Draussen ists noch dunkel, doch Helmut Ruhl (55) ist hellwach. Wir treffen den CEO des grössten Schweizer Automobilimporteurs Amag im geräumigsten Sitzungssaal des Hauptsitzes in Cham ZG.
Blick: Herr Ruhl, in vier Wochen beginnt die Geneva International Motorshow. Gehen Sie hin?
Helmut Ruhl: Nachdem die GIMS nach vielen Jahren mal wieder stattfindet, schaue ich mir sie natürlich gerne an.
Gerne – oder mit Wehmut?
Gerne und in der Hoffnung, dass sie sich wieder als grosse internationale Show etablieren kann.
Der VW-Konzern und seine Marken, die die Amag importiert, sind wie viele andere nicht vertreten. Ein Problem für die Amag?
Die GIMS ist eine der grossen internationalen Automobilmessen. Für mich war sie sogar die beste weltweit, relevant als Imageträger für die Schweiz. Doch für uns als Importeur sind lokale Messen wie die Auto Zürich als Verkaufsmessen schon relevanter.
Gab es die Überlegung, als Amag in Genf auszustellen?
Wir sind mit ein paar Amag-Klassik-Exponaten vor Ort. Aber als Schweizer Importeur sind wir nicht in der Lage, eine internationale Messe zu bespielen.
Mit BYD und MG nutzen zwei chinesische Marken das Vakuum in Genf. Macht ihnen deren Start in der Schweiz Sorgen?
Die chinesischen Marken nutzen bei Messen, aber auch im Sport-Sponsoring jede Gelegenheit zum Einstieg. Aus meiner Sicht kommen einfach ein paar neue Mitbewerber hinzu.
Nur Mitbewerber – oder auch neue Partner für die Amag?
Wir sprechen nur mit einem Hersteller – dem Volkswagen-Konzern, von dessen Strategie und Produktportfolio wir absolut überzeugt sind. Wir haben uns 2023 auf einen Marktanteil von 32,4 Prozent gesteigert, bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen gar auf 35 Prozent. Und in diesem Jahr kommt ein Feuerwerk an rein elektrischen Autos aus dem Konzern – vom Audi Q6 E-Tron bis zum VW ID.7. Darauf konzentrieren wir uns.
Mitarbeitende: 7500, davon über 800 Lernende
Umsatz: 5,2 Mrd. Franken (2022: 4,4 Mrd. Fr.)
PW-Verkäufe: 81'781 (+14,4 Prozent, 2022: 71’514)
Marktanteil PW: 32,4 Prozent (+0,7 %, 2022: 31,7 %)
Mitarbeitende: 7500, davon über 800 Lernende
Umsatz: 5,2 Mrd. Franken (2022: 4,4 Mrd. Fr.)
PW-Verkäufe: 81'781 (+14,4 Prozent, 2022: 71’514)
Marktanteil PW: 32,4 Prozent (+0,7 %, 2022: 31,7 %)
Ende Jahr hat der Bund die Importsteuerbefreiung für E-Autos aufgehoben – müssten Sie diese vier Prozent nicht aufschlagen?
Das Pushen der Elektromobilität wäre für die Schweiz mit Abstand die günstigste Massnahme, um ihre CO₂-Ziele zu erreichen. Die grossen Investitionen haben die Hersteller im Ausland getätigt, jetzt müsste die Schweiz den Ausbau der Strom- und Ladeinfrastruktur unterstützen. Von daher hätte ich mir eine andere Entscheidung gewünscht. Aber wir werden dafür sorgen, dass wir auch mit der neuen Steuer weiter wettbewerbsfähig sind.
Tesla hat den Preis des Model Y um 3000 Franken reduziert. Wird die Amag reagieren?
VW hat am Freitag informiert, dass sie neue United Sondermodelle lancieren, bei denen der Preisvorteil je nach Modell zwischen 4500 und 8750 Franken liegt. Auch gegen Tesla sind wir gut aufgestellt sein, auch dank neuer Leasingangebote. Unsere Elektroautos werden definitiv eine gute Wahl bleiben.
Ist das auch der Versuch, mehr Schwung in die E-Mobilität zu bringen?
Die Elektromobilität ist kein Selbstläufer. Dieses Jahr sorgt die Importsteuer für viel Verunsicherung im Markt, letzten Winter war es die drohende Strommangellage. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass Stände- und Nationalrat dem Mantelerlass zur sicheren Stromversorgung durch erneuerbare Energien zugestimmt haben. Wenn die ambitionierten Ausbauziele für erneuerbare Energien umgesetzt werden, ist eine Strommangellage kein Thema mehr. Fehlt nur noch eine Ladelösung für Mieter und Stockwerkeigentümer.
Was ist das grösste Hemmnis gegen den Umstieg?
Ein Faktor sind die Anschaffungskosten, ein weiterer die Frage, ob man einmal am Tag stressfrei laden kann. Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitenden am Arbeitsplatz eine Lademöglichkeit anbieten, können diese abends mit einem geladenen Auto nach Hause fahren – und das Unternehmen kann sich im wachsenden Wettbewerb um Arbeitskräfte profilieren. Im vergangenen Jahr haben wir herausragenden Schweizer und Liechtensteiner Unternehmen wie Nestlé, Hilti oder VZug grosse Elektroauto-Flotten liefern können.
Die Amag setzt voll auf E-Mobilität – ist das nicht riskant?
Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass sich die Elektromobilität mit all ihren Vorteilen durchsetzen wird. Sie ist heute schon deutlich nachhaltiger als die Verbrennertechnologie: Laut TCS sind die CO₂-Emissionen eines E-Autos bei knapp 50'000 km Laufleistung geringer als die eines Verbrenners. Mit der Lokalisierung der Produktion wird sich der Effekt noch verstärken. Der Volkswagen-Konzern baut derzeit in Europa Batteriefabriken mit lokaler Wertschöpfung, betrieben mit grünem Strom. Die Batterieproduktion hat heute noch den grössten Anteil am CO₂-Fussabdruck des E-Autos. Der wird so massiv reduziert.
Der in Franken aufgewachsene Deutsche Helmut Ruhl (55) war vor seinem Wechsel zur Amag in unterschiedlichen Positionen bei der Daimler AG tätig – unter anderem in Stuttgart, Prag, Schlieren und Peking. Im September 2017 startete Ruhl als CFO bei der Amag Group und übernahm am 1. März 2021 den CEO-Posten. Helmut Ruhl ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und lebt in Küssnacht am Rigi SZ. Der frühere Fussballer spielt heute Eishockey bei den Amag Lightnings, fährt gerne Ski und rudert oder joggt.
Der in Franken aufgewachsene Deutsche Helmut Ruhl (55) war vor seinem Wechsel zur Amag in unterschiedlichen Positionen bei der Daimler AG tätig – unter anderem in Stuttgart, Prag, Schlieren und Peking. Im September 2017 startete Ruhl als CFO bei der Amag Group und übernahm am 1. März 2021 den CEO-Posten. Helmut Ruhl ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und lebt in Küssnacht am Rigi SZ. Der frühere Fussballer spielt heute Eishockey bei den Amag Lightnings, fährt gerne Ski und rudert oder joggt.
Wie ist die Amag-Tochter Helion als Photovoltaik-Anbieter unterwegs?
Wir haben Helion vor über einem Jahr übernommen, um den Strom für den Betrieb der von uns verkauften Elektroautos selber zu produzieren. Helion hat PV-Anlagen mit einer Stromproduktion für ungefähr 33'000 Elektroautos zugebaut, das ist fast das Doppelte von dem, was wir 2023 an E-Autos verkauft haben. Zudem baut Amag Retail ein schweizweites Schnellladenetz auf und wir bieten mit Clyde ein komplettes E-Ökosystem inkl. Ladestrom im Abopreis an. Ich bin sogar mein eigener Kunde: Amag Retail kauft PV-Strom von privaten Helionkunden, die via Solartarif Helion den Strom verkaufen und speist ihn ins Schnellladenetz ein. Der Strom wird so zum Beispiel in der Deutschschweiz produziert und im Tessin geladen.
Bei Schnee auf dem Dach zeigt eine PV-Anlagen-App trotzdem null Produktion an.
Es gibt keine Energieproduktionsart, die alle Bedarfe deckt. Aber der Charme des Schweizer Energiesystems liegt in der Kombination von Windkraft und Photovoltaik mit der Wasserkraft. Wenn die Sonne mal nicht scheint oder im Winter Photovoltaik weniger produziert, bleibt mit der Wasserkraft eine grosse Energiequelle. Ausserdem laufen auch die Kernkraftwerke noch viele Jahre. Als Stromspeicher taugt natürlich perspektivisch auch das E-Auto. Und wir sind in Synhelion investiert, ein Unternehmen, das aus Sonnenwärme synthetischen Treibstoff produzieren wird. Im Sommer wird im deutschen Jülich die erste Produktionsanlage starten.
Noch gibt es wenige E-Autos, die als Speicher zu Hause fungieren können. Wann kommen die Updates im VW-Konzern für das nötige bidirektionale Laden?
Bereits seit dem letzten Jahr gibt es Versionen bei VW und Cupra mit der 77-kWh-Batterie und aktuellstem Softwarestand. Weitere Modelle mit den gleichen Komponenten werden in den kommenden Wochen und Monaten folgen. Auch der ID.7 ist für bidirektionales Laden ausgelegt und Neuheiten, die 2024 starten, auch.
Die Preise für Solarmodule sinken – Zeichen sinkender Nachfrage?
Der Markt ist kompetitiver geworden. Und die grosse Angst vor Strommangel, die im letzten Winter zu vielen Auftragseingängen geführt hat, ist vorbei. Wir haben eine relativ stabile Nachfrage, müssen uns aber wieder ein bisschen mehr anstrengen, um Aufträge zu generieren.
Der Panel-Hersteller Meyer Burger will ein Werk in Deutschland schliessen.
Es gibt eine Überkapazität in der Solarbranche, getrieben aus China. Und die Lieferketten funktionieren wieder. Die USA schützen sich vor sehr günstigen Solarmodulen aus China – die Überproduktion landet dann in Europa.
Arbeiten Sie mit Meyer Burger zusammen?
Wir würden sehr gerne regionale Lieferketten stärken und wollen auch bei der Photovoltaik auf europäische und am besten Schweizer Produktion setzen. Es würde mich sehr freuen, wenn Meyer Burger tatsächlich in Europa und der Schweiz bleiben könnte und Europa wieder eine relevante Photovoltaikindustrie aufbaut. Grundsätzlich sollte Europa jede Zukunftstechnologie beherrschen. Wir müssen nicht alles selber machen, aber wir sollten alles können.
Wieso hat Europa bei der Photovoltaik den einstigen Vorsprung an China verloren?
Ich habe vier Jahre in China gelebt: Das Land ist sehr strategisch unterwegs. Sie haben vor langer Zeit realisiert, dass die Zukunft in den erneuerbaren Energien liegt – und dass ihre Technik gegenüber der europäischen im Hintertreffen war. Über viele Jahre hinweg hat China sehr systematisch die nötige Industrie aufgebaut und ist jetzt dominierend und beinahe Monopolist bei der Photovoltaik.
Zu den E- oder Synfuels: Diese stehen als ineffizient in der Kritik.
Ja, in der gesamten Kette sind sie knapp sechsmal ineffizienter als die direkte Nutzung des Stroms. Aber wenn man E-Fuels dort produziert, wo Wind- oder Solarkraft keine Agrarflächen konkurrenzieren und der Strom nicht anderweitig genutzt werden kann, macht das Sinn. Obwohl E-Fuels energetisch ineffizienter sind.
Das heisst: Wer lange genug wartet, wird dank E-Fuels weiter Verbrenner fahren können?
Und dann geht der Kelch der Elektromobilität vorüber (lacht)? Mit der neuen Euro-7-Norm wird es immer teurer, die Abgasvorschriften zu erfüllen – und damit verteuern sich auch die Verbrenner. Gleichzeitig werden E-Autos günstiger. Ist die Preisparität erreicht oder entwickeln sich die Preise gar zugunsten der Elektroautos, werden immer weniger einen Verbrenner kaufen. Dennoch bin ich gegen ein Verbrennerverbot und für Technologieoffenheit, damit Kunden selbst entscheiden können. Im Jahr 2040 fahren in der Schweiz noch ungefähr zwei Millionen Verbrenner – selbst wenn die Elektrifizierung so hochläuft, wie gedacht. Wenn wir diese Verbrenner mit E-Fuels betreiben könnten, hätte die Schweiz zehn Prozent weniger CO₂-Emissionen.
Bei Audi haben sich neue Modelle verzögert, bei VW gabs bei Neulancierungen immer wieder Startschwierigkeiten. Woran lags?
Unsere Branche verändert sich massiv. Und man muss erst einmal in der Lage sein, all diese Veränderungen in einem Konzern mit weit über 600'000 Mitarbeitenden stemmen zu können. Es fängt beim Geschäftsmodell an: BYD zum Beispiel ist längst vertikal integriert – von der Batterie bis zum fertigen Auto. Das fehlte in der klassischen Autoindustrie völlig. Deshalb baut VW nun eigene Gigafabriken und treibt selbst die Digitalisierung voran. Und dann verändert sich auch das Vertriebsmodell. Wir und unsere Händlerbetriebe bereiten uns seit langem darauf vor. Bei dieser Vielzahl an Veränderungen geht nie alles glatt. Aber ich bin sehr zuversichtlich.