Seit Jahrzehnten werden in der Türkei Autos, Nutzfahrzeuge, Busse und LKW gefertigt – aber nur von ausländischen Herstellern. Das wurmt nicht zuletzt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (67), der seit Jahren alles daransetzt, die heimische Autoindustrie mit einer eigenen Marke zu krönen.
Das könnte mit dem 2018 gegründeten Unternehmen Togg gelingen. Hinter Togg steht ein mächtiges türkisches Konsortium aus den renommierten Unternehmen Anadolu Grubu Holding, BMC Otomotiv Sanayi ve Ticaret, Turkcell Iletisim Hizmetleri, Zorlu Holding und der Union der Kammern und Warenbörsen der Türkei. Die fünf Partner sind mit je 19 Prozent beteiligt; die restlichen fünf Prozent verbleiben bei Togg.
Ex-Bosch Manager an der Spitze
Seit der Gründung der Gesellschaft steht ihr Mehmet Gürcan Karakas (56) vor, der seit Jahrzehnten mit der internationalen Autoindustrie verwoben ist – zuletzt als Verantwortlicher für Elektroantriebe beim deutschen Zulieferer Bosch. Karakas will mit Togg die europäische Autowelt aufmischen.
Dabei sieht er die E-Autos des ersten türkischen Autobauers längerfristig nicht bloss als Fahrzeuge, sondern als «smarte Devices» (intelligente Geräte) in einer vernetzten Welt. An der Consumer Electronic Show CES in Las Vegas (USA) stellte er letzte Woche seine Ideen eines Advanced Smart Mobility Ökosystems vor und präsentierte gleichzeitig eine elektrische Schräghecklimousine.
Verkaufsstart Anfang 2023
Doch das erste Fahrzeug des neuen Autobauers wird ein Mittelklasse-SUV sein, der im ersten Quartal 2023 zunächst in der Türkei auf den Markt kommen soll. «Es wird der erste rein elektrische SUV sein, der von einem nicht-traditionellen Hersteller auf dem europäischen Kontinent produziert wird», erklärt Karakas stolz. «Danach folgen auf gleicher Plattform eine Limousine und ein Fliessheckmodell im C-Segment. Mit den darauf folgenden B-SUV- und C-MPV-Modellen wird unsere Produktpalette aus fünf Modellen bestehen. Mit der gleichen DNA und der gleichen Plattform», verrät Karakas. Zum Start gibts zwei Batteriegrössen für 300 und 500 Kilometer Reichweite, sowie wahlweise 200 oder 400 PS Leistung.
Die Optik der Fahrzeuge stammt von Pininfarina. Geholfen hat dabei ein Autodesign-Promi: der türkischstämmige ehemalige VW-Designchef und nun bei Togg unter Vertrag stehenden Murat Günak (64). Der hatte ab 2007 mit dem Schweizer Unternehmen Mindset die Idee eines Schweizer Elektroautos verfolgt – doch 2012 ging Mindset pleite.
Ehrgeizige Verkaufsziele
Seit Mitte 2020 laufen in der Nähe von Gemlik im Nordwesten des Landes die Bauarbeiten an der neuen Fabrik, in der ab Ende Jahr die ersten Togg-Modelle gebaut werden sollen. In einem ersten Ausbauschritt hat die Fertigung eine Jahreskapazität von 175’000 Fahrzeugen. Bis 2030 will Togg total eine Million Fahrzeuge in fünf verschiedenen Segmenten produzieren. Ehrgeizige Ziele, denn die Türkei hat mit E-Autos bisher nichts am Hut und insbesondere die deutschen Premiumhersteller geniessen am Bosporus einen ausgezeichneten Ruf.
Die Türkei hat sich längst zu einem der wichtigsten Produktionsstandorte in Europa gemausert. Hier bauen Fiat, Ford, Isuzu, Hyundai, Renault und vor allem Toyota Fahrzeuge für den europäischen Markt. Bis September 2021 gehörte auch Honda dazu, dann wurde das Werk stillgelegt und vom türkischen Unternehmen Habas übernommen, das hier ein eigenes Hybridauto bauen will.
Im ersten Halbjahr 2021 wurden in der Türkei rund 410'000 PW und 224'000 Nutzfahrzeuge hergestellt; insgesamt 474'000 davon gingen in den Export. Aber auch die türkische Autobranche leidet unter Corona-Folgen und Chipmangel: Vor der Pandemie wurden 2019 noch über 1,4 Mio. Fahrzeuge gebaut und davon 1,2 Mio. exportiert. Türkische Kundinnen und Kunden kauften gegenüber dem Vorjahreszeitraum in der ersten Hälfte 2021 57,3 Prozent mehr Autos – befeuert von der Zinspolitik der türkischen Regierung, die über einen tiefen Leitzins Kredite verbilligte.
Die Türkei hat sich längst zu einem der wichtigsten Produktionsstandorte in Europa gemausert. Hier bauen Fiat, Ford, Isuzu, Hyundai, Renault und vor allem Toyota Fahrzeuge für den europäischen Markt. Bis September 2021 gehörte auch Honda dazu, dann wurde das Werk stillgelegt und vom türkischen Unternehmen Habas übernommen, das hier ein eigenes Hybridauto bauen will.
Im ersten Halbjahr 2021 wurden in der Türkei rund 410'000 PW und 224'000 Nutzfahrzeuge hergestellt; insgesamt 474'000 davon gingen in den Export. Aber auch die türkische Autobranche leidet unter Corona-Folgen und Chipmangel: Vor der Pandemie wurden 2019 noch über 1,4 Mio. Fahrzeuge gebaut und davon 1,2 Mio. exportiert. Türkische Kundinnen und Kunden kauften gegenüber dem Vorjahreszeitraum in der ersten Hälfte 2021 57,3 Prozent mehr Autos – befeuert von der Zinspolitik der türkischen Regierung, die über einen tiefen Leitzins Kredite verbilligte.
Dem will Togg mit solider Technik und grossem Lokalpatriotismus entgegenhalten. Was vielleicht in der Türkei noch funktionieren mag, dürfte im Rest Europas gerade gegen die etablierte Konkurrenz und die Importmarken aus Korea, China und Japan eine wahre Herkulesaufgabe werden. Auf klassische Autohändler will auch Togg, wie fast alle neuen Automarken, verzichten. Der Vertrieb erfolgt übers Internet, während Markenstores für Image und Bekanntheit sorgen sollen.
Doch auf lange Sicht will Togg sein Geld nicht nur mit Autos, sondern mit einem kompletten Ökosystem verdienen. Man holte dazu auch bereits eine Vielzahl von Kooperationspartnern ins Boot. Fraglich, ob die visionären Pläne von Karakas mit der Unterstützung von Regierungspräsident Erdogan aufgehen. Oder das automobile Türkei-Projekt doch zum Rohrkrepierer wird, angesichts der angespannten Wirtschaftslage in der Türkei mit hoher Inflation.