Die Vorbereitungen für die Walliser Krönungsmesse laufen auf Hochtouren. Am 21. Dezember will die Walliser Regierung ihre Bundespräsidentin Viola Amherd (61) feiern. Der finanziell klamme Kanton lässt sich die Sause 350‘000 Franken kosten. Die Party beginnt in St-Maurice – von hier aus christianisierte die Fremdenlegion des heiligen Mauritius einst die Schweiz. Später geht es mit einem Sonderzug in Amherds Oberwalliser Heimat. Die ungekrönte Sonnenkönigin geniesst hervorragende Umfragewerte – sie ist die mit Abstand beliebteste Bundesrätin. Skandale perlen an ihr ab, Vorwürfe lächelt die Verteidigungsministerin fröhlich weg.
Die Mitte-Politikerin gibt sich bodenständig-uneitel. Doch der Schein trügt: Hinter den Kulissen brodelt es. Amherd hat sich mit ihrer Teflon-Strategie viele Gegner geschaffen.
Ein Schweizer Topmilitär spricht von mangelnder Wertschätzung: «Die Bundesrätin wollte mich in den letzten vier Jahren nur zwei Mal sehen», sagt das Mitglied der obersten Armeeführung zu SonntagsBlick. Amherd geniesst in Teilen des Heers wenig Rückhalt. Sie ist eine Verteidigungsministerin ohne Armada, die an vielen Fronten zu kämpfen hat.
Das Pannen-Staatssekretariat Sepos
Von Anfang an stand das Projekt eines Staatssekretariats für Sicherheitspolitik (Sepos) unter keinem guten Stern. Viele fragen sich: Warum braucht der Bund ein sechstes Staatssekretariat? Amherd begründet ihr Prestigeprojekt mit der geopolitischen Lage (Russland/Ukraine, Gaza, China, weltweit 110 bewaffnete Konflikte) – und den Herausforderungen durch Cyberkriege. Für Amherd besonders peinlich: Das Sepos soll am 1. Januar seine Arbeit aufnehmen, aber noch immer hat die Bundesrätin dafür keinen Leiter. Ihre erste Wahl, Türkei-Botschafter Jean-Daniel Ruch (60), musste absagen – wegen Erpressungsrisiken. Amherd gelang es, die Hiobsbotschaft bis zu den eidgenössischen Wahlen geheim zu halten – und informierte erst nach dem 22. Oktober den Bundesrat. Amherds zweite Wahl, der Diplomat Thomas Greminger (62), stolperte über ein «Pantscherl» – so nennt man in Österreich ein Liebesverhältnis. Als Greminger von der OSZE in Wien nach Genf wechselte, soll er seiner russischen Geliebten dort ein Stipendium verschafft und sie später befördert haben. Pälvi Pulli (52), Chefin Sicherheitspolitik im VBS, komme «aus zwischenmenschlichen Gründen» ebenfals nicht für den Posten infrage, heisst es intern.
Die Besetzung des Chefpostens werde «in den nächsten Wochen» erfolgen, liess Amherd Anfang Dezember verlauten. An der Bundesratssitzung vom Freitag erschien die Departementschefin allerdings ohne neuen Kandidaten. Die Uhr tickt …
Schon jetzt steht fest: Aus der ersten Reihe kassierte Amherd nichts als Absagen. Weder die Schweizer Botschafterin in Brüssel, Rita Adam (54), noch ihr Pariser Kollege Roberto Balzaretti (58) wollen Staatssekretär werden. Auch der Direktor des Center for Security Studies (CSS) an der ETH Zürich, Alexander Wenger (59), hat kein Interesse an dem 310'000-Franken-Job. Herumgeboten werden auch die Namen der Schweizer Botschafter in Washington, Jacques Pitteloud (61), und dessen Kollege bei der Nato in Brüssel, Philippe Brandt (59). «Dabei handelt es sich um Spekulationen», hält das VBS fest.
Der Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) im Nationalrat, Mauro Tuena (SVP, 51), hat genug. Der höchste Sicherheitspolitiker fordert die Bundesrätin zum Übungsstopp auf. «Frau Amherd sollte Grösse zeigen und das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik abblasen», so Tuena gegenüber SonntagsBlick: «Die Sicherheit der Schweiz ist auch ohne ein Staatssekretariat gewährleistet.»
Dem Kommissionschef bleibt allerdings nichts übrig, als an Amherd zu appellieren – die Schaffung eines Staatssekretariats ist Sache des Bundesrats. Wie SonntagsBlick weiss, kursierte in der SiK bereits die Idee, die Magistratin schriftlich zu einem Abbruch der Übung aufzufordern. Von links kam jedoch der Einwand, man solle ihr noch eine Chance geben.
Dass ein anderes Regierungsmitglied das Projekt zur Klärung an die Urheberin zurückschickt, wäre theoretisch möglich, gilt aber als tabu. Der Entscheid liegt also weiter in Amherds Händen. Ihr Departement teilt mit, dass das Sepos «wie geplant» am 1. Januar seine Arbeit aufnehme. In den nächsten Wochen werde der Name des Staatssekretärs bekannt gegeben.
Dennoch dürfte sich die VBS-Chefin in der sicherheitspolitischen Kommission erklären müssen. Tuena: «Wir wollen die Strukturen dieses Staatssekretariats sehen, die sind bislang nicht bekannt.»
Korruptionsskandal bei der Ruag
Auch nach Amherds Amtsantritt kommt der staatliche Rüstungskonzern Ruag nicht zur Ruhe. 96 Leopard-1-Panzer rosten auf einem Schrottplatz in Norditalien weiter vor sich hin. Die Niederlande wollten der Ruag die Panzer abkaufen, sie aufmöbeln und der Ukraine zur Verfügung stellen. Doch der Bundesrat lehnte dies unter Hinweis auf die Schweizer Neutralität ab. Warum die Ruag ihre ausländischen Partner zunächst im Glauben liess, der Deal könne funktionieren, ist nun Gegenstand zweier Untersuchungen. Hinzu kommt, dass die deutsche Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen einen ehemaligen Walliser Ruag-Manager ermittelt. So oder so wird die Akte Ruag für Amherds engstes Umfeld zur Belastung. Denn der Verwaltungsratspräsident der Ruag, Nicolas Perrin (64), ist der Schwager von Amherds engster Vertrauten Brigitte Hauser-Süess (69). Eigentlich sollten zum Jahresende Berichte der externen Anwaltskanzlei Niederer Kraft Frey und der Eidgenössischen Finanzkontrolle vorliegen, doch die Untersuchungen verzögern sich.
Der Schweizer Nato-Schlingerkurs
Viola Amherd macht keinen Hehl daraus, dass sie die Schweiz näher an die Nato rücken will. Dies sei die logische Konsequenz von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Nato-Partner feiern die Departementschefin dafür. «Es ist im Schweizer Interesse, die Ukraine und die Nato zu unterstützen», sagte unlängst die dänische Botschafterin Susanne Hyldelund (55) zu Blick. Am Dienstag schrieb Amherd nach einem Treffen mit Nato-Admiral Rob Bauer (61) auf X: «Wir sind entschlossen, unsere Sicherheitspolitik mit der Nato und der EU auszuweiten.» Während die SVP Amherds Nato-Schmusekurs als Attacke auf die Neutralität wertet, beruft sich die Angegriffene auf SVP-Bundesrat Adolf Ogi (81): Dieser hatte 1996 den Beitritt der Schweiz zur Nato-«Partnerschaft für den Frieden» forciert. Ein Schritt, über den die «New York Times» damals schrieb: «Adolf Ogi treibt einen Plan voran, der noch vor wenigen Jahren politischer Selbstmord gewesen wäre in einem Land, in dem die Neutralität als heilige Schrift gilt.»
Amherd ist überzeugt: Ihre Politik wäre ganz im Sinne Ogis. Die Schweiz wird künftig an bewaffneten Nato-Manövern teilnehmen. Aktuell ist laut VBS zwar keine solche Übung geplant. Doch Amherds sicherheitspolitische Beraterin Pälvi Pulli kündigte schon vor Monaten an, dass die Schweiz am ganzen Spektrum der Nato-Übungen teilnehmen werde. Also auch mit dem Szenario eines Angriffskriegs auf die Nato – für die Schweizer Armee mehr als ungewohnt.
Bundesamt für Cybersicherheit
Zum neuen Jahr wird aus dem Nationalen Zentrum für Cybersicherheit (NCSC) das neue Bundesamt für Cybersicherheit (Bacs). Bislang war Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59) dafür verantwortlich, künftig untersteht das Bacs dem Militärdepartement. Doch viele Cyberspezialisten wollen nichts mit der Armee und deren Sicherheitskonzept zu tun haben, es hagelt Kündigungen. 10 von 48 seien es inzwischen, berichtete SRF. Das NCSC beschwichtigt gegenüber Blick: «Eine Transformation bringt immer Chancen und Risiken.» Das NCSC habe fünf Stellen bereits neu besetzt; weitere Rekrutierungen seien in Vorbereitung.
Nachrichtendienst des Bundes (NDB)
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gilt schon länger als Problembär der Bundesverwaltung: zu schwerfällig, zu ineffizient, zu wenig proaktiv. Entsprechend war der NDB eine dankbare Zielscheibe für die Walliser Kultserie «Tschugger», in der ein Hacker problemlos in den Geheimdienst eindringen kann. Während andere Länder nach dem Terrorangriff der Hamas schnell eine öffentliche Lagebeurteilung vornahmen, geschah im NDB: nichts. Die Schweizer Geheimagenten sind vor allem mit sich selbst beschäftigt. Aktuell kämpft die Geschäftsleitung mit einer Reorganisation; bis auf Direktor Christian Dussey (58) müssen sich alle Direktionsmitglieder neu auf ihre Stelle bewerben. Das sorgt für Unruhe und Unmut. Ende März 2024 soll die Zusammensetzung der neuen Direktion stehen, teilt der NDB mit.
F-35-Kampfjets
In Militärkreisen kam Viola Amherd zunächst gut an: Sie hatte die Volksabstimmung über den Kauf von F-35-Kampfjets gewonnen. Mittlerweile steht fest: Die Anschaffung wird teurer als gedacht. Auch die Qualität der Kampfjets lässt zu wünschen übrig: Der US-Rechnungshof stellte fast 800 Mängel an den F-35 der US-Armee fest. Und diese Woche ist bekannt geworden, dass die Maschinen nicht nur teurer werden als gedacht, sondern auch lauter – sehr zum Leidwesen der betroffenen Gemeinden.
Frauenförderung
Um unter Amherd Karriere zu machen, müsse man Frau oder Walliser sein, zumindest über CVP-Stallgeruch verfügen, lästern Armeeangehörige. Doch Amherds Frauenförderung lässt auf sich warten. In zehn Jahren wollte sie den Frauenanteil in der Armee auf zehn Prozent steigern – aktuell stagniert er bei einem Prozent. «Amherds Plan ist zu ambitioniert», sagt eine Insiderin. Immerhin kann sich die VBS-Chefin damit brüsten, dass der Frauenanteil bei Auslandsmissionen überproportional hoch ist, beispielsweise im Kosovo. Und doch kommt es bei manchen Parlamentarierinnen gar nicht gut an, wie Amherd ihre sicherheitspolitische Beraterin Pälvi Pulli fallen liess, Amherds Favoritin für das Amt der Staatssekretärin. Fachlich schloss Pulli bei einem Assessment bestens ab, allerdings überzeugten ihre Führungsqualitäten weniger. Im Bundeshaus heisst es, Amherd kusche vor der SVP, denn Pulli flirte mit der Nato und sei daher für die SVP ein rotes Tuch. «Männern wird per se Führungserfahrung zugesprochen, Frau Pulli wird sie abgesprochen. Frau Amherd sollte sich für Frau Pulli starkmachen», kritisieren Parlamentarierinnen.
Angesichts der vielen Grossbaustellen im VBS ist unklar, wie Amherd bei der Wahl zur Bundespräsidentin abschneiden wird: In der SVP ist man über den Nato-Kurs unzufrieden, links stört man sich an den hohen Armeeausgaben. Einziger Trost für die Walliserin: Besser als ihr Vorgänger Alain Berset dürfte sie allemal abschneiden – der Freiburger erntete letztes Jahr mit 140 Stimmen das schlechteste Resultat seit Jahren. Viola Amherds Krönungsmesse steht nichts mehr im Weg.