Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger: Smart rollte in den letzten Jahren beim Mercedes-Konzern hinterdrein. Das USA-Geschäft wurde 2019 wegen Erfolglosigkeit eingestellt, Verbrenner-Versionen und der Viertürer sind bei uns längst nicht mehr lieferbar. Und der vollelektrische Fortwo rollt mit knapp 140 Kilometern Reichweite technisch auch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit daher.
Höchste Zeit für einen Neustart also – zumal Smart bisher nie als nachhaltig profitabel galt. Den legt die Marke in diesem Sommer nun hin mit neuer Unternehmensstruktur und einem komplett neuen Modell, dem #1. Blick guckte einem ersten Vorserienauto unter die Haube und klärt die Hintergründe in elf Antworten auf die wichtigsten Fragen.
1. Warum kommt der Smart jetzt aus China?
Bisher war Smart eine Tochtermarke von Mercedes-Benz und entwickelte die letzte Generation des Stadtflitzers gemeinsam mit Renault. Seit drei Jahren gibt es aber ein Joint-Venture namens Smart Limited zwischen Mercedes und dem chinesischen Autogiganten Geely (u.a. auch Mutter von Lotus, Polestar, Lynk&Co.), das den neuen Smart entwickelt, produziert und vermarktet. Mercedes liefert das Design, wie man an Scheinwerfern und Heckleuchten oder im Interieur erahnen kann. Und Geely die Technik, was das Entwicklungstempo massiv erhöht hat. Auffällig ist auch die schon gute Verarbeitung der Vorserienautos – kein Klapperplastik mehr zu spüren wie in manchem Vorgänger-Modell.
2. Warum SUV statt kleinem Zweisitzer?
Elektroantrieb war gesetzt – Mercedes will schliesslich bis 2030 möglichst nur noch E-Autos im Programm haben. Aber eine Mini-Batterie für rund 140 Kilometer Reichweite wie im aktuellen Fortwo (Bild) wäre zu wenig. Also brauchts mehr Platz in der Karosserie und mehr Höhe, weil die Batterie im Unterboden steckt. Das geht nur mit einem SUV – so funktionierts auch bei vielen anderen Marken. Das heisst aber nicht, dass nicht in Zukunft auch wieder ein Zweisitzer angeboten werden könnte. Bei Smart sagt dazu aber noch niemand etwas definitives.
3. Was soll der seltsame Name?
«Hashtag One», so spricht man den Modellnamen #1 korrekt aus. Im englischen Sprachraum wird per Doppelkreuz auch eine Nummerierung markiert – «Nummer 1» wäre aus Marketingperspektive auch kein schlechter Name. Aber: Die 1 steht für das erste Modell des neuen Unternehmens Smart, das Hashtag-Doppelkreuz für die grosse Rolle, die Digitalisierung spielen soll. Zum Beispiel, wenn Smart-Besitzer künftig per App Mitfahrer einladen oder ihren #1 an Freunde und Kollegen verleihen können.
4. Warum gibts nur noch E-Antrieb?
Erster Grund ist die Null-Emissions-Strategie von Mutter Mercedes. Zweitens sparts Entwicklungskosten, weil Partner Geely bei seinen Marken von Volvo über Polestar bis Lotus sowieso auf E-Antriebe setzt und für einen Verbrenner bei Null mit der Entwicklung hätte beginnen müssen. Und drittens brauchts den E-Antrieb auch für die Kunden in chinesischen Megacities mit ihren Zulassungsbeschränkungen. Bei der aktuellen Generation in Kooperation mit Renault waren die Verbrenner noch gesetzt, weil der Smart im anderen Blechkleid auch als Renault Twingo verkauft wurde – und daher einen Renault-Motor nutzen konnte. Praktisch ist der 15-Liter-Frunk, der Kofferraum fürs Ladekabel in der Front.
5. Gibts Allrad für die Schweiz?
Den 4x4-Antrieb mit zweitem Motor an der Vorderachse – der #1 hat ansonsten Hinterradantrieb – gibts zum Marktstart exklusiv in der Schweiz in der Pro-Plus-Version. Die Startversion namens Launch Edition kommt mit nur einem Motor und 272 PS (200 kW). Und die Leistung beim Allradler? Die ist noch nicht ganz definitiv, aber soll bei deutlich über 270 PS liegen. Weitere Antriebsversionen mit weniger Leistung werden folgen.
6. Wie weit kommt der Smart?
Vom Allradler weiss mans noch nicht, aber bei der Launch Edition soll die Reichweite im Normzyklus rund 440 Kilometer betragen. Nachgeladen wird die Batterie mit 66 Kilowattstunden (kWh) Nettokapazität mit bis zu 150 Kilowatt Ladeleistung – damit gehts von Null bis 80 Prozent in rund 30 Minuten am Schnelllader.
7. Hats genug Platz im Smart?
Definitiv, was aber bei 4,27 Metern Länge und der eher boxigen Form nicht überrascht. Das geschwungene Dach tarnt die grosse Höhe im Fond gut weg – hier hat der #1 mehr Platz als selbst grössere Stromer. Auch dank der Rückbank, die sich auf Kosten des 273 bis 411 Liter fassenden Laderaums um 13 Zentimeter nach hinten schieben lässt. Und der flache Boden gefällt. Doch warum dann die hohe, ein wenig einengende Mittelkonsole? Damit man auf Abstand und mit immerhin minimaler Privatsphäre sitzen kann, wenn man einen per App gefundenen Mitfahrer einsteigen lässt. Und wegen dem Staufach für die Handtasche darunter.
8. Wer soll den Smart kaufen?
Jeder, sagt Smart-Schweiz-Chef Remo Guthauser – und gibt damit die Antwort, die jeder Chef jeder anderen Marke geben würde. Bloss meint er nicht den einzelnen Kunden, sondern jeden Haushalt: Weil das Auto künftig mit digitalen Services vermietet, verliehen oder geteilt werden kann und so seine Kosten zum Teil einfahren kann. Und weils je nach Familiengrösse als Erst- oder Zweitauto taugt. Zielgruppe sollen 20- bis 45-jährige mit Spass an Design und Offenheit für digitale Technik sein. Oder doch eher die Generation ab 50 Jahren aufwärts, die gerne nochmals 20 oder 45 Jahre alt wäre und sich einen Neuwagen auch leisten kann?
9. Wo kann man ihn kaufen?
Früher konnte man die Smart-Händler am typischen Glasturm schon von weitem erkennen. Das ist bald passé, auch weil der #1 nicht in die Fächer im Turm passen würde. Künftig gibts schweizweit 13 Händler für die neuen Smarts – das bisherige Modell wird dann noch für den Rest seiner Laufzeit vom bisherigen Händlernetz unter Mercedes-Regie vertrieben. Den Vertrag macht der Kunde online direkt mit Smart, der Händler zeigt den #1 im Showroom und kümmert sich um Testfahrt, Beratung und Auslieferung. Selbst wenn man auf eigene Kappe online das Auto konfiguriert und bestellt, bekommt der nächstliegende Händler dafür ein Honorar – das federt das Risiko Online-Handel für die Händler ab.
10. Wieviel kostet der neue Smart?
Das ist die letzte grosse offene Frage – neben der nach den Fahreigenschaften. Für die Launch Edition rechnet Blick mit 45'000 bis 50'000 Franken. Wenn bald die Versionen mit weniger Leistung folgen, dürfte der Basispreis des #1 aber noch sinken.
11. Und wie gehts weiter?
Wenn der #1 das erste neue Smart-Modell ist, dürften #2, 3 und 4 wohl schon in der Pipeline stecken. Aber: Smart heisst nicht zwangsläufig mini, sagt Remo Guthauser. Mit dem Neustart behalte die Marke zwar die Designphilosophie und das jugendliche Image, sei aber nicht mehr auf kleine Stadtflitzer festgelegt. Künftige Smarts könnten kleiner sein als der #1 – aber auch grösser. Definitiv bestätigt ist schon eine Variante des #1. Vielleicht ein Cabrio? Ein XXL-Panoramadach wie beim Smart Concept von 2021 gibts jetzt schon im Serienauto – man müsste nur noch das Verdeck konstruieren.