Was ist die aktuelle Lage?
Der Schweizer Botschafter in Ankara, Jean-Daniel Ruch (60), wird doch nicht Staatssekretär für Sicherheitspolitik im VBS – er soll erpressbar sein. Zum Jahresende räumt er seinen Botschafterposten in der Türkei, zum 30. Juni 2024 verlässt er das Aussendepartement (EDA). «Botschafter Ruch erhält keine Abgangsentschädigung. Aber er wird nach der Beendigung seines Einsatzes in Ankara für die Dauer seiner Kündigungsfrist freigestellt», teilt das EDA mit.
Welche Vorwürfe stehen im Raum?
«Es ging dabei auch um Prostitution in der Residenz des Botschafters», schreibt der «Tages-Anzeiger». Wie bundesratsnahe Kreise gegenüber SonntagsBlick bestätigen, war ein Schauplatz die Niederlassung in Tel Aviv, wo Ruch die Schweiz in Israel von 2016 bis 2021 vertrat. Ausgerechnet an einem Brennpunkt der Weltpolitik mit hohem Sicherheitsrisiko und vielen Geheimdiensten hat sich der einstige Sondergesandte für Nahost also möglicherweise erpressbar gemacht.
Diplomat im Zwielicht
Darf ein Schweizer Botschafter Sex mit Prostituierten haben?
Das ist nicht verboten. Doch der Verhaltenskodex für Mitarbeitende des EDA im Ausland schränkt ein: Der «Kauf von sexuellen Dienstleistungen» sei dann verboten, «wenn dabei Personen ausgebeutet werden, die sich in einer Notlage oder Abhängigkeit befinden». Hier eine klare Linie zu ziehen, dürfte schwierig sein. Das Thema Erpressbarkeit wird im Kodex nicht direkt angesprochen. Dort heisst es nur: EDA-Angestellte sollen «alles unterlassen, was die Ausführung ihrer beruflichen Tätigkeit beeinträchtigt».
Was sagt Ruch selbst?
«Jean-Daniel Ruch wird sich dazu nicht weiter äussern», teilt das EDA mit.
Warum wurde der Kandidat nicht im Vorfeld der Berufung durchleuchtet?
Diese Frage treibt Bundesbern noch immer um. Ruchs letzte Sicherheitsüberprüfung datiert vom Juni 2019. Diese war maximal fünf Jahre gültig, also bis Juni 2024. Weshalb Bundesrätin Viola Amherd (61) auf eine erneute Überprüfung verzichtete, ist unklar.
Welche Fragen werden in der Sicherheitsüberprüfung gestellt?
Ein vom Bundesrat ernannter Jurist berichtet SonntagsBlick, er sei in Bern stundenlang von einer Frau und einem Mann grilliert worden. «Haben Sie aussereheliche Beziehungen? Besuchen Sie Prostituierte?» Eine Topbeamtin erzählt, man habe auch ihr entsprechende Fragen gestellt. «Ich war beim ersten Mal schockiert und stellte die Gegenfrage: Wie viele männliche Prostituierte kennen Sie?» Topbeamte erzählen, die Profiler im Auftrag des Bundesrats fragten auch nach der Hetero-Dating-App Tinder oder der Schwulen-App Grindr.
Müssen auch Bundesräte intime Fragen beantworten?
Wer vom Parlament gewählt wird, braucht keine Überprüfung. Bundesräte müssen ihr Intimleben ebenso wenig ausbreiten wie etwa der Chef der Bundesanwaltschaft. Alles andere wäre in einer Demokratie problematisch und gäbe der Verwaltung noch mehr Macht.
Wer steht jetzt besonders in der Kritik?
Natürlich Viola Amherd, aber auch Aussenminister Ignazio Cassis (62), der seine Diplomaten nicht im Griff hat – und Amherds Findungskommission. Die war mit Beamten wie Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle (62), VBS-Generalsekretär Toni Eder (62) oder EDA-Generalsekretär Markus Seiler (55) besetzt, die 330'000 Franken im Jahr oder mehr verdienen.
Weshalb ist das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (Sepos) so umstritten?
Bundesrätin Viola Amherd ist überzeugt: Die Herausforderungen der Zukunft brauchen ein eigenes Staatssekretariat. Andere Departemente betrachten ihr Projekt mit Argwohn. Etwa das EDA, das in geopolitischen Fragen den Lead hat. Kritik kommt auch von der SVP, die vor einer weiteren Annäherung an die Nato warnt. Und Armeekreise nehmen Amherd übel, dass sie den zivilen Bereich ihres Ministeriums stärkt: «Mit dem geplanten VBS-Staatssekretariat wird die Stellung der Armee weiter geschwächt und die Verwaltung aufgebläht», kritisiert Stefan Holenstein (61), Präsident des Verbandes Militärischer Gesellschaften Schweiz. «Ich fordere von Frau Amherd einen Marschhalt – sie muss die Übung Sepos abblasen. Dazu gehört der dringende Ausbau der Verteidigungsfähigkeit der Armee mit Budgeterhöhung.»
Wie geht es nun weiter?
Viola Amherd hält daran fest, ein Staatssekretariat für Sicherheitspolitik einzurichten. Ob bis Januar 2024 ein Ersatz für Ruch gefunden wird, ist unklar. Aus sicherer Quelle erfuhr SonntagsBlick: Pälvi Pulli (52) dürfte kaum Staatssekretärin werden. Die bisherige Verantwortliche für Sicherheitspolitik schnitt beim Assessment fachlich bestens ab – aber nicht im Hinblick auf Führungsqualitäten und «social skills».