Ein Märchen ohne Happy End
Borgward wieder am Ende

Die Pläne waren ehrgeizig, der Start vielversprechend. Doch bald kriselte es bei der deutsch-chinesischen Marke Borgward heftig. Mittendrin: Der Schweizer Tom Anliker (58) als Vorstand für Marketing und Vertrieb.
Publiziert: 23.08.2020 um 03:16 Uhr
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Aktualisiert: 16.12.2020 um 08:27 Uhr
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Carl F.W. Borgward (1890–1963) gründete in Bremen (D) noch vor dem 2. Weltkrieg seine Fahrzeugwerke Borgward. Er schuf legendäre Modelle, ging 1961 aber in Konkurs.
Raoul Schwinnen

Es klingt nach einem Auto-Märchen mit Erfolgsgarantie. Getränkehändler Christian Borgward plant die Erweckung einer legendären deutschen Automarke aus ihrem Dornröschenschlaf. 1961 ging das Bremer Unternehmen seines Grossvaters und Gründers Carl F. W. Borgward (siehe Box) in Konkurs. Ab 2008 weibelt der Enkel von einem Luzerner Büro aus: Borgward soll wieder durchstarten. Als sich 2014 mit dem LKW-Hersteller Beiqi Foton (eine Tochter des staatlichen BAIC-Konzerns) chinesische Investoren einstellen, die auch die Markenrechte kaufen, nimmt die Idee Fahrt auf.

Das Universalgenie Carl F. W. Borgward

Vor dem Zweiten Weltkrieg steigt der Kohlenhändler-Sohn Carl Friedrich Wilhelm Borgward (1890–1963) zum Alleinbesitzer der Fahrzeugwerke Carl F. W. Borgward in Bremen (D) auf. Nach dem Krieg und Neustart ab 1948 motorisiert er mit dem Lloyd LP 300 und dem Goliath-Dreirad Arbeiter und Handwerker, die vom Töff aufs Auto umsteigen. Legendär wurde die schicke Borgward Isabella. Und Oberklasse-Modelle wie der Borgward P100 mussten selbst den Vergleich mit Mercedes nicht scheuen. Borgward brachte ein neues Modell nach dem anderen auf den Markt. Dabei kümmerte sich der Chef um alles selbst – Design, Entwicklung, Marketing oder den Export nach Amerika. Das alles war wohl zu viel gleichzeitig. 1961 ging seine Firma unter obskuren Umständen in Konkurs.

Borgward Isabella Coupé
Legendär: die schicke Borgward Isabella.
Jürg A. Stettler

Vor dem Zweiten Weltkrieg steigt der Kohlenhändler-Sohn Carl Friedrich Wilhelm Borgward (1890–1963) zum Alleinbesitzer der Fahrzeugwerke Carl F. W. Borgward in Bremen (D) auf. Nach dem Krieg und Neustart ab 1948 motorisiert er mit dem Lloyd LP 300 und dem Goliath-Dreirad Arbeiter und Handwerker, die vom Töff aufs Auto umsteigen. Legendär wurde die schicke Borgward Isabella. Und Oberklasse-Modelle wie der Borgward P100 mussten selbst den Vergleich mit Mercedes nicht scheuen. Borgward brachte ein neues Modell nach dem anderen auf den Markt. Dabei kümmerte sich der Chef um alles selbst – Design, Entwicklung, Marketing oder den Export nach Amerika. Das alles war wohl zu viel gleichzeitig. 1961 ging seine Firma unter obskuren Umständen in Konkurs.

Alles sei auf Jahrzehnte durchfinanziert, versichert Borgward beim ersten öffentlichen Auftritt im März 2015 am Genfer Autosalon. Leider gibt es auf der riesigen Ausstellungsfläche ausser dem Logo und einer Isabella aus vergangenen Zeiten nichts zu sehen. Die neue Borgward-Zentrale in Stuttgart (D) legt die Strategie fest: Die Fahrzeugkonzepte sollen in Europa entstehen, produziert wird aber in China. Oder wie es der Schweizer Manager Tom Anliker, ab Frühling 2016 Vorstand für Marketing und Vertrieb bei Borgward, formulierte: «In Stuttgart sitzt das Hirn – Beine und Arme sind in Peking.»

Anfänglich herrschte Euphorie

Zu Beginn scheint das tatsächlich aufzugehen: Die Marke wird 2015 geboren, ein Jahr später in Peking ein Produktionswerk aus dem Boden gestampft. Im zweiten Halbjahr 2016 werden die ersten beiden Modelle – dem Zeitgeist entsprechend zwei SUVs (BX5 und BX7, die verdächtig an den Audi Q5 erinnern ...) – lanciert. Sie verkaufen sich in China anfänglich ganz anständig. Bald heisst es, man denke über eine neue Fabrik am ehemaligen Borgward-Hauptsitz Bremen (D) nach, um auch in Europa in fünfstelliger Stückzahl Autos zu verkaufen.

Qualitätsmängel, Verluste, Verkauf

Dann beginnt in China der Neuwagenmarkt zu schwächeln – gleichzeitig tut sich Borgward mit der Qualität seiner Neuwagen schwer. Offiziell werden die Probleme dementiert, doch in einschlägigen Web-Foren liest man wenig Schmeichelhaftes. Das Interesse der Chinesen an der neuen alten Marke schwindet rapide, die Verkäufe brechen ein. Geldgeber Beiqi Foton verliert mit den zunehmenden Verlusten die Freude am neuen Spielzeug und verkauft Anfang 2019 zwei Drittel der Anteile für etwas über eine halbe Milliarde Franken an die chinesische Firma Ucar.

«Eine brillante Idee mit miserabler Umsetzung»

Bis vor zwei Jahren glaubten der Schweizer Tom Anliker (März 2016 bis Frühling 2019 im Vorstand) und die rund 60 Mitarbeiter in Stuttgart an den Erfolg von Borgward. Aber: Die ersten für China gebauten Borgward-Modelle hatten Qualitätsprobleme. Klimaanlage und Multimedia funktionierten nicht richtig, auch bei den Motoren gabs Schwierigkeiten. Anliker: «Während wir aus der Zentrale in Deutschland darauf pochten, erst gute Qualität abzuliefern und nachzubessern, wollten die Chinesen davon nichts wissen und weiter expandieren. Sie glaubten, eine Marke aus Deutschland reiche, damit ihre Landsleute die Autos kaufen.»

Damit konnte der damalige deutsche Borgward-Chef Ulrich Walker nicht leben und forderte von den chinesischen Geldgebern Ende 2017 freie Entscheidungsgewalt als Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Diese erhielt der frühere Daimler-Manager nicht. Als Konsequenz trat Walker im Sommer 2018 ab. Er hatte die kulturelle Kluft zwischen der chinesischen Staats- und der freien Marktwirtschaft in Europa unterschätzt, alle seine zukunftsweisenden Strategievorschläge wurden von den Chinesen abgeschmettert. Tom Anliker nennt ein Beispiel: «Statt bei den Antrieben wie von uns vorgeschlagen auf fortschrittliche Hybrid- und Elektro-Technik zu setzen, steckten die Chinesen ihr Geld lieber in die Weiterentwicklung von Dieselmotoren, um der deutschen Konkurrenz nachzueifern.» Dabei waren die ersten E-Prototypen bereits fertig.

Der Rest ist bekannt. Die Qualitätsmängel der Borgward-Fahrzeuge wirkten sich selbst in China negativ auf den Verkauf aus. Und nach dem Besitzerwechsel und dem Rausschmiss der gesamten Konzernzentrale in Europa war das Schicksal der deutsch-chinesischen Marke besiegelt. Pragmatisch fasst Anliker zusammen: «Eine brillante Idee mit miserabler Umsetzung.»

Da war die Borgward-Welt noch in Ordnung: Tom Anliker im Februar 2018 vor dem Borgward BX7.
Thomas Lüthi

Bis vor zwei Jahren glaubten der Schweizer Tom Anliker (März 2016 bis Frühling 2019 im Vorstand) und die rund 60 Mitarbeiter in Stuttgart an den Erfolg von Borgward. Aber: Die ersten für China gebauten Borgward-Modelle hatten Qualitätsprobleme. Klimaanlage und Multimedia funktionierten nicht richtig, auch bei den Motoren gabs Schwierigkeiten. Anliker: «Während wir aus der Zentrale in Deutschland darauf pochten, erst gute Qualität abzuliefern und nachzubessern, wollten die Chinesen davon nichts wissen und weiter expandieren. Sie glaubten, eine Marke aus Deutschland reiche, damit ihre Landsleute die Autos kaufen.»

Damit konnte der damalige deutsche Borgward-Chef Ulrich Walker nicht leben und forderte von den chinesischen Geldgebern Ende 2017 freie Entscheidungsgewalt als Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Diese erhielt der frühere Daimler-Manager nicht. Als Konsequenz trat Walker im Sommer 2018 ab. Er hatte die kulturelle Kluft zwischen der chinesischen Staats- und der freien Marktwirtschaft in Europa unterschätzt, alle seine zukunftsweisenden Strategievorschläge wurden von den Chinesen abgeschmettert. Tom Anliker nennt ein Beispiel: «Statt bei den Antrieben wie von uns vorgeschlagen auf fortschrittliche Hybrid- und Elektro-Technik zu setzen, steckten die Chinesen ihr Geld lieber in die Weiterentwicklung von Dieselmotoren, um der deutschen Konkurrenz nachzueifern.» Dabei waren die ersten E-Prototypen bereits fertig.

Der Rest ist bekannt. Die Qualitätsmängel der Borgward-Fahrzeuge wirkten sich selbst in China negativ auf den Verkauf aus. Und nach dem Besitzerwechsel und dem Rausschmiss der gesamten Konzernzentrale in Europa war das Schicksal der deutsch-chinesischen Marke besiegelt. Pragmatisch fasst Anliker zusammen: «Eine brillante Idee mit miserabler Umsetzung.»

Zentrale in Europa wird ausradiert

So finanzkräftig wie zuvor der milliardenschwere LKW-Hersteller ist der neue Besitzer, eine Internetplattform für Autoverkauf, Reisen und Chauffeurdienste ähnlich Uber, nicht. Dabei bräuchte Borgward dringend neues Geld, um die ehrgeizigen Pläne weiter voranzutreiben. Vom einst herausposaunten globalen Verkaufsziel von 800'000 Autos bis 2020 ist längst nichts mehr zu hören. Ideen seien das gewesen, man sei nun realistischer, heisst es nach der Übernahme. Man wolle aber nach wie vor ein globaler Player werden. Mit dem Einsatz der Borgward-Fahrzeuge für den eigenen Chauffeurdienst kann Ucar 2019 die Verkaufszahlen in China anfangs noch stabilisieren. In Deutschland wird gleichzeitig der Mitarbeiterstab der Konzernzentrale (rund 60 Mitarbeiter, darunter Tom Anliker) fristlos entlassen und die Zentrale nach Peking verlegt. Von nun an ist Borgward rein chinesisch.

Betrugsvorwürfe gegen Besitzer

Dann kommt Corona – und im ersten Semester 2020 verkauft Borgward gerade noch 5000 Autos in China. Viel zu wenig, um zu überleben. Im Gegensatz zu anderen Marken ist auch nach dem Lockdown keine Besserung in Sicht. Dazu sorgt Ucar-Eigentümer Lu Zhengyao für Negativschlagzeilen. Ihm wird Betrug mit seinem Coffee-Shop-Imperium LuckinCoffee vorgeworfen, worauf der Aktienkurs des grössten Starbucks-Konkurrenten in China um 95 Prozent einbricht. Um die Kaffeesparte zu retten, verkauft Zhengyao letzte Woche seine Fahrzeugdivision an BAIC. So gehört Borgward nun wieder zum gleichen Konzern wie bei der Geburt vor fünf Jahren. Dennoch sind die Chancen gleich null, dass die kriselnde Marke überleben wird. Borgward stirbt zum zweiten Mal. Diesmal wohl für immer.

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