Wer die Autogeschichte 20 Jahre zurückdreht, dürfte sich wundern. Echte Traumautos hatten damals noch Dächer zum Öffnen – und nicht nur sie: Fast jede Marke leistete sich mindestens ein Cabriolet, bis hinunter zu den Klein- und Kompaktwagen. Und heute? Natürlich sind Edelmarken wie Aston Martin, Ferrari, Lamborghini oder Porsche ohne offene Versionen ihrer Sportwagen undenkbar. Aber in erschwinglicheren Preislagen?
Hier gibts noch mehr Autos ohne Dach
Den Höhepunkt erreichte der Cabrio-Boom eben im 2004 mit 13'540 neu eingelösten Autos – im vergangenen Jahr waren es mit 3750 nicht einmal mehr ein Drittel davon. Und wer durchzählt, kommt noch auf gerade mal noch zehn Nicht-Luxusmarken, die mindestens ein offenes Modell im Angebot haben. Vom Traumwagen zum Nischenmodell in zwei Jahrzehnten – wie konnte das passieren?
Im Jahr 1989 trat Mazda den Trend mit seinem MX-5 los. Der Sportflitzer ohne Dach war erschwinglich, sah sensationell aus und brachte Offenfahren wieder ins Bewusstsein – fast wie die britischen Roadster der 1950er- und 1960er-Jahre, deren Konzept er in die Moderne rettete. Danach brachen alle Dämme. Jede Marke wollte solch ein Knallermodell und kippte dafür sogar ihre Designgrundsätze über Bord.
Cabrio-Boom selbst bei günstigen Marken
Ob Renault Megane, VW Golf oder Opel Astra: Selbst millionenfach gebaute Massenmodelle wurden zu Frischluft-Flitzern aufpoliert. Bei Daihatsu Copen, Ford Streetka, VWs Beetle Cabrio oder Opels Tigra schüttelte es manchen Autofan – aber sie alle demokratisierten das Fahren unter freiem Himmel. Citroëns C3 Pluriel war keine Schönheit, aber gleich mehrere Autos in einem: Limousine mit Dach, Viersitzer-Cabrio mit zurückgerolltem Stoffdach und im Kofferraum verstautem Verdeckkasten, ein Spider, wenn man die Dachholm abnahm, und ein Pick-up, wenn man die Rückbank zur Ladefläche umklappte.
Manche Modelle mussten fürs Frischluft-Glück noch den letzten Rest an Eleganz opfern dank des damals neuesten Schreis: dem Stahlklappdach. Geschlossen taten Mitsubishi Colt CZC, Peugeot 308 CC, Ford Focus CC und Co. so, als wären sie eine Limousine, offen faltete sich das feste Dach in oft beeindruckender Choreografie ins ungünstig voluminöse Heck. Von drinnen sah man von Letzterem immerhin nichts. Aber sie machten das Cabrio auch für jene alltagstauglich, denen ein Stoffverdeck als zu windig für schlechtes Wetter erschien.
Krisen und der Rotstift
Dann begann der Abstieg: Alfas Spider, Mercedes SLK und das Cabriolet der S-Klasse, Renault Wind und VW Eos – alle mit grossem Auftrieb lanciert und dann sang- und klanglos eingestellt. Audi A3, Volvo C70 und Honda S2000 sind ebenso verschwunden wie der offene Smart. Zuletzt schlossen Audis Roadster TT, Lexus LC und die Cabriolet-Versionen der Mercedes C- und E-Klasse für immer ihre Dächer; gerade gehen Jaguars F-Type und der offene VW T-Roc auf ihre letzte Runde.
Die Gründe sind vielfältig: Diverse Finanzkrisen drückten die Kauflaune – und Autohersteller sparen dann zuerst beim Nicht-unbedingt-Notwendigen wie den Cabrios. Erste Opfer von Carlos Tavares' Sparkurs bei Peugeot wurden 2014 die Klappdach-Modelle. Bis heute stehen offene Autos ganz oben auf der Abschussliste, wenn der Rotstift gezückt wird. Je weniger Varianten von einem Modell angeboten werden, umso einfacher und günstiger wird die Produktion. Weil die Elektromobilität Entwicklungsressourcen und Budgets bindet, fallen die nur in homöopathischen Dosen verkauften Cabrios aus dem Programm oder werden nach Auslaufen nicht mehr erneuert. Ein Grund, warum Mercedes seine offene C- und E-Klasse durch ein neues Modell namens CLE ersetzt hat.
Elektro-Trend pusht SUVs
Zudem toppten offene Versionen auch in den kleinen Segmenten immer die Preislisten. Weil Karosserien ohne Dach zusätzlich versteift werden mussten und komplexe Klappdächer teuer sind – von herausnehmbaren Dachholmen, die trotzdem einem Überschlag standhalten wie beim Citroën C3 Pluriel ganz zu schweigen. Zudem machten neue Sicherheitsvorschriften wie Rohre in den Türen als Seitenaufprallschutz, Sicherheitskopfstützen oder die Airbags im Scheibenrahmen die Autos weder günstiger noch schöner. Schliesslich: Es mag sich nicht mehr jeder offen im Auto exponieren – das zeigt der ungebrochene Boom zum SUV, in dem man sich eher abschottet von der Aussenwelt. Und einen Sonnenbrand will man sich ebenso wenig zumuten wie tendenziell schlechtere Luft auf den Strassen der Auto-Boommärkte Indien oder China.
Der Umschwung in Europas Autoindustrie vom Verbrenner zum E-Motor dürfte unterhalb des Luxussegments bald weitere Cabrios das Leben kosten. Einerseits hilft zwar eine Batterie im Unterboden bei der nötigen Karosserieversteifung. Andererseits ist der Platz für angemessene Batteriekapazität für ausreichende Reichweite vor allem in der Höhe begrenzt. Der Löwenanteil neuer Stromer kommt zudem als SUV – und die schneidet man nur ungern im Dachbereich auf.
E-Mobilität wird auch zur Cabrio-Chance
Es gibt Ausnahmen: Minis Cooper SE wurde zuletzt in Kleinserie auch als Cabriolet mit Elektroantrieb aufgelegt. Wird einen Nachfolger auf Basis der gerade lancierten neuen Generation geben? Gut möglich, denn es gibt ihn weiterhin als cabriotauglichen Dreitürer. Im November startet auch bei uns MGs vollelektrischer Cyberster, bei dem man sich von aussen wundert, wo in der schlanken Karosserie eine Batterie für bis zu 800 Kilometer Reichweite stecken soll. Auch die Volvo-Schwester Polestar hat einen offenen Polestar 6 angekündigt, der aber wohl noch ein paar Jahre brauchen dürfte.
Aber was wurde aus dem Trendsetter von einst? Mazdas MX-5 wird jetzt 35 Jahre alt, hält sich auch zehn Jahre nach dem Launch der aktuellen Generation noch im Modellprogramm – und in jeder Cabrio-Jahresstatistik.