 500 Kilometern Reichweite dank einer 100-kWh-Batterie. Gibts in Norwegen ab 54'000 Franken.
6. Voyah
Voyah? Nie gehört. Die nagelneue Marke gehört zum Dongfeng-Konzern aus dem chinesischen Wuhan, der unter anderem für Nissan, Honda, Citroën, Peugeot und Kia Modelle für den einheimischen Markt baut. Noch gibts nur den ersten Schauraum in Oslo, aber ab Ende Jahr exportiert Voyah mit dem SUV Free erstmals auch ein eigenes Modell nach Norwegen. Optional gibts Allrad und bis zu 694 PS (510 kW), die Reichweite liegt bei rund 505 Kilometer aus 88 kWh Batteriekapazität. Auch beim Preis toppt Voyah die Konkurrenz aus dem eigenen Land mit 71'000 Franken.
7. Xpeng
Gerade mal acht Jahre alt ist Xpeng, aber hat in Norwegen vier Modelle am Start. Auch dank massiver Investitionen des chinesischen Megakonzerns Alibaba, arabischer Staatsfonds und eines Börsengangs in New York 2020. Flaggschiff ist die Flügeltürer-Limousine P7 Wing Edition (Bild), die es aber auch ohne Geflügel als P7 gibt. Darunter rangieren die bald kommende Limousine P5 und der SUV G3i. Letzterer schafft 420 Kilometer. Der grosse P7 tritt gegen Teslas Model S mit 4x4 und bis zu 470 Kilometern Reichweite an. Selbst mit Flügeltüren bekommt man den P7 für rund 67'000 Franken.