Erfunden haben es die Briten. Continental nannten ihre Autobauer vor rund 100 Jahren jene Modelle, mit denen man sich reisend aufs Festland und quer durch Frankreich wagen konnte, ohne wie sonst oft auf dem Weg ins nächste Dorf liegenzubleiben. Mit Extra-Komfort und viel Platz boten sie alle Annehmlichkeiten für den langen Roadtrip – und heute noch nennt Bentley ein Coupé so.
Wir machen uns lieber im Rennwagen auf den Weg, in Ferraris Cabrio SF90 Spider. Viel mehr geht gerade nicht bei Ferrari – weder bei der Leistung von exakt 1000 PS, noch beim Preis von mindestens 535'481 Franken.
Nur das Sondermodell SF90 XX kommt auf noch 30 PS mehr. Für unseren Testwagen müsste man zudem noch gut zehn Prozent Preisaufschlag einkalkulieren, dank des Assetto-Fiorano-Pakets mit silbern folierter Nase, Carbon-Spoiler, rennstreckentauglichen Federn und Dämpfern und speziellen Pneus. Macht 21 Kilogramm Gewicht weniger und mehr Kick, vor allem in Kurven.
Frankreich wie früher?
Aber wir wollen reisen statt rasen. Das Ziel ist Le Mans (F), jetzt im Juni Sehnsuchtsort der Motorsportfans, weil dort das legendäre Rennen über 24 Stunden zum 100. Mal ausgetragen wird. Nicht auf direktem Weg, denn wir suchen das alte Frankreich: Bistros an sonnenhellen Plätzen, Pernod-Werbung an den Wänden, Menschen mit der Gitanes im Mundwinkel beim Dorfklatsch. Die heile Welt von Boule, Beaujolais und Baguette, wie man sie auf historischen Le-Mans-Fotos sieht. Vorsicht, Klischeefalle! Aber Spuren wirds wohl noch geben?
Kein Cabriowetter am Start in Frankfurt am Main (D) an Ferraris Mitteleuropa-Zentrale. Wo entriegelt man die Frontklappe? Und wer von uns beiden muss sein Gepäck zurücklassen? Mickrige 74 Liter fasst der Kofferraum unter der Front – einer unserer Taschen erbarmen sich die mitfahrenden Kollegen im ungleich geräumigeren Ferrari Roma. Gefühlt besteht der SF90 nur aus Motor und zwei Sitzen. Ferraris sind Luxusboliden? Boliden ja, Luxus nein. Das Interieur ist proper verarbeitet, aber karg, und unsere Smartphones laufen abwechselnd heiss, weil sie den Navi-Job übernehmen müssen.
Hinter unseren Köpfen tobt der 780 PS starke V8, zwei Elektromotoren vorn und einer hinten liefern weitere 220 PS und setzen ihre Kraft gezielt in Kurven oder beim Beschleunigen ein – bloss 2,5 Sekunden dauert es bis Tempo 100. Im Prinzip also ein Plug-in-Hybridantrieb, aber keiner zum Sparen, sondern einer zum Spurten, der Drehmomentlücken beim Benziner stopft. Rein elektrisch fährt der SF90 natürlich auch, aber die versprochen 25 Kilometer schafft er nur im Einparkier-Tempo.
Maskottchen im Museum
In Karlsruhe (D) biegen wir bei ersten Sonnenstrahlen ab über die Grenze ins Elsass. Kurz vor Besançon bricht sie dann endlich voll hervor. Innert 14 Sekunden faltet sich das Blechklappdach nach hinten und ölig-zähe Sonnencreme aus dem nächstbesten Dorfladen schützt ab jetzt unsere Haut wie klebriger Lack. Weiter gehts auf der Autobahn, denn Frankreich ist auch geografisch so gross wie sein Selbstbewusstsein – nur über Nebenstrassen käme man nie irgendwo an. Bei Maximal-Tempo 130 bleibt der grosse Sturm im Interieur trotz offenem Dach aus; dafür trompetet der V8 hinter unseren Rücken jetzt umso intensiver.
Boxenstopp bei Michelin in Clermont-Ferrand, wo auch die Pneus unseres SF90 entwickelt worden sind. Doch im Werksmuseum bekommt man den Eindruck, Michelin würde nur pummelige Plastikpuppen produzieren: Das Maskottchen Bibendum hockt in allen Grössen in und auf den Vitrinen, Reifen muss man suchen.
Antrieb Plug-in-Hybrid, 4.0-V8-Biturbo-Benziner, 780 PS (574 kW), drei Elektromotoren, 220 PS (162 kW), Systemleistung 1000 PS (735 kW), 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Allradantrieb, Akku netto 7,9 kWh, AC/DC 3,7/– kW
Fahrleistungen 0–100 km/h in 2,5 s, Spitze 340 km/h, E-Reichweite WLTP 25 km
Masse L/B/H 4,70/1,97/1,19 m, Gewicht 1659 kg, Laderaum 74 l
Umwelt WLTP 6,4 l + 12,3 kWh/100 km (Benzinäquivalent 7,8 l/100 km), CO₂ Ausstoss 162 g/km, Energie F
Preise SF90 Spider Assetto Fiorano ab 591'441 Franken (Basis ab 535'961 Franken)
Antrieb Plug-in-Hybrid, 4.0-V8-Biturbo-Benziner, 780 PS (574 kW), drei Elektromotoren, 220 PS (162 kW), Systemleistung 1000 PS (735 kW), 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Allradantrieb, Akku netto 7,9 kWh, AC/DC 3,7/– kW
Fahrleistungen 0–100 km/h in 2,5 s, Spitze 340 km/h, E-Reichweite WLTP 25 km
Masse L/B/H 4,70/1,97/1,19 m, Gewicht 1659 kg, Laderaum 74 l
Umwelt WLTP 6,4 l + 12,3 kWh/100 km (Benzinäquivalent 7,8 l/100 km), CO₂ Ausstoss 162 g/km, Energie F
Preise SF90 Spider Assetto Fiorano ab 591'441 Franken (Basis ab 535'961 Franken)
Im Plug-in-Hybrid durch die Provinz
Am nächsten Morgen gehts endlich hinein in die Provinz: Schmale Strassen durch die Wälder, endlose Geraden gefolgt von engen Kurvenschwüngen, die der SF90 tänzelnd nimmt. Was die E-Motoren beim Anbremsen vor der Kurve an Energie gewinnen, geht beim Beschleunigen gleich wieder raus, und dazu singt der V8. Nach zehn Minuten spürt man den Flow, nach einer Stunde fühlt man sich wie verwachsen mit dem SF90, so präzise reagiert er auf jede Lenk- und Pedalbewegung.
Bloss das Landleben ist nirgends zu sehen: Die alten Dorfkerne liegen menschenleer da, ihr Charme verblasst oder unter Hochglanz-Renovationen verborgen. Klatsch auf dem Dorfplatz? Völlige Stille, nur unser V8 hallt hohl durch die leblosen Dörfer. Laut scheint Frankreich gerade allein auf den Strassen von Paris zu sein, wo Hundertausende gegen die Rentenreform von Staatspräsident Emmanuel Macron protestieren. Immerhin, in den Neubaugebieten hüpfen Kinder auf Trampolinen.
Der Weg wird zum Ziel
Die Landstrassen dazwischen sind leer, nur ab und an schlagen wir einen Haken um einen kriechenden Traktor. Die Sonne sinkt langsamer als die Tankanzeige, der Abend dehnt sich, aber wir haben noch immer nicht genug vom SF90 und nehmen jeden Umweg mit, wenn die Strasse verheissungsvoll scheint. Zieleinlauf nach rund 1300 Kilometern am Chateau de Montbraye – das Abendessen ist längst abgeräumt, aber nach diesem Fahrtag ist uns das egal. Zumal der Rennwagen unsere Rücken erstaunlich wenig malträtiert hat – selbst der Fiorano-geschärfte SF90 bietet noch mehr als nur Restkomfort.
Was bleibt? Die Erkenntnis, dass Plug-in-Hybride auch nicht mehr sind, was sie mal waren – und mehr können als nur Spritsparen. Die Einsicht, dass in der Grande Nation auf dem flachen Land jetzt tiefste Provinz herrscht. Und eine Entschuldigung an Ferrari für den Schmier auf den Sitzen: Die Sonnencreme war schuld.