SonntagsBlick: Frau Sommaruga, Werner Luginbühl, der Chef der Eidgenössischen Elektrizitätskommission, empfiehlt der Bevölkerung, sich angesichts drohender Stromausfälle mit Holz und Kerzen einzudecken. Haben Sie schon Kerzen gekauft?
Simonetta Sommaruga: Ich habe immer Kerzen zu Hause. Aber ich glaube, die Aussage von Herrn Luginbühl ist ein Weckruf für alle, dass die Situation ernst ist. Der Bundesrat ist sich dessen bewusst – nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine.
Tatsächlich?
Wir sind schon vor Weihnachten letzten Jahres aktiv geworden. Als die Energiemärkte verrücktspielten, habe ich eine Taskforce ins Leben gerufen.
Damals stellte der Stromkonzern Alpiq ein Gesuch um Staatshilfe.
Genau. Als Reaktion darauf haben wir einen Rettungsschirm für grosse Stromfirmen aufgegleist und eine Wasserkraftreserve für die kritische Zeit im Winter vorbereitet. Wegen des Kriegs in der Ukraine haben wir zudem die Gasbranche beauftragt, zusätzliches Gas zu beschaffen. Bundesrat Guy Parmelin und ich begleiten diese Arbeiten eng.
Was ist mit dem Bau von neuen Gaskraftwerken, kommen diese nun?
Die Arbeiten für Kraftwerke, die Strom produzieren, laufen auf Hochtouren. Wir klären derzeit, welche Standorte infrage kommen.
Elcom-Chef Luginbühl spricht davon, dass wir im Winter im schlimmsten Fall ein paar Stunden im Dunkeln hocken werden. Das heisst: Wenns dumm läuft, reichen diese Massnahmen nicht aus.
Die Schweiz macht alles, um eine Mangellage zu verhindern. Aber vergessen wir nicht, es herrscht Krieg in Europa. Da gibt es keine Gewissheiten. Die Situation ist auf dem ganzen Kontinent angespannt, wir haben eine weltweite Energiekrise. Deshalb sollte sich auch die Schweiz ein Sparziel vornehmen.
Nach dem Vorbild der EU also, deren Mitgliedstaaten bis im Frühling 15 Prozent Gas einsparen sollen. Setzen Sie der Schweiz dasselbe Ziel?
Das wäre sicher sinnvoll. Entscheiden wird der Bundesrat.
Apropos Sparpläne: Deutschland fährt schon seit Wochen eine riesige Kampagne und appelliert an die Bevölkerung, Energie zu sparen. In der Schweiz ist davon nichts zu sehen
Unser Nachbarland hat eine ganz andere Ausgangslage als die Schweiz. Deutschland verbraucht viel Gas, um Strom zu produzieren und seine Abhängigkeit von russischem Gas ist viel grösser. In der Schweiz produzieren wir einen grossen Teil unseres Stroms aus Wasserkraft. Auf Gas sind wir vor allem im Winter fürs Heizen angewiesen. Das ist auch der Grund, warum wir die Kampagne erst in den kommenden Wochen starten werden: Wenn man den Leuten jetzt im Sommer, wo es so heiss ist, sagt, wie sie sparen müssen, versteht das niemand.
Es geht ja nicht nur darum, Gas zu sparen, sondern Energie an sich. Wenn es in den Speicherseen Ende Winter mehr Wasser hat, weil wir heute Strom sparen, kommt uns das auch zugute.
Wie gesagt, die Kampagne ist vorbereitet und kommt demnächst. Mir war wichtig, dass wir auch die Wirtschaft an Bord haben, die Konsumentenorganisationen – es braucht alle, um das Ziel zu erreichen.
In welche Richtung wird die Kampagne gehen? Heizung runter, Pulli an?
Wir müssen aufhören, Energie zu verschwenden. Das ist die zentrale Botschaft. Beim Heizen haben wir einen grossen Hebel. Schon nur ein Grad weniger spart gut fünf Prozent Energie. Für mich ist klar, dass die öffentliche Verwaltung hier mit gutem Beispiel vorangehen muss: Dass wir in öffentlichen Gebäuden die Heizung etwas runterdrehen. Dafür werde ich mich im Bundesrat einsetzen.
Die SVP hat Ihnen kürzlich vorgeworfen, die Energiestrategie sei gescheitert. Hat sie recht?
Gescheitert ist jene Politik, die blind auf Gas- und Ölimporte gesetzt hat! Sie hat unser Land abhängig und verletzlich gemacht. Warum haben wir heute ein Problem? Weil Russland den Gashahn zudreht und die Schweiz beim Öl und Gas vollständig vom Ausland abhängig ist. Für mich war immer klar: Wir müssen uns von dieser Abhängigkeit lösen und die einheimischen Energien ausbauen. Deshalb habe ich das Gesetz für eine sichere Stromversorgung mit Erneuerbaren auf den Weg gebracht. Es ist seit über einem Jahr im Parlament hängig.
Sie sagen, die SVP sei mit schuld an der heutigen Situation?
Wir alle wissen, wer sich für die erneuerbaren Energien eingesetzt hat. Und wir wissen auch, wer den Ausbau bekämpft hat. Auf nationaler Ebene und in den Kantonen. Was ist denn die Antwort auf den Krieg – noch mehr Öl und Gas? Das ist falsch. Wir müssen rasch vorwärtsmachen mit dem Ausbau der Erneuerbaren. Das ist auch die richtige Antwort auf die Klimakrise.
Noch sind wir auf die Gasimporte angewiesen, weshalb Sie Solidaritätsabkommen mit den Nachbarstaaten angekündigt hatten. Ist da irgendetwas unterschrieben?
Die Verhandlungen dazu laufen. Ein solches Abkommen greift aber erst, wenn man schon in einer Mangellage wäre. Das Wichtigste ist für den Bundesrat jedoch, diese möglichst zu verhindern; darum muss die Branche zusätzliches Gas beschaffen.
Ein Stromabkommen mit der EU wäre jetzt wohl ganz nützlich. Nur will Brüssel davon nichts wissen, seit der Bundesrat die Verhandlungen übers Rahmenabkommen abgebrochen hat.
Die schwierige Situation, die wir aktuell haben, wurde durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst. Mit dem Stromabkommen hätten wir vielleicht eine einfachere Zusammenarbeit mit der EU, aber das grundsätzliche Problem, – unsere Abhängigkeit bei Öl und Gas vom Ausland – würde das Abkommen nicht verändern.
Vor wenigen Tagen sagten Sie, es sei «Zeit für eine Annäherung an Europa». Wie könnte eine solche aussehen?
Wir sind auf Europa angewiesen. Und wir haben Europa auch etwas zu bieten, mit Pumpspeicherkraftwerken wie Nant de Drance im Wallis. Damit können wir mithelfen, das Stromnetz auf dem Kontinent zu stabilisieren. Im Sommer exportiert die Schweiz Strom, im Winter sind wir auf Importe angewiesen. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit mit Europa, mit unseren Nachbarn, sinnvoll.
Um die Energiewende zu schaffen, will man im Wallis mit einem Pionierprojekt vorangehen und ein ganzes Tal mit Solarpanels zudecken. Was halten Sie davon?
Wenn es gute Projekte für Solaranlagen in den Bergen gibt, bin ich dafür sehr offen; als Ergänzung zum Ausbau auf den Dächern. Wir brauchen mehr Strom – und wir müssen dort, wo es sinnvoll ist, auch den Ausbau der Wasserkraft vorantreiben.
Sie sprechen den runden Tisch an, an dem sich Branche und Politik auf 15 Wasserkraft-Projekte geeinigt haben. Allerdings wollen kleinere Umweltschutzorganisationen ihren Widerstand gegen höhere Staumauern aufrecht erhalten. Haben Sie es verpasst, alle relevanten Akteure mit einzubeziehen?
Die wichtigen Akteure waren alle dabei: WWF, Pro Natura, der Fischereiverband, die Kantone, die Strombranche. Man kann nicht jeden einzelnen Verein einbinden.
Trotzdem: Was ist die Einigung wert, wenn es weiterhin Rekurse hagelt und die Projekte nicht vorankommen?
Der runde Tisch zur Wasserkraft war ein Erfolg. Das zeigt sich auch daran, dass Parlamentarier von links bis rechts die 15 Stausee-Projekte im Gesetz absichern wollen. Das unterstütze ich. Mein Eindruck ist, dass auch bei den Umweltorganisationen ein Umdenken stattfindet.
Woran machen Sie das fest?
Die Stiftung Landschaftsschutz, die am runden Tisch dabei war, aber die Einigung wegen eines der fünfzehn Projekte nicht unterschrieben hat, hat eben die Türe einen Spalt breit aufgestossen. Die Verantwortlichen sagen jetzt: Wir können womöglich eine Lösung finden. Sie sehen: Es geht vorwärts.