Neues Gutachten zum Bergsturz in Bondo GR
Behörden sollen «inakzeptables Risiko» eingegangen sein

Ein neues Gutachten zum Bergsturz bei Bondo zeigt, dass die Behörden ein «inakzeptables Risiko» eingegangen seien, in dem sie die Wanderwege vorgängig nicht gesperrt hatten. Der Fall könnte damit vor Gericht landen. Beim Bergunglück im Jahr 2017 starben acht Menschen.
Publiziert: 22.12.2023 um 19:51 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2023 um 13:40 Uhr
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Bei einem der grössten Bergstürze in der Schweiz seit über 130 Jahren sind am Piz Cengalo bei Bondo vom 23. August 2017 acht Menschen ums Leben gekommen.
Foto: Keystone

2017 erschütterte ein Bergsturz die Schweiz. Im Bergeller Seitental Val Bondasca in Bondo GR donnerten drei Millionen Kubikmeter Fels zu Tal – acht Menschen haben bei der Tragödie ihr Leben verloren.

Wie der «Beobachter» jetzt berichtet, zeigt nun ein neues Gutachten, dass die Behörden ein «inakzeptables Risiko» eingegangen sind. So kam der Geologe Thierry Oppikofer in seiner knapp 60-seitigen Expertise zum Schluss, dass die Wanderwege in das Bergsturzgebiet aufgrund einer Risikoanalyse hätten gesperrt werden müssen. Damit könnte der Fall gar vor Gericht landen.

Die Fachleute des Kantons Graubünden hätten die Erkenntnisse aus der Risikoanalyse anders interpretiert und die Bedrohung durch einen Bergsturz als «nicht massgebend verändert» eingestuft, schrieb Oppikofer. Er hingegen kam aufgrund von Berechnungen zum Schluss, dass sich das Risiko, auf dem Wanderweg zu sterben, «erheblich verschärft» hatte und zusätzliche Massnahmen hätten getroffen werden müssen.

Jetzt könnte Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben werden

Dem verheerenden Bergsturz gingen gemäss dem Gutachten zunehmende Felsstürze voraus, ausserdem seien zerrissene Felspartien und offene Klüfte am Piz Cengalo zu sehen gewesen, nach denen ein baldiger Bergsturz zumindest nicht ausgeschlossen werden konnte.

Das Bundesgericht hatte 2020 das Kantonsgericht Graubünden zurückgepfiffen, als dieses die Strafuntersuchung wegen des Bergsturzes, bei dem das Bergdorf knapp der Zerstörung entging, einstellen wollte. Die oberste kantonale Instanz hatte der Staatsanwaltschaft zunächst zugestimmt, dass der Bergsturz, gestützt auf Berichte des kantonalen Amts für Wald und Naturgefahren (AWN) nicht vorhersehbar gewesen sei.

Das Bundesgericht hingegen hiess eine Beschwerde der Angehörigen der Verschütteten gut, wonach sich das Kantonsgericht nicht nur auf die Feststellungen von Beamten hätte verlassen dürfen, sondern ein Gutachten hätte einholen müssen. Der Fall wurde neu aufgerollt.

Im Februar dieses Jahres wies das Kantonsgericht jedoch einen von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Gutachter zurück. Es hielt den Geologen für befangen. Dann kam der Waadtländer Oppikofer zum Einsatz, der jetzt seine Expertise dazu verfasste. Seine Erkenntnisse könnten nun dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Beamten des AWN wegen fahrlässiger Tötung erhebt.

Grösster Bergsturz seit 130 Jahren

Gemäss einem Artikel des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) will die Bündner Staatsanwaltschaft Anfang 2024 über das weitere Vorgehen entscheiden. Das AWN sowie andere ins Verfahren involvierte Fachleute nahmen gegenüber dem «Beobachter» keine Stellung und verwiesen auf das laufende Verfahren.

Bei dem Bergsturz handelte es sich um einer der grössten Bergstürze in der Schweiz seit über 130 Jahren. Die Todesopfer kamen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und gelten seither als vermisst. (SDA/dzc)

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