Major Willy Urech (1912–1986) war ein harter Hund. Als die «Schweizer Illustrierte» den FDP-Ständerat und Präsidenten der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie im Jahr 1979 fragte, wie er denn Energie spare, diktierte der Aargauer dem Reporter ins Mikrofon: «Im Haus haben wir uns an eine Temperatur von 18 Grad gewöhnt, auch in den Wohnräumen.»
Vier Jahrzehnte später ist die Schweiz am selben Punkt angelangt. Wieder macht uns eine Krise zu schaffen. Damals stiegen unter anderem als Folge der Islamischen Revolution im Iran die Erdölpreise, heute droht Russlands Präsident Wladimir Putin damit, den Gashahn zuzudrehen. Um den Blackout zu verhindern, lautet die Lösung immer noch gleich: Sparen!
«Denk mit, spar mit»
Was sich in all den Jahren auch nicht verändert hat: Die gehässige Debatte über die Energiepolitik. Dabei lag ab 1978 ein Konzept auf dem Tisch, das noch heute modern klingt. Verantwortlich dafür war ein Heizungsmonteur, SP-Bundesrat Willi Ritschard (1918–1983), der erste und bislang einzige Arbeiter in der Landesregierung. In besagtem Papier mit dem Titel Gesamtenergiekonzeption stand, dass die Energieversorgung ausreichend, wirtschaftlich und umweltschonend sein müsse. Die Devise lautete: Energie sparen, Abhängigkeiten abbauen, neue Energiequellen erforschen.
Für den Solothurner Magistraten Ritschard war das Energiesparen also eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung. Bereits 1977 lancierte er die Kampagne «Denk mit, spar mit» – und ging mit gutem Beispiel voran. In einer Talkshow demonstrierte er anhand eines Öfelis, wie man Heizenergie sparen kann. Und zwei Jahre später sagte der damals 61-Jährige in der «Schweizer Illustrierten»: «Dass man immer das Licht löscht, ist uns in Fleisch und Blut übergegangen.» Seine Frau, Greti, ergänzte: «Der Tipp, man solle ein Bad zu zweit nehmen, mag für junge Leute lustig sein. Wir duschen uns praktisch nur noch.»
Energieversorgung bereits 1979 wichtigstes Problem der Gegenwart
Das Kampagnen-Maskottchen Sparli erreichte die Leute: Während 1976 lediglich 14 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Meinung waren, dass die Energieversorgung eines der wichtigsten Probleme der Gegenwart sei, waren es 1979 bereits vier von fünf Befragten. Sogar einen Soundtrack fürs Sparen gab es. Auf der Langspielplatte «Denk mit, spar mit!» gab Margrit Läubli (94) ihren «Song Vom Schönere Läbe» zum Besten, und Franz Hohler (79) blies dem Volk den «Schpar-Marsch». «Wir müssen ein Volk von Energietugendbolden werden; bis der Staat Massnahmen ergreift, ist es längst zu spät», gab der Schriftsteller und Kabarettist damals zu Protokoll. Er selbst würde den Kaffee von Hand mahlen, die Zähne von Hand putzen und die Schreibmaschine von Hand bedienen. Doch damit nicht genug: «Diesen Winter haben wir den Kühlschrank abgestellt und den Inhalt in einem Kästchen auf dem Balkon versorgt.»
Zwei Millionen für Energiesparkampagne
Ende August will der Bund eine Kampagne zum Energiesparen lancieren. Rund zwei Millionen Franken soll diese kosten. Zwei Fragen stellen sich: Reicht das Geld – und können Schweizer überhaupt sparen? Einer, der sich mit den Schattenseiten des Wachstums auskennt, ist David Bosshart. Der Philosoph und Buchautor («The Age of Less») ist skeptisch. Sparer benötigten laut Bosshart ein starkes Selbstbewusstsein, gesunden Menschenverstand und Disziplin. Das Problem: «Sobald Verzicht als Verlust wahrgenommen wird, kann man die Leute rational kaum mehr erreichen.» Bosshart findet, man könne auch bloss zwei Minuten duschen statt deren fünf. «Robustheitstraining statt weicher Bequemlichkeit macht uns zukunftsfitter.» Dass die Sparkampagne des Bundes zu einem Umdenken in der Bevölkerung führt, hält Bosshart für wenig realistisch: «Wenn man mit zwei Millionen Franken das Mindset der Menschen ändern könnte, wäre das ein Wunder.»
Zum Vergleich: Die Corona-Informationskampagne liess sich der Bund bislang rund 30 Millionen Franken kosten. Mit den zwei Millionen fürs Energiesparen könne man eine mittelgrosse Kampagne umsetzen, sagt Marianne Affolter, Geschäftsführerin des Kampagnenforums. Falls die Aktion wirkungsvoll gemacht sei, könne man jede Person in der Schweiz 100- bis 200-mal mit der Botschaft erreichen. Als Massnahme reiche das allein nicht. «In der Pflicht stehen vor allem auch Unternehmen und grosse Verursacher, die energieschonender operieren müssen.»
Experten glauben nicht an den Erfolg der Kampagne
Gemessen an der Aufgabe, hält Wirtschaftspsychologe Christian Fichter das Budget für knapp bemessen: «Ich bin pessimistisch.» Sparen habe ein schlechtes Image. Der Grund dafür heisst Evolution: Wer auf den Putz haut, kann sich eher durchsetzen und darf sich fortpflanzen. Wer knausrig ist, gilt als unattraktiv. Eine globale Krise könne diese Verhältnisse umkehren, sagt Fichter. Hier sieht er die Chance der Kampagne: «Wer vorsorgt und Risiken aus dem Weg geht, hat in düsteren Zeiten die besseren Karten.» Fichters Tipp an den Bundesrat: Nicht den Verzicht betonen, sondern das Positive herausstreichen: «Wenn du deine Wohnung weniger heizt, leistest du einen Beitrag, um Putin zu stürzen.»