An Heiligabend läutet das Rollschinkli mit Bohnen und Kartoffeln das Fest der Liebe ein, das sich am Weihnachtstag mit vorzüglichem Fondue chinoise samt Rinds- und Schweinefleisch fortsetzt. Am Stephanstag erklimmt die Völlerei mit saftigem Truthahn, Rosenkohl und einem Meeresfrüchte-Cocktail als Vorspeise den Gipfel. Nach einer kurzen Erholungspause lockt bereits am Silvesterabend wieder ein Buffet mit verschiedensten Schlemmereien. Wein, Bier und der obligate Neujahrs-Champagner begleiten die ganzen Festgelage.
Wem im Januar die schlimmsten vorstellbaren Schmerzen durch die Hand- und Fussgelenke fahren, der weiss dann zumindest wieso. «Schlemmen erhöht die Harnsäurewerte im Blut, und das kann zu Gicht führen», sagt Lukas Schmid (57), Chefarzt Rheumatologie am Luzerner Kantonsspital. «Vor allem ein Übermass an Fleisch, Meeresfrüchten, Fruchtzucker oder Alkohol erhöht das Gichtrisiko.»
Gicht ist eine Stoffwechselerkrankung, die zur Ablagerung von Harnsäurekristallen in den Gelenken führt. Heftigste Entzündungen mit entsprechenden Schmerzen sind die Reaktion auf diese Kristalle. Akute Gichtanfälle treten ohne Vorwarnung und gehäuft in der Nacht auf. «Typisch sind Gichtanfälle am grossen Zeh oder am Fussgelenk», sagt Rheumatologe Lukas Schmid.
Ein Grossteil der von der klassischen Gicht betroffenen Patienten sind Männer zwischen 40 und 60 Jahren. In den westlichen Ländern leiden laut Experte Schmid bis zu 2,5 Prozent der männlichen Bevölkerung an dieser Zivilisationskrankheit. Frauen erkranken meist erst nach den Wechseljahren. Und mit 0,5 Prozent ist ihr Anteil wesentlich kleiner. Fachleute vermuten, dass Geschlechtshormone eine tragende Rolle bei der Entstehung von Gicht spielen. Schon Hippokrates beobachtete: «Eunuchen sind verschont von Gicht.»
Wer unter Gicht leidet, sollte kein Bier trinken
So schmerzhaft Gicht sein mag, die Krankheit ist meist gut behandelbar. Der erste Schritt ist eine rasche Schmerz- und Entzündungsbekämpfung. Langfristig muss man die Harnsäurewerte senken. Die Umstellung der Trink- und Essgewohnheiten ist die Basis. Sie reicht aber meistens nicht aus, sodass zusätzlich medikamentöse Massnahmen nötig sind. Ein chronischer Verlauf und Gelenkschädigungen sind in der Regel vermeidbar, sofern eine konsequente Behandlung erfolgt.
Gicht ist allerdings mehr als ein stark schmerzendes und geschwollenes Fussgelenk. Es gibt immer mehr Studien, die den Zusammenhang zwischen Gicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenerkrankung, Schlafapnoe und Diabetes feststellen. Alle diese Erkrankungen haben in ihrer Entstehung ähnliche Risikofaktoren wie Gicht und können sich gegenseitig verstärken. So leiden auffällig viele Gichtpatienten gleichzeitig unter einer Kombination von Übergewicht, gestörtem Zucker- und Fettstoffwechsel sowie Bluthochdruck. Sie haben deshalb bereits ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ob und wie stark die Harnsäure diese Gefährdung zusätzlich verstärken, ist schwierig zu beweisen: «Das ist die klassische Huhn-oder-Ei-Diskussion», sagt der Rheumatologe Schmid. Immerhin: Wer die Risiken kennt, kann etwas tun, um einer Gicht vorzubeugen. «Trinken Sie Alkohol nur mit Mass. Bier ist ganz verboten, wenn bereits eine Gicht vorliegt», sagt Schmid. «Gehen Sie sparsam mit Lebensmitteln um, die viele sogenannte Purine enthalten.»
Das sind besonders Geflügelhaut, Wurstwaren, Innereien, Meeresfrüchte und Hülsenfrüchte. In Broschüren – beispielsweise von der Rheumaliga Schweiz – finden sich wertvolle Tipps zu einer purinarmen Ernährung. Bereits von Gicht Betroffene sollten sich zusätzlich bei einer Ernährungsberaterin Rat holen.
Wer nun aber glaubt, ein Fleischverzicht schützte vor Gicht, dem muss Lukas Schmid widersprechen: «Auch Vegetarier können an Gicht erkranken.» Aber die meisten Gemüsesorten, Salat, Obst, Kartoffeln und Reis bereiten keine Probleme. Auch Milch und Milchprodukte sowie Eier erhöhen das Gichtrisiko nicht. Risikogruppen, die nun aber von Bier – auch alkoholfreies Bier enthält Purine – auf mit Fruchtzucker gesüsste Getränke oder auf Fruchtsäfte umsteigen, leisten sich einen Bärendienst. Denn übermässige Einnahme von Fructose steht ebenfalls ganz oben auf der Liste der Faktoren, die als Gichtauslöser gelten.