Auf einen Blick
Für Wladimir Putin (72) ist der Umsturz in Syrien ein Desaster. Der Chef einer Supermacht hat es vermasselt, seinen Verbündeten Bashar al-Assad (59) vor islamistischen Rebellen zu schützen. Das einzige, was der Kreml-Chef im Moment für den geflüchteten Assad tun kann: ihm in Moskau Asyl gewähren. Dort hat der syrische Herrscher schon vor Jahren mehrere luxuriöse Appartements gekauft.
Der russische Präsident hat sich mit seinem Versagen in Syrien aber auch ins eigene Knie geschossen. Denn für Putin ist der Assad-Sturz weit mehr als eine persönliche Schmach – auch strategisch ist Russland geschwächt. Blick analysiert, wo jetzt Putins grösste Probleme liegen.
Die beiden Herrscher Putin und Assad geschäften schon seit rund 25 Jahren miteinander, als beide an die Macht gelangten. Putin erkannte die strategische Bedeutung Syriens sofort: Er erliess dem Land nicht nur rund 10 Milliarden Dollar Schulden, sondern investierte auch.
2015 eröffneten die Russen den Luftwaffenstützpunkt Hmeimim, um Assad im Bürgerkrieg zu unterstützen. Schon 1971 hatten die Sowjets den Marinestützpunkt Tartus in Betrieb genommen – es ist der einzige direkte Anstoss der Russen zum Mittelmeer.
Steuerung des Afrikakorps
Als Gegenleistung für die jahrelange Hilfe konnte Putin auf seinen strategisch günstig gelegenen Basen in Syrien schalten und walten, wie er wollte. Von da aus begann er, labilen Regierungen afrikanischer Staaten politische und militärische Unterstützung zu bieten. Das Ziel: Ausbau des Einflusses, Handel, Plünderung der Bodenschätze, Fernhaltung des Westens.
Inzwischen sind die Russen in etwa zwölf afrikanischen Staaten aktiv. Das vom Kreml aus dirigierte Afrikakorps, dem Nachfolger der ehemaligen privaten Wagner-Gruppe, zählt schätzungsweise 20'000 Angehörige.
Angst vor Rauswurf
Die Zukunft der Russen in Syrien ist nach dem Assad-Sturz ungewiss. Mit allen Kräften bemüht sich der Kreml, seine Stützpunkte Tartus und Hmeimimauch unter der Herrschaft der Rebellen behalten zu können. Doch lassen jene Aufständischen, die erst vor wenigen Tagen noch von russischen Jets angegriffen worden sind, das zu?
Die Chance ist gross, dass die neuen Herrscher die Russen aus Syrien vertreiben werden. Dann hat der russische Präsident Wladimir Putin (72) mit seiner Afrikamission ein Problem. Das Institute for the Study of War (ISW) schreibt: «Der Verlust der russischen Stützpunkte in Syrien wird wahrscheinlich die russische Logistik, die Nachschubbemühungen und die Rotation der Afrikakorps stören und insbesondere die Operationen und die Machtprojektion Russlands in Libyen und in Afrika südlich der Sahara schwächen.»
Die afrikanischen Regierungen, die mit Russland kollaborieren oder die Absicht dazu haben, beobachten das Kreml-Desaster genau. Russland-Experte Ulrich Schmid (59) von der Uni St. Gallen sagt gegenüber Blick: «Der Zusammenbruch des Assad-Regimes und Russlands Unfähigkeit, das Regime zu schützen, sind für Russland ein schwerer Rückschlag, weil Putin seine Reputation als verlässlicher Garant für Autokraten verliert.»
Volle Konzentration auf die Ukraine?
Auch Russlands einziger Marinestützpunkt am Mittelmeer mit bis zu zehn Kampf- und Hilfsschiffen steht in der Schwebe. Marcel Berni (36), Strategieexperte an der Militärakademie der ETH: «Russland nutzt seinen Stützpunkt in Tartus, um Einfluss im Mittelmeerraum auszuüben, die Südflanke der Nato zu bedrohen sowie seine Operationen im Schwarzen Meer und im Mittelmeer zu koordinieren.» Einen alternativen Stützpunkt, der diese Möglichkeiten bietet, kann sich Berni zurzeit nicht vorstellen.
Die Putin-Pleite in Syrien könnte sich verheerend auf den Krieg in der Ukraine auswirken, meint Berni. Viele hätten in der Vergangenheit befürchtet, dass sich die USA aufgrund der Unterstützung der Ukraine und Taiwans militärisch und ökonomisch überdehnen könnten.
Mit Blick auf die jüngsten russischen Niederlagen in Armenien, Mali und jetzt auch in Syrien könne man argumentieren, dass sich Moskau überdehnt habe. Und Berni folgert: «Somit wird die Ukraine für den Kreml noch wichtiger.»