Wir lieben München. Immer wieder flimmert dieser Satz über die Screens des Renault-Stands an der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA Mobility (noch bis heute). Wie ein Mantra, um den Erfolg der wichtigsten, weil einzigen internationalen Automesse des Jahres in Europa zu beschwören. Renault-CEO Luca de Meo (56) wird nicht müde, seine Begeisterung für solche Neuheitenshows zu betonen.
Bloss dringt er nur zu wenigen CEO-Kollegen noch durch. Vor zehn Jahren war die IAA, damals noch in Frankfurt am Main (D), die Leitmesse der Autoindustrie. Ein Hochamt der Automobilität, in dessen oft eigens errichteten Domen die Marken sich und ihre Produkte in den Himmel lobten. Doch spätestens seit 2019, als Klimademonstranten den Event nach München vertrieben, sind Glanz und Gloria verblasst: Dieselskandal, Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Klimakleber und die aufstrebende Konkurrenz aus China machen die Autoproduktion schon seit Jahren zum mühseligen Geschäft.
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Pflicht für die einen, Kür für die anderen
Und so sind de Meo in diesem Jahr nur noch BMW – Pflicht, weil Heimspiel –, Mercedes, Opel, Tesla und der VW-Konzern mit Audi, Cupra, Porsche und VW in die Messehallen vor den Toren der Stadt gefolgt. Statt in eigenen Tempeln zu residieren, reihen sie sich dort ein zwischen grossen Zulieferern wie Bosch, Magna, Siemens oder ZF und kleinen Start-ups, denen oft zwei Bänke und ein Monitor genügen, um eine Innovation zu präsentieren. Mit der Dominanz des Autos ist es vorbei – Anbieter von Mobilitätsservices, E-Bikes, Mineralölfirmen wie Exxon und Stromversorger stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Mag die IAA das Auto noch im Namen tragen: Das hier ist keine Automesse mehr, die Liebhaber von Power und PS noch locken könnte. Vielmehr ist sie ein Marktplatz der Ideen und Innovationen. Eine Präsentationsbühne, auf der Analysten und Branchenexperten die Zukunftsfähigkeit der Aussteller abchecken, wo Zulieferer ins Geschäft kommen oder man im Gewusel der Start-ups nach dem nächsten Einhorn sucht, mit dem es sich zu kooperieren lohnen könnte. Alles eher fad für Autofans.
Neuheiten für die Zukunft
Dabei gibt es durchaus frisches Blech zu sehen: VWs Sportler-Studie ID GTI soll vermitteln, dass Volkswagen bei aller E-Mobilität der Spass noch nicht vergangen ist. Gernot Döllner (54), frisch gebackener CEO der Edel-Schwester Audi, zeigt nur das Interieur des kommenden Elektro-SUVs Q6 E-Tron, aber dafür trumpft Cupra mit der Studie Dark Rebel gross auf. BMWs Showcar Vision Neue Klasse legt den Kurs der Marke in die Zukunft fest, Opels Concept Car Experimental das Design der kommenden Modelle. Und Mercedes zeigt mit dem elektrischen CLA Concept mit kolportierten 750 Kilometern Reichweite mit einer Akkuladung, wie man den Spagat zwischen Kompaktauto und neuer Luxusstrategie künftig schaffen will. Abgesehen von zwei Serien-Renaults also alles nur Verheissungen auf die Zukunft.
Die wirklich spannenden Themen finden sich dagegen im Kleingedruckten. Der VW-Konzern tritt mit einem Gemeinschaftsstand aller Marken auf und CEO Oliver Blume (55) versucht zu vermitteln, wie er seine Marken im Verbund in die Elektro-Zukunft führen will: Mit mehr Kundenorientierung, intelligenter Verzahnung der Marken und Technologien und einem ambitionierten Plan für die Software-Sparte Cariad, die zum Benchmark an digitaler Innovationskraft werden soll. Porsche setzt nicht nur auf E-Motoren, sondern auch synthetische E-Fuels. Gemeinsam mit HIF Global und MAN Energy Solutions soll künftig CO₂ als Rohstoff für deren Produktion aus der Luft eingefangen werden, um so dem Treibhauseffekt gegenzusteuern. Der chinesische Autobauer Nio schliesslich kündigt an, seine Tauschstationen für Autobatterien – leere raus, volle rein statt langwierigem Laden – künftig mit dem deutschen Energieversorger EnBW gemeinsam auszurollen.
Chinas Marken zeigen sich
Überhaupt: Im Vorfeld äusserten europäische Hersteller die blanke Angst, nur noch die zweite Geige an ihrer Heimmesse zu spielen. Und tatsächlich fahren die aufstrebenden Marken aus China in München ganz gross auf – überraschenderweise so, wie man es früher von den Etablierten gewohnt war: riesige Showbühnen, markige Reden und unzählige Autos auf dem Stand. Chinas Marktführer BYD enthüllte den SUV Seal-U, der wirkt wie eine bloss erhöhte Version der Seal-Limousine. Und zog das Tuch vom gemeinsam mit Mercedes entwickelten Denza D9 EV, einem rein elektrischen Nobel-Minivan.
Dongfeng mit seiner in der Schweiz gerade startenden Marke Seres, MG und XPeng, dazu Leapmotor, das sich gerade zum Sprung nach Europa bereitmacht: Sie nutzen die Messe zur Demonstration neuen Selbstbewusstseins und als Schaufenster, um Kooperationspartner zu locken. Konferenzen und Podien zu Energieversorgung oder Mobilitätsstrategien für den afrikanischen Kontinent geben satt Gelegenheit dazu.
Die Innenstadt lockt mehr
Ist der einstige Publikumsmagnet IAA also reine Businessmesse, auf der sich Autofans zwischen Anzugtragenden unwohl fühlen? Nein, denn die Musik spielt in den Open Spaces in der Münchner Innenstadt zwischen Marien- und Odeonsplatz. Porsche zeigt sich unter der überdimensionalen Silhouette eines 911ers, Mercedes stellt einen gigantischen roten Kubus auf, dazu Audi, BMW, BYD, Ford, Lotus, Mini oder VW. Hier präsentieren sie sich dann doch, die Autoneuheiten, die man bald beim Garagisten kaufen könnte – vom Cupra Tavascan bis zum VW Passat. Eine Bürgerkonferenz zur Zukunft der Mobilität soll zudem den Druck aus den Klimaprotesten nehmen. Dennoch scannen rund 4000 Polizistinnen und Polizisten aus ganz Deutschland die Innenstadt nach Sekundenkleber-Tuben.
Erst heute Abend wird Zuschauerbilanz gezogen. Aber die gut gefüllten Open Spaces sprechen schon jetzt eine deutliche Sprache: Das Thema Mobilität zieht – ganz gleich ob zwei- oder vierrädrig – noch immer geballtes Publikum an. Und das allen Unkenrufen gegen sol-
che und ähnliche Messen zum Trotz.