Oberster Polizeidirektor Fredy Fässler (63) besorgt über möglichen Stromausfall
«Es ist denkbar, dass die Bevölkerung rebelliert»

Der Bund arbeitet mit Hochdruck daran, die drohende Strommangellage zu meistern. Der oberste Polizeidirektor Fredy Fässler warnt im Blick-Interview davor, die Sicherheitsfrage zu vernachlässigen.
Publiziert: 20.08.2022 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2022 um 18:36 Uhr
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Man müsse auf Extremszenarien vorbereitet sein, warnt der oberste Polizeidirektor Fredy Fässler. Bei Netzabschaltungen sei es «denkbar, dass die Bevölkerung rebelliert oder dass es zu Plünderungen kommt».
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Der Bund bereitet sich mit Hochdruck auf die drohende Strommangellage vor. Im Fokus steht dabei die Energieversorgung. Doch wenn es zu Verboten, Kontingentierungen oder gar Netzabschaltungen kommt, sind auch die Sicherheitskräfte herausgefordert. «Die innere Sicherheit wird dann zum Problem», warnte Jan Flückiger (44), Generalsekretär der Energiedirektoren-Konferenz, im Blick. Der Bund habe diesbezüglich die Dringlichkeit noch nicht erkannt.

Die Kantone pochten jedenfalls darauf, besser in die Vorbereitungsarbeiten eingebunden zu werden, wie der oberste Polizeidirektor Fredy Fässler (63) im Interview erklärt. Der St. Galler Regierungsrat ist Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD).

Blick: Herr Fässler, der Bund wappnet sich für die drohende Strommangellage. Hat er angesichts der Energie-Problematik den Sicherheitsaspekt zu wenig berücksichtigt?
Fredy Fässler:
Der Bund ist mit Hochdruck an der Arbeit und fokussiert dabei vor allem auf die Energieversorgung und die Wirtschaft. Die Sicherheit ist dabei bisher vergessen gegangen. Deshalb haben wir interveniert, damit wir in die Planungsarbeiten einbezogen werden.

Mit Erfolg?
Ja, wir werden nun im Bundesstab Bevölkerungsschutz mit dem Generalsekretär der KKJPD und dem Präsidenten der Polizeidirektoren Einsitz haben. Auch im Steuerungsausschuss der Direktorenkonferenzen der Kantone ist unser Generalsekretär neu vertreten. Damit können wir die Sicherheitsbelange und Befürchtungen der Kantone direkt einbringen.

Was befürchten Sie denn angesichts der drohenden Strommangellage?
Eine Netzabschaltung oder ein Blackout hätte weitgehende Folgen. Stellen Sie sich vor: Am Bancomat kann man kein Geld mehr abheben, im Laden nicht mehr mit der Karte zahlen oder an der Tankstelle nicht mehr tanken. Und alle Heizungen funktionieren nicht mehr. Man muss frieren. In den Strassen ist es dunkel. Da ist es denkbar, dass die Bevölkerung rebelliert oder dass es zu Plünderungen kommt. Auf solche Extremszenarien müssen wir uns vorbereiten – auch wenn ich nicht damit rechne, dass es wirklich so weit kommt.

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Wären die Sicherheitskräfte überhaupt einsatzfähig, wenn auch bei ihnen der Strom ausgeht?
Dafür haben wir vorgesorgt. 2014 haben wir in einer grossen Sicherheitsverbundsübung die Situation einer Strommangellage, eines Blackouts auch unter Einbezug der Blaulichtorganisationen geübt. Dabei hat man grosse Mängel entdeckt – etwa fehlende Notstromaggregate für Polizei, Spitäler und andere kritische Infrastrukturen. Diese Mängel wurden in den letzten Jahren behoben, sodass die Sicherheitskräfte gewappnet sind. Wir sind aber auch vorbereitet, den Leuten Bargeld zu Verfügung zu stellen, wenn man im Laden nicht mehr mit der Karte zahlen kann.

Haben Sie etwa einen Tresor im Büro, damit man sich bei Ihnen ein Hunderternötli abholen kann?
Nein, nein (lacht). Unser Führungsstab hat mit den Banken aber eine Absprache, wie eine solche Notlage bewältigt werden kann, damit die Bürgerinnen und Bürger zu Bargeld kommen.

Gehen Sie davon aus, dass mehr Kriminelle die Gunst der Stunde nutzen werden, wenn die Lichter aus sind?
Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber man hat auch schon bei Umweltkatastrophen erlebt, dass gewisse Menschen die Situation missbraucht haben, um ungeschützte Objekte zu plündern. Das könnte bei einer Netzabschaltung ebenso der Fall sein, etwa in Läden, wo es etwas zu holen gibt. Umso vordringlicher ist es, dafür zu sorgen, dass die Polizei nicht erst reagiert, wenn schon etwas passiert ist.

Dann braucht es also eine gewisse Prävention. Werden Sie im Ernstfall mehr Polizisten auf Patrouille schicken?
Dass die Polizei in einem solchen Fall auf der Strasse mehr Präsenz markiert, ist sicher eine Option. Das werden wir aber situativ entscheiden. Je nachdem werden wir die Einsätze priorisieren – eine Einvernahme kann man auch mal verschieben. Aber nicht nur die Polizei wird in höherer Alarmbereitschaft sein, sondern auch die Feuerwehr, die telefonisch allenfalls nicht mehr erreichbar ist.

Warum muss die Feuerwehr achtsamer sein?
Stellen Sie sich vor, was passieren kann, wenn jemand auf dem Balkon ein Feuer entzündet, weil er friert. Eine solche Situation kann rasch ausser Kontrolle geraten.

Selbst ohne Netzabschaltungen werden einschneidende Massnahmen wie Verbote oder Einschränkungen diskutiert. Kontrolliert die Polizei dann die Saunas oder ob man mit dem Elektroöfeli heizt?
Ich appelliere an den Bund, nur Massnahmen anzuordnen, die umsetzbar und vor allem auch kontrollierbar sind. Wir werden sicher nicht zur Sauna-Polizei. Es gibt aber immer wieder Leute, die in einer solchen Situation zu Hilfssheriffs mutieren oder vielleicht mit einem Nachbarn noch eine alte Rechnung zu begleichen haben und ihn deshalb anschwärzen. Wenn eine entsprechende Anzeige eingeht, dann muss die Polizei handeln.

Befürchten Sie ein gewisses Denunziantentum?
Ich hoffe auf Solidarität und gesunden Menschenverstand. Aber die Corona-Zeit hat gezeigt, dass wir etwa Anzeigen erhalten haben, wenn beispielsweise beim Nachbarn trotz Personen-Limite zu viele Menschen feierten. Zum Glück musste die Polizei wegen solcher Fälle relativ selten ausrücken.

Was raten Sie der Bevölkerung, wenn sie plötzlich im Dunkeln sitzt?
Es ist sicher hilfreich, den Notvorrat zu überprüfen und aufzustocken. Etwa mit Lebensmitteln, Kerzen, Taschenlampen, Batterien bis hin zum Gaskocher.

Auch mit Waffen, um sich im Notfall gegen unerwünschte Gäste zu schützen?
Das rate ich auf keinen Fall! Es kann gefährlich werden, wenn man einem Einbrecher mit einer Waffe gegenübertritt. Zum Glück haben wir keine Anzeichen, dass die Kantonspolizei nun überdurchschnittlich mit Waffentragbewilligungen beschäftigt wäre. Da sage ich: Besorgen Sie sich lieber Waffeln als Waffen.

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