Zoff um EU-Deal: Nationaler Auslösemechanismus geplant
Bundesrat Jans will scharfe Schutzklausel!

Die innenpolitische Umsetzung der Schutzklausel gilt als harte Knacknuss im EU-Deal. Im Mai soll der Bundesrat darüber entscheiden. Im Fokus stehen vier Indikatoren, für welche konkrete Schwellenwerte definiert werden sollen.
Publiziert: 25.04.2025 um 16:50 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2025 um 14:18 Uhr
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SP-Migrationsminister Beat Jans will eine scharfe Schutzklausel für den EU-Deal.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Bundesrat plant EU-Deal mit Schutzklausel gegen Personenfreizügigkeit-Probleme
  • Vier Indikatoren mit fixen Schwellenwerten für Prüfung der Schutzklausel geplant
  • Nettozuwanderung, Grenzgänger, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe im Fokus
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Der Bundesrat biegt beim EU-Deal auf die Zielgerade ein: Voraussichtlich im Mai werden die definitiven Abkommenstexte paraphiert. Noch vor der Sommerpause will die Landesregierung nicht nur das neue Verhandlungspaket in die Vernehmlassung schicken, sondern auch die damit verbundenen inländischen Begleitmassnahmen. Beim Lohnschutz hat er den gordischen Knoten bereits durchschlagen und damit Linke und Gewerkschaften ins Boot geholt.

Doch eine andere harte Nuss gilt es noch zu knacken, um die bürgerliche Mitte zu besänftigen: Wie kann sich die Schweiz schützen, falls die Personenfreizügigkeit zu schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen führt? Eine neue Schutzklausel soll die Lösung bringen. Eine, welche die Schweiz auch einseitig gegen den Willen der EU anwenden und mit eigenen Massnahmen durchsetzen kann.

Vier Indikatoren mit fixen Schwellenwerten

SP-Migrationsminister Beat Jans (60) will die innenpolitische Umsetzung rasch klären. Dem Vernehmen nach dürfte er sein Konzept schon bald in den Bundesrat bringen – voraussichtlich Mitte Mai. Dabei will Jans konkrete Kriterien festlegen, wann die Schutzklausel ins Spiel kommen soll, wie auch die «NZZ» berichtete. Der SP-Magistrat denkt dabei an einen «nationalen Auslösemechanismus». Geregelt würde dieser mit einem neuen Artikel 21b im Ausländergesetz.

Hinter den Kulissen wird derzeit heiss über die Umsetzung diskutiert. Dem Vernehmen nach stehen dabei fixe Schwellenwerte für vier Indikatoren im Fokus: Steigen Nettozuwanderung, Arbeitslosigkeit, Grenzgängerbeschäftigung und Sozialhilfequote zu stark an, soll der Bundesrat gezwungenermassen die Aktivierung der Schutzklausel prüfen müssen.

Ist der EU-Deal ein Fortschritt oder chancenlos?
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Die konkreten Schwellenwerte würden wohl vom Bundesrat in einer Verordnung festgelegt. Noch ist unklar, wie die Parameter genau definiert werden. Denkbar wäre beispielsweise, dass der Bundesrat die Schutzklausel prüft, wenn die Sozialhilfequote vier Prozent überspringt – aktuell pendelt sie um drei Prozent. Ähnliches könnte bei der Arbeitslosenquote gelten. Der Bundesrat soll jedenfalls bereits tätig werden, wenn auch nur ein Schwellenwert überschritten ist.

Monitoring-Konzept mit weiteren Indikatoren

Bei den vier harten Indikatoren soll es aber nicht bleiben. Demnach stehen weitere Bereiche zur Debatte, die in ein Monitoring-Konzept einfliessen sollen. Bis Ende Jahr soll Jans demnach definieren, welche Kriterien in Bereichen wie Arbeitsmarkt, Wohnungswesen, Verkehr, sozialer Sicherheit und allenfalls noch weiteren Handlungsfeldern zum Zug kommen sollen.

Hier müsste der Bundesrat nicht zwingend handeln, sondern über eine Kann-Formulierung mehr Spielraum behalten. Zudem ist auch von einem kantonalen Antragsrecht die Rede.

Höchstzahlen, Lohnkontrollen, Inländervorrang

Bei den Schutzmassnahmen selbst will Jans mehr mit dem Florett als mit dem Zweihänder agieren. Denkbar sind demnach nicht nur nationale, sondern auch rein regionale oder branchenspezifische Massnahmen, welche ebenfalls im Ausländergesetz skizziert würden. Hat es zum Beispiel zu viele Grenzgänger im Tessin, könnte nur dort gehandelt werden.

So sieht der EU-Deal aus

Im Dezember trafen sich die damalige Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Bern, um den Abschluss der Verhandlungen zu feiern. Das sind die wichtigsten Punkte

  • Mit dem neuen Abkommen sollen die Spielregeln genauer festgelegt werden: Bei einzelnen Abkommen, wie zum Beispiel der Personenfreizügigkeit übernimmt die Schweiz EU-Recht. Volk oder Parlament können das ablehnen – dann drohen Strafen. Darüber entscheidet schlussendlich ein Schiedsgericht, dass den EU-Gerichtshof beizieht. Entscheiden wird das Schiedsgericht.
  • EU-Bürger können in die Schweiz ziehen und hier arbeiten. Der Bund hat hier aber Ausnahmen erreicht, zum Beispiel bei Landesverweisungen für Straftäter und dem Aufenthaltsrecht. Der Lohnschutz soll über ein dreistufiges Konzept gesichert werden. Künftige Anpassungen, die das Schutzniveau verschlechtern, muss die Schweiz nicht übernehmen.
  • Die bisherige Schutzklausel bei der Einwanderung wird konkretisiert. Die Schweiz kann sie einseitig aktivieren.
  • Künftig dürfen auch ausländische Bahnen wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren.
  • Neue Verträge gibt es unter anderem beim Strom, der Gesundheit oder Lebensmittelsicherheit.
  • Die Schweiz darf wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Die Schweiz überweist ab 2030 jährlich 350 Millionen Franken. Das Geld fliesst in Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie Bulgarien, Estland oder Kroatien.

Zum ausführlichen Artikel geht es hier.

Im Dezember beendeten Viola Amherd und Ursula von der Leyen die materiellen Verhandlungen.
AFP

Im Dezember trafen sich die damalige Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Bern, um den Abschluss der Verhandlungen zu feiern. Das sind die wichtigsten Punkte

  • Mit dem neuen Abkommen sollen die Spielregeln genauer festgelegt werden: Bei einzelnen Abkommen, wie zum Beispiel der Personenfreizügigkeit übernimmt die Schweiz EU-Recht. Volk oder Parlament können das ablehnen – dann drohen Strafen. Darüber entscheidet schlussendlich ein Schiedsgericht, dass den EU-Gerichtshof beizieht. Entscheiden wird das Schiedsgericht.
  • EU-Bürger können in die Schweiz ziehen und hier arbeiten. Der Bund hat hier aber Ausnahmen erreicht, zum Beispiel bei Landesverweisungen für Straftäter und dem Aufenthaltsrecht. Der Lohnschutz soll über ein dreistufiges Konzept gesichert werden. Künftige Anpassungen, die das Schutzniveau verschlechtern, muss die Schweiz nicht übernehmen.
  • Die bisherige Schutzklausel bei der Einwanderung wird konkretisiert. Die Schweiz kann sie einseitig aktivieren.
  • Künftig dürfen auch ausländische Bahnen wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren.
  • Neue Verträge gibt es unter anderem beim Strom, der Gesundheit oder Lebensmittelsicherheit.
  • Die Schweiz darf wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Die Schweiz überweist ab 2030 jährlich 350 Millionen Franken. Das Geld fliesst in Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie Bulgarien, Estland oder Kroatien.

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Zur Debatte stehen etwa Höchstzahlen, Kontingente oder ein effektiver Inländervorrang bei Stellenbesetzungen. Möglich wären auch eine stärkere Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Allenfalls könnte für Ausländer auch die Dauer der Stellensuche beschränkt und selbst bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit das Aufenthaltsrecht entzogen werden.

Offen ist die Frage, über welche Massnahmen der Bundesrat rasch und unkompliziert im Alleingang entscheiden und bei welchen er allenfalls das Parlament beziehen muss. Dem Vernehmen nach fühlt Jans derzeit einigen Parlamentariern den Puls, welche Option sie als sinnvoller erachten.

Allerdings ist auch klar: Im Ernstfall würde der Bundesrat zuerst Massnahmen den Vorzug geben, die mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen auch kompatibel sind.

SVP hält nichts davon

Noch ist offen, ob sich Jans mit einer scharfen Schutzklausel durchsetzt. Diese wäre vor allem für FDP und Mitte ein wichtiges Argument, um ihre Basis hinter sich zu scharen.

Für die Linke hingegen hat sie weniger Bedeutung, liegt deren Fokus doch hauptsächlich auf einem griffigen Lohnschutz. Allerdings wird die Schutzklausel durchaus als wichtiger Hebel im Kampf gegen die 10-Millionen-Initiative der SVP angesehen.

Bei der SVP wiederum kann Jans sowieso nicht punkten. Diese lehnt den «EU-Unterwerfungsvertrag», wie sie das Paket nennt, vehement ab. So glaubt sie denn auch nicht daran, dass der Bundesrat je über eine blosse Prüfung der Schutzklausel hinauskommen würde und erachtet sie daher als reines Ablenkungsmanöver. Die SVP setzt auf ihre beiden Volksinitiativen gegen die 10-Millionen-Schweiz sowie für mehr Grenzschutz.

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