So werden wir von Putin unabhängig
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Energiewende in der Schweiz:So werden wir von Putin unabhängig

Florent Murati (29) unterzieht sein Haus in Hägglingen AG einer Radikalsanierung
«So werden wir von Putin unabhängig»

Der Gaskrieg schürt Versorgungsängste. Jetzt wollen die Schweizer Energie sparen. Haussanierungen boomen.
Publiziert: 17.04.2022 um 10:11 Uhr
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Aktualisiert: 20.04.2022 um 15:13 Uhr
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Die Schweizer wollen weg von Putins Gas.
Foto: keystone-sda.ch
Danny Schlumpf

Die Energieversorgung der Schweiz ist nicht mehr sicher. Brennstoffpreise spielen verrückt. Plötzlich ist Abhängigkeit ein Problem – ganz besonders die von Putins Gas. Die Eidgenossen wollen sich daraus befreien, wie eine aktuelle Sotomo-Umfrage im Auftrag von SonntagsBlick zeigt: 62 Prozent sprechen sich für einen Importstopp von russischer Energie aus.

Bloss: Fossile Alternativen sind rar. Und im Notfall schaut jede Nation für sich. Sonne und Wind verheissen Autarkie, aber die Schweiz hat die Energiewende verschlafen. Der Schalter lässt sich nicht einfach kippen – schon gar nicht in wenigen Monaten.

Schlecht isoliert

Es gibt einen schnellen Weg: Energie sparen. Das Potenzial ist riesig, vor allem im Wohnbereich. Der Gebäudesektor frisst 40 Prozent der gesamten Energie. Die 1,8 Millionen Häuser in der Schweiz sind im Schnitt 45 Jahre alt. Mehr als die Hälfte sind schlecht isoliert und werden mit Öl oder Gas beheizt. Bislang wird nur ein Prozent pro Jahr saniert.

«Dabei sind Sanierungen und neue Heizsysteme das schnellste und wirksamste Mittel zur Steigerung der Energieeffizienz», sagt Bernhard Lanzendörfer (61), CEO der Saint-Gobain WeberAG. Das sehen auch immer mehr Schweizer so: Lanzendörfers Firma ist spezialisiert auf Gebäudehüllen – seine Auftragsbücher sind voll. «Energiesparen hat massiv an Bedeutung gewonnen», sagt der Chef. «Denn Putins Krieg bedroht unsere Energieversorgung. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen.»

Radikale Sanierung

Florent Murati (29) ist sich dessen bewusst. Der Chef einer Küchenbaufirma kaufte im letzten Sommer in Hägglingen AG ein 50-jähriges Haus für seine vierköpfige Familie. Jetzt saniert er das Gebäude – und zwar radikal: Die Fassaden werden sorgfältig isoliert, moderne Fenster schützen vor Energieverlust. Eine Solaranlage liefert Strom – auch an den Stecker für E-Autos in der Garage –, im Keller stehen Energiespeicher und Luft-Wärmepumpe.

Eine umfassende Gebäudeautomation vernetzt die technischen Anlagen und steuert Funktionen wie Musik, Alarm und Licht auf energiesparende Weise.

Würde Ausnützungsbonus helfen?

Das alte Haus hatte zwei Stockwerke. Nun stellt Florent Murati ein drittes oben drauf. Die neue Etage besetzt allerdings nur 60 Prozent der Fläche – wegen der Ausnützungsziffer. «Es ist kein Quadratmeter mehr frei», sagt Murati. An diesem Hebel müsse die Politik ansetzen, sagt Bernhard Lanzendörfer von Saint-Gobain: «Energetische Aufstockungen dienen auch der Verdichtung. Das sollte die Politik mit einem Ausnützungsbonus fördern.»

Lanzendörfer hat noch einen weiteren konkreten Vorschlag: «Wir brauchen eine Energieetikette für jedes Haus, wie wir sie von Kühlschränken und Staubsaugern kennen. So können Hauskäufer und Mieter die Energieeffizienz in ihre Entscheidung einbeziehen.»

Mehr Unabhängigkeit

Dieses Kriterium rückt immer stärker in den Fokus: «Unser Entscheid für die Sanierung war richtig», sagt Florent Murati – gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: «So sparen wir gutes Geld und werden unabhängig von Putin und anderen autoritären Regierungen.»

Murati kombiniere die zentralen Elemente der Energieeffizienz, sagt Markus Flatt (42) von der Energieberatungsfirma EVU Partners. «Sanierungen in Verbindung mit eigener Stromproduktion garantieren nicht nur mehr Unabhängigkeit. Sie rechnen sich auch, ganz besonders bei den aktuellen Energiepreisen. Das gibt neuen Heizsystemen und Sanierungen einen starken Booster.»

Fördergelder sollen helfen

Energiepreise seien auch ein Mittel, um den Verbrauch weiter zu optimieren, sagt Flatt: «Heute kostet der Strom immer gleich viel. Eine Flexibilisierung, die sich stärker an der effektiven Netzlast und den Jahreszeiten orientiert, wäre ein wichtiger Anreiz für einen effizienten Energieeinsatz.»

Für seinen Kraftakt wird Murati durch Fördergelder belohnt. Insgesamt stellt der Bund vier Milliarden Franken für Sanierungen bereit. Doch die konkrete Energiepolitik wird in den Städten und Dörfern gemacht. Die seien bereit, sagt Katrin Bernath (49), Schaffhauser Stadträtin und Präsidentin von Energiestadt Schweiz. «Sie wollen jetzt vorwärtsmachen. Aber sie werden gebremst, wenn Bund und Kantone die Rahmenbedingungen, etwa beim CO2-Gesetz, noch nicht aufdatiert haben.» Fragen des konkreten Vollzugs in den Gemeinden gingen gern vergessen, sagt Bernath.

Dabei ist, wie das Beispiel aus Hägglingen zeigt, der unkomplizierte und schnelle Vollzug entscheidend. Wenn die Schweiz im nächsten Herbst über drohende Engpässe bei der Winterenergie streitet, wohnt Familie Murati bereits in ihrem energetisch sanierten Haus.

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