Er wandte sich gegen das eigene Volk und zwang viele zur Flucht: Diktator Bashar al-Assad (59) regierte Syrien über 20 Jahre lang mit eiserner Hand. Viele mussten ihre Heimat verlassen und Schutz suchen – auch in der Schweiz.
Assad wurde in der Nacht auf Sonntag gestürzt. Dahinter stecken die Rebellen der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS). Der Sturz eines langjährigen Diktators ist ein historisches Ereignis, das auch die geflüchteten Syrerinnen und Syrer in der Schweiz bewegt. Was in ihnen vorgeht, haben sie Blick am Montag berichtet.
«Positiv ist, dass Assad weg ist»
Einer von ihnen ist Dara Sadun (42), Unternehmer und Coiffeur aus Bern-Bümpliz. Er kam 2003 via Schlepper aus Syrien in die Schweiz. Über den Assad-Sturz sagt er zu Blick: «Die zwei letzten Nächte waren für mich sehr aufregend! Ich konnte fast nicht schlafen. Ich schwankte zwischen es glauben und es nicht glauben.» Alles sei so schnell gegangen: «Ich habe nicht erwartet, dass die Regierung so schnell nach so vielen Jahren zusammenbricht. Mich hat es erstaunt, dass die Gruppen so schnell vorangekommen sind.»
Seine Hoffnung: sich irgendwann in Syrien frei bewegen zu können, auch mit seinen Kindern. Doch noch sei die Zukunft dort ungewiss: «Es ist zu früh, um zu sagen, wie es für Syrien weitergeht. Positiv ist, dass Assad weg ist.» Für immer in sein Heimatland zurückkehren, kommt für Sadun aber nicht infrage: «Ich lebe schon so lange in der Schweiz. Habe hier ein Fundament aufgebaut, habe hier meine Familie und vieles mehr.» Er gesteht: «Ich fühle mich als Schweizer, nicht als Syrer.»
«Für uns Kurden ist die Zukunft ungewiss»
Auch Köchin und Instagram-Foodbloggerin Shahinaz Bilal (62) musste sich fernab der Heimat ihr Leben neu aufbauen. Die sechsfache Mutter floh mit ihrer Familie vor neun Jahren aus Syrien in die Schweiz. Bilal sagt zu Blick: «Wir haben die Schweiz aus Sicherheitsgründen gewählt, um hier ein neues Leben aufzubauen.» Für die Flucht gab es mehrere Gründe: «Der Krieg, die diktatorische Politik des Präsidenten sowie die islamischen Organisationen, die uns bekämpft haben, weil wir Kurden sind.»
Über den Sturz von Assad sagt Bilal, die in Frauenfeld TG wohnt: «Wir sind froh, dass Assad weg ist und das Land verlassen hat.» Gleichzeitig habe sie Bedenken: «Für uns Kurden ist die Zukunft ungewiss.»
Bilal hofft, dass die Zukunft in Syrien besser wird: «Vor allem, dass sich alle an der Regierung beteiligen. Also, dass alle Nationalitäten und Religionen des Landes vertreten sind. Syrien sollte nicht Einzelnen gehören.» Bilals grösster Wunsch: «Alle sollen in Sicherheit leben.»
«Ich musste vor Erleichterung weinen»
Auch Malek Ossi (32) floh 2015 aus Syrien in die Schweiz. Der junge Syrer wollte in Damaskus Jura studieren, war schon eingeschrieben. Doch dann wurde er vom Militär einberufen. Wie brutal das Assad-Regime gegen seine Bevölkerung vorging, musste Ossi am eigenen Leib erfahren: Als er an einer Demonstration teilnimmt, wird er fast angeschossen.
Ossi entschied sich zur Flucht. Über die Balkanroute kam er in die Schweiz. Mittlerweile ist er mit einer Schweizerin verheiratet, Vater einer Tochter (2) und hat hier ein Studium in Sozialer Arbeit abgeschlossen. Die Ereignisse in seiner Heimat verfolgt er aber auch heute noch sehr genau. «Als ich die Nachrichten am Wochenende las, musste ich vor Erleichterung weinen», sagt Ossi. Der Sozialarbeiter findet: «Etwas Schlimmeres als die Assad-Regierung kann man sich gar nicht vorstellen.»
Gleichzeitig zeigt sich Ossi besorgt, was jetzt unter den Rebellen in Syrien passiert. Niemand wisse, wie es weitergeht. «Es ist völlig befremdlich, jetzt über Ausschaffungen nach Syrien zu diskutieren. Die Lage ist nach wie vor völlig unübersichtlich.»
«Syrien braucht Zeit, um sich zu erholen»
Auch Zaher Al Jamous (46) musste Syrien im Jahr 2015 verlassen. Ihr Bruder holte sie per Familiennachzug über die Türkei in die Schweiz. Heute lebt die dreifache Mutter in Bern-Bümpliz und arbeitet ehrenamtlich als Arabisch-Lehrerin und macht ihren Master an der Uni Bern in Nahost-Wissenschaften.
Zu Blick sagt sie über den Assad-Sturz: «Ich habe gemischte Gefühle.» Einerseits sei sie froh, dass Assad weg sei und der Familien-Clan nach nun rund 50 Jahren nicht mehr das Land regiere. Gleichzeitig mache ihr die unklare Zukunft zu schaffen. Sie gesteht: «Ich habe Angst.» Und: «Syrien braucht Zeit, um sich zu erholen.» Gleichzeitig müsse es mit den «richtigen Leuten» wieder aufgebaut werden.