Elektrischer Luxus. So lautete der Kern der Strategie, die Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius (55) seinem Konzern vor vier Jahren verordnete. Schluss mit volumenstarken, aber margenarmen Modellen in der Kompaktklasse. Bis 2026 sollten 60 Prozent der Mercedes-Modelle zum gewinnträchtigen High-End-Segment gehören – bei höherer Preispositionierung. Und die 1885 vom Stammvater Carl Benz (1844–1929) erstmals ins Rollen gebrachte Verbrenner-Technologie stand vor dem Ende: Ab 2030 wollte Mercedes rein elektrisch unterwegs sein.
Alles Makulatur. Weil die Kundschaft weltweit und auch in der Schweiz lieber zu E- und S-Klasse, statt zu den Stromer-Pendants EQE und EQS greift, propagierte Källenius im Frühjahr mehr Flexibilität: «Wir müssen sicherstellen, dass unsere Autos mit Verbrennungsmotor wettbewerbsfähig bleiben.» Die Elektrifizierung bleibe zwar ein Ziel, aber Benzin und Diesel sollen als Treibstoff deutlich über 2030 hinaus relevant bleiben – und Verbrenner weiterentwickelt werden.
Hier gibts mehr zur Verbrenner-Zukunft
Mit dem Rückzug von der Elektro-Revolution steht Källenius nicht alleine da. Volkswagens Konzernchef Oliver Blume (56) betont zwar, dass der nach dem VW-Dieselskandal eingeschlagene Weg der Elektrifizierung richtig sei. Dennoch schichtet er wegen der weiterhin hohen Nachfrage nach Verbrenner-Modellen das bis 2028 geplante Investitionsvolumen von rund 180 Mrd. Franken um: Ein Drittel soll neu der Weiterentwicklung klassischer Motoren gewidmet sein.
Selbst Stellantis-Chef Carlos Tavares (65) justiert nach. Dabei hatte ihn die Kritik von Verbänden und Mitbewerbern am im Juni 2023 beschlossenen Verbrenner-Verbot der Europäischen Union (EU) ab 2035 noch auf die Palme gebracht: Wenn demokratisch gewählte Regierungen die E-Mobilität durchsetzen wollten, dann müsse sich die Industrie fügen – schliesslich seien diese Regierungen von der potenziellen Kundschaft gewählt. Ab 2030 wollte Tavares nur noch E-Autos verkaufen und schon 2038 mit dem gesamten Konzern komplett CO₂-neutral unterwegs sein. Daran hält er weiter fest. Doch zu allen zuletzt lancierten Stromern vom Fiat 600e über Alfa Romeos Junior bis zum Jeep Avenger gibts nun auch Mild-Hybrid-Alternativen. Selbst der ursprünglich nur elektrisch geplante Fiat 500e soll 2025 nachträglich einen elektrifizierten Benziner erhalten.
Verbrennerverbot zur Wiedervorlage
Autokonzerne sind Supertanker, eine Veränderung der Strategie braucht Monate und Jahre, um Erfolge zu zeigen, weil Finanzplanung und Entwicklungszyklen langfristig ausgelegt sind. Dennoch passen Branchengrössen ihre Ausrichtung an. Steht der Verbrenner also vor einer Renaissance? In der Schweiz schwächt sich die Elektro-Euphorie der Jahre 2021 und 2022 ab: Ende Juni 2023 waren 20,7 aller Neuwagen ein Stromer, Ende Juni 2024 waren es nur noch 18,6 Prozent. Nimmt man Plug-in-Hybride als ebenfalls sogenannte Steckerfahrzeuge hinzu, liegt deren Anteil bei 26,5 Prozent gegenüber 29,8 im Vorjahresmonat. Gleichzeitig konnten Hybridantriebe ihren Marktanteil im gleichen Zeitraum um 6,1 auf 34,9 Prozent steigern. Auch in Deutschland, Italien, Norwegen, Schweden und Österreich zeigten die Absatzkurven für E-Autos zuletzt nach unten.
Zudem haben konservative politische Parteien das Thema Verbrennerverbot im Vorfeld der Europawahl Anfang Juni in der EU aufgegriffen – und eine Rücknahme gefordert. Der Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, Manfred Weber (51), kündigte an: «Wenn meine Fraktion nach der Europawahl eine Mehrheit herstellen kann, werden wir das vom Europäischen Parlament beschlossene Verbrenner-Verbot rückgängig machen.» Derzeit sind die EU-Parlamentarier noch mit der Organisation von Fraktionen und Mehrheiten beschäftigt. Aber sobald die neue EU-Kommission steht, dürfte das Thema Verbrennerverbot zur Wiedervorlage kommen.
In seiner Sitzung vom 28. und 29. Juni 2023 hat der Art der Umweltminister der Europäischen Union (EU) abschliessend ein Verbrennerverbot ab 2035 beschlossen. Diese Entscheidung sieht vor:
- Ab 1. Januar 2035 dürfen Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge mit fossil betriebenen Verbrennungsmotoren nicht mehr neu eingelöst werden. Das betrifft auch Fahrzeuge mit Hybridantrieb, also einer Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotor.
- Der Handel und die Einlösung von Occasionsautos mit Benziner oder Dieselmotor ist weiterhin möglich. Auch Bestandsfahrzeuge sind ausgenommen und dürfen weiterhin gefahren werden.
- Noch gibt es keinen Zeitpunkt für ein vollständiges Verbot von Benzin- und Dieselmotoren auch bei Bestandsfahrzeugen.
- Auch Motorräder und Lastwagen sind vom Verbot ausgenommen.
- Eine Ausnahme vom Verbrennerverbot könnte bilanziell CO₂-neutraler synthetischer Sprit (sogenannten E-Fuels) sein. Doch zur Umsetzung der Zulassung solcher Autos gibt es noch keinen Vorschlag.
Auch wenn die Schweiz kein EU-Mitglied ist, wird dieses Verbrennerverbot faktisch auch bei uns gelten. Denn neu eingelöste Autos müssen bei uns den Vorschriften der EU-Typgenehmigungen entsprechen – und die sehen ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr vor.
In seiner Sitzung vom 28. und 29. Juni 2023 hat der Art der Umweltminister der Europäischen Union (EU) abschliessend ein Verbrennerverbot ab 2035 beschlossen. Diese Entscheidung sieht vor:
- Ab 1. Januar 2035 dürfen Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge mit fossil betriebenen Verbrennungsmotoren nicht mehr neu eingelöst werden. Das betrifft auch Fahrzeuge mit Hybridantrieb, also einer Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotor.
- Der Handel und die Einlösung von Occasionsautos mit Benziner oder Dieselmotor ist weiterhin möglich. Auch Bestandsfahrzeuge sind ausgenommen und dürfen weiterhin gefahren werden.
- Noch gibt es keinen Zeitpunkt für ein vollständiges Verbot von Benzin- und Dieselmotoren auch bei Bestandsfahrzeugen.
- Auch Motorräder und Lastwagen sind vom Verbot ausgenommen.
- Eine Ausnahme vom Verbrennerverbot könnte bilanziell CO₂-neutraler synthetischer Sprit (sogenannten E-Fuels) sein. Doch zur Umsetzung der Zulassung solcher Autos gibt es noch keinen Vorschlag.
Auch wenn die Schweiz kein EU-Mitglied ist, wird dieses Verbrennerverbot faktisch auch bei uns gelten. Denn neu eingelöste Autos müssen bei uns den Vorschriften der EU-Typgenehmigungen entsprechen – und die sehen ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr vor.
E-Fuels statt Strom?
Dabei beflügelt die Entwicklung sogenannter E-Fuels aus regenerativer Energie und CO₂ die Befürworter der Verbrenner-Technik. E-Fuels können in normalen Motoren ohne technische Anpassungen nahezu CO₂-neutral verbrannt werden. Im Fahrzeug-Altbestand könnten sie Emissionen deutlich reduzieren – mancher Politiker wie der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (54) würde sie aber auch gerne in Neuwagen einsetzen.
Und schliesslich ist die Diskussion ums Aus für Benzin und Diesel vor allem eine europäische. In Märkten wie Südamerika, Afrika und Ost- und Südostasien werden beide Treibstoffe auf lange Sicht die Hauptrolle spielen. Alleine Asien soll 2025 gut die Hälfte des globalen Automarktes ausmachen. In Europa kommt der Branchenprimus Toyota zwar langsam, aber sicher auch rein elektrisch ins Rollen. Aber rund 90 Prozent seines Produktionsvolumens setzt er ausserhalb Europas ab – und braucht dafür Verbrenner auf dem Stand der Technik. Zuletzt kündigte er gemeinsam mit Mazda und Subaru die Entwicklung einer komplett neuen Motorengeneration an.
Rückkehr des Plug-in-Hybrids
Selbst chinesische Hersteller, die dank Elektroantrieb nicht mit der Verbrennerwelt konkurrieren müssen und deshalb Marktanteile gewinnen, kramen ihre längst verabschiedeten Benziner wieder hervor. Von 2022 auf 2023 verdoppelte sich der Absatz von Plug-in-Hybriden (PHEV) in China auf 2,8 Millionen – dank neuer Modelle mit massiv gesteigerter elektrischer Reichweite. BYDs PHEV-Limousine Qin L DM-i mit insgesamt 2100 Kilometern Reichweite wird in China umgerechnet für unter 13'000 Franken angeboten – echte Konkurrenz zum E-Auto. Und: Die seit 5. Juli geltenden Importzölle auf chinesische Autos gelten nur für batterieelektrische Modelle. So könnten China-Marken mit PHEVs weiter Marktanteile gewinnen, bis die geplanten europäischen Stromer-Werke in Betrieb gehen – und damit die Zölle gegenstandslos werden.
Mit Blick auf die aufstrebende Konkurrenz aus China nennt nicht nur der deutsche Branchenexperte Stefan Bratzel (63) die kleine Verbrenner-Renaissance eine «fatale Trendwende»: «Wenn der Ruf nach Technologieoffenheit dazu führt, dass wir nicht fokussiert die wichtigen Themen zur E-Mobilität angehen, dann gewinnen die Chinesen – und zwar weltweit», sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das Verbrennerverbot sei keine Einschränkung, sondern schaffe Planungssicherheit, die die Industrie im Hinblick auf ihre Investitionen benötige. Verlangsame sich die Umstellung auf E-Antriebe, werde der Vorsprung der chinesischen Hersteller noch grösser und würden Investitionen in europäische Produktionskapazitäten gefährdet.
Kooperation statt Konfrontation
Beispiel Batterieproduktion: Wegen des Rückgangs des E-Auto-Absatzes bremst der schwedische Batterie-Spezialist Northvolt den Ausbau seiner Werke. Gleichzeitig wird die Batterieproduktion in China aber ungebremst ausgebaut. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen (D) prognostiziert, dass die Batterienachfrage für E-Autos bis 2030 auf 4900 Gigawattstunden (GWh) steigen werde – bei dann globalen Fertigungskapazitäten von 8900 GWh, vor allem dank chinesischer Überproduktion. Dann könnte der europäischen Batterieindustrie drohen, was die Solarbranche bereits hinter sich hat: eine Schwemme chinesischer Autoakkus zum Kampfpreis, um die Überproduktion absetzen zu können.
Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) fordert daher einen Schulterschluss von Politik und Herstellern, um die E-Mobilität geplant und wirtschaftlich vernünftig hochzufahren. Ganz ähnlich äusserte sich Renault-CEO Luca de Meo (57) im Frühjahr: Er sprach sich für klare europäische Regeln für die Weiterentwicklung der Mobilität aus – statt E-Autos zu fordern, aber mit Abgasnorm-Verschärfungen für Verbrenner Geld zu binden, das in der Förderung der Elektromobilität sinnvoller eingesetzt wäre. «Bergbau, Chemie, Energie, verarbeitendes Gewerbe, Infrastrukturakteure sowie nationale und lokale Behörden müssen ihre Anstrengungen aufeinander abstimmen und an einem Strang ziehen», so de Meo.
Klimaneutralität ist gesetzt
Zumal eine Rücknahme des Verbrennerverbots kaum wahrscheinlich ist. Denn das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ist gesetzt, der Verkehrssektor muss seinen Beitrag leisten. Allerdings wird in der EU derzeit an einem Kompromissvorschlag gearbeitet, der nicht Verbrenner-Technik, sondern fossile Treibstoffe verbieten soll. Die Nutzung CO₂-neutraler E-Fuels soll dann auch für Neuwagen möglich sein – wenn deren Betankung mit fossilem Sprit technisch verhindert wird.
Doch ob jemals E-Fuels in den benötigten Mengen zur Verfügung stehen werden, steht in den Sternen. Porsches Pilotanlage in Chile schafft derzeit 130'000 Liter pro Jahr – ein Tropfen schon nur im Vergleich zum Schweizer Treibstoffkonsum von 6,1 Mrd. Litern 2023. Zudem konkurriert das Auto dabei mit Luftverkehr und Schifffahrt. Beide Branchen taugen kaum zur Elektrifizierung und sind auf CO₂-neutralen Treibstoff angewiesen.
Und schliesslich sollte man nicht nur auf Europa schauen. Weltweit wurden 2023 rund 14 Mio. E-Autos verkauft; für 2024 geht die Internationale Energieagentur (IEA) gar von 17 Mio. aus – bei einem Gesamtvolumen von rund 75 Mio. Neuwagen weltweit. Selbst in Schwellenmärkten wie Vietnam oder Thailand liegt der Stromer-Marktanteil inzwischen bei 15 bzw. 10 Prozent. Äthiopien hat bereits das weltweit erste Verbrenner-Verbot in Kraft – wenn auch eher aus wirtschaftlichen als klimapolitischen Gründen. Renaissance des Verbrenners? Eher ein letztes Aufbäumen vor dem nahenden Ende.