Die Mitte unter der Leitung von Gerhard Pfister (60) steht vor einer Sensation: Erstmals in der Geschichte des modernen Bundesstaats könnte die Nachfolgepartei der Katholisch-Konservativen, die sich 1848 gegen den neuen Bundesstaat stellten, die freisinnig-liberale Staatsgründerin überholen.
Die aus CVP und BDP fusionierte Mitte legt im neusten SRG-Wahlbarometer zu und kommt nun auf 14,8 Prozent. Damit liegt sie in der Wählergunst hauchdünn vor der FDP mit 14,6 Prozent.
Mit dem neuen Label kann die Mitte-Partei offenbar neue Wählerschichten ansprechen. Hält der Aufwärtstrend bis am Wahltag vom 22. Oktober an, liegt der dritte Platz hinter SVP (27,6 Prozent) und SP (17,3 Prozent) drin.
Beim bisher knappsten Wahlausgang kam die damalige Vorgängerpartei auf 0,1 Prozentpunkte an die FDP heran – das war 1955. Doch nun könnte die Mitte die Freisinnigen ausgerechnet im Jubiläumsjahr – «175 Jahre Bundesverfassung» – vom Treppchen stossen und in der historischen Rivalität zwischen Konservativen und Liberalen erstmals obenaus schwingen.
Spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen
Für FDP-Präsident Thierry Burkart (48), der mit einer forschen Kampfansage eigentlich die SP vom zweiten Platz verdrängen wollte, wäre dies ein Debakel. Kein Wunder, zeigte er sich jüngst am Tag der FDP in Freiburg kämpferisch. Gegenüber Blick bleibt er optimistisch: «Es wird ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen und ich freue mich darauf», kommentiert er die Umfrageergebnisse. «Für uns gibt es einen riesigen Motivationsschub, unseren Platz gegenüber der Mitte zu verteidigen.»
Nachdem das Debakel rund um die Credit Suisse die Freisinnigen gebremst hat, will sie in den letzten Wahlkampfwochen mit ihren Rezepten für eine sichere Stromversorgung oder einer Budgetkrankenkasse im Gesundheitswesen punkten. Mit ihren Vorschlägen zur Migrationspolitik versucht sie zudem die Verluste Richtung SVP einzugrenzen.
Pfister freut sich über «Aufbruchstimmung»
Mitte-Chef Gerhard Pfister übt sich derweil in Zurückhaltung. «Wie alle Umfrageresultate darf auch dieses Resultat nicht überbewertet werden», meint er. Letztlich zähle nur das Wahlresultat am 22. Oktober. Trotzdem zeigt er sich erfreut über die «Aufbruchstimmung», welche in seiner Partei derzeit herrsche.
Trotzdem stellt sich die Frage, ob die FDP ihren zweiten Bundesratssitz abgeben muss, sollte sie auf den vierten Platz verdrängt werden. Doch Burkart muss sich zumindest vorerst keine Sorgen machen – nimmt sich die Mitte doch gleich selbst aus dem Rennen. «Solange der Abstand zwischen uns und der FDP so gering ist, ist unser Anspruch auf einen zweiten Sitz im Bundesrat nicht glaubwürdig», macht Pfister deutlich. Allerdings funktioniere die heutige Zauberformel nicht mehr. «Nur die Wahlergebnisse werden zeigen, wie sich die Zauberformel weiterentwickeln muss.»
Erstmals verliert auch die GLP
Bewegung gibt es gegenüber dem letzten Wahlbarometer auch im Öko-Lager. Die Grünen bleiben mit 10,7 Prozent auf der Verliererstrasse und müssen 2,5 Prozentpunkte abgeben. Doch neuerdings verlieren auch die Grünliberalen einen halben Prozentpunkt. Sie kommen noch auf 7,3 Prozent.
Mehr zu den Wahlen 2023
Die Daten für das SRG-Wahlbarometer wurden online zwischen dem 4. und dem 25. August 2023 via Sotomo-Panel sowie über die SRG-Online-Kanäle erhoben. Die Ergebnisse basieren auf 40‘889 gültigen Teilnahmen und sind repräsentativ für die aktive Stimmbevölkerung der Schweiz. Der Stichprobenfehler beträgt +/- 1,2 Prozentpunkte.