Bei russischem Gas-Lieferstopp
In den Schweizer Stuben wird es kühler

Wer muss bei Gasknappheit als Erstes verzichten: die Privathaushalte oder die Industrie? Der Notfallplan des Bundes ist völlig veraltet – und wird nun im letzten Moment überarbeitet.
Publiziert: 29.04.2022 um 10:32 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2022 um 11:29 Uhr
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Wenn Russland seine Gaslieferungen stoppt, hat das fatale Folgen für die Schweiz. Blick in ein Gasverteilzentrum in Yverdon-les-Bains VD.
Foto: Keystone
Sarah Frattaroli

Wladimir Putin (69) macht Ernst! Der Kreml-Chef hat Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht. Der Westen befürchtet, dass er dies auch bei anderen Ländern tun könnte. So richtig heikel für die Schweiz werde es, sobald der Gasstrom von Russland nach Deutschland versiege, sagte Andreas Tresch (32) vom Beratungsunternehmen Enerprice im Blick. «Dann würde Deutschland der Schweiz das Gas abdrehen.»

Aber was passiert, wenn in der Schweiz tatsächlich eine Gasknappheit eintritt? Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) hat zwar keinen eigentlichen Notfallplan, aber immerhin einen Massnahmenbericht. Doch dieser stammt aus dem Jahr 2019 – lange bevor man sich um Putins Gebaren bei den Gaslieferungen sorgen musste. Die Massnahmen würden aktuell denn auch überarbeitet, heisst es beim BWL.

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Duschen statt baden

Fest steht: In den Schweizer Stuben würde es im Fall einer Mangellage kühler. Nicht, weil die Gasheizung plötzlich stillgelegt würde. Kontingentiert wird im Bedarfsfall nur bei den Grossverbrauchern, nicht bei den Privathaushalten. Allerdings gäbe es Sparappelle an die Bevölkerung. Und zwar noch vor einer allfälligen Kontingentierung. Auf Plakaten, im TV oder Radio würde die Bevölkerung dazu aufgefordert, zu duschen statt zu baden oder die Radiatoren vor dem Schlafengehen runterzudrehen.

«Solche Sparappelle werden oft belächelt», sagt Michael Schmid (45) vom Schweizer Gasverband. Dabei wären sie wirkungsvoll, wie er betont: «Gerade im Winter kann sehr viel Gas eingespart werden, wenn man die Raumtemperatur nur um ein oder zwei Grad senkt.»

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Umstieg auf Erdöl

Bis zu sechs Prozent Gas könnte man mit einem Grad weniger einsparen, rechnet das BWL vor. Viel zwar, bei einem Exportstopp Russlands aber wohl nicht genug. Zusätzlich würde daher wo immer möglich von Gas auf Öl umgestellt. Sogenannte Zweistoffanlagen können mit beiden Rohstoffen betrieben werden. Allerdings sind diese längst nicht die Norm. Viele Heizungen laufen schlicht nur mit Gas.

Wenn die Sparappelle und der Umstieg auf Öl zusammen noch nicht ausreichen, kommt es zu Kontingentierungen. Gespart würde bei der Industrie, die ein Drittel des in der Schweiz verbrauchten Gases nutzt. Abnehmer sind etwa die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM). Aber auch die Detailhändler Migros und Coop sind vom Gas abhängig, sie brauchen es etwa in der Lebensmittelproduktion.

In welcher Reihenfolge Branchen oder Unternehmen auf ihre Gaslieferungen verzichten müssten, ist nicht bekannt. Die Verantwortlichen beim BWL und dem Gasverband geben sich auf Anfrage von Blick zugeknöpft.

Firmen können kaum überbrücken

Klar ist: Unternehmen, die von der Kontingentierung betroffen wären, trifft der Gasstopp unmittelbar. Gas wird – anders als etwa Erdöl – nicht in grossen Tanks gelagert, sondern fortlaufend angeliefert. Nur wer über einen Erdgasflüssigspeicher verfügt, kann die Kontingentierung überbrücken. Die Verflüssigung und Lagerung von Erdgas ist allerdings teuer und technisch aufwendig. Für das Gros der Schweizer Firmen ist das kein Ausweg. Sie können nur hoffen, dass die Gasknappheit ein Schreckgespenst bleibt.

Wie realistisch ein Lieferstopp ist? Dazu wollen sich weder BWL noch Gasbranche äussern. Die Nervosität allerdings ist gross. Der Bund hat jüngst sogar das Kartellrecht ausgesetzt, um der Gasbranche unter die Arme zu greifen. Die Unternehmen dürfen für den Winter 2022/2023 gemeinsam und in grossem Stil Gas einkaufen und Speicherkapazitäten buchen. Wie erfolgreich sie damit sind, zeigt sich spätestens in einigen Monaten, wenn die Temperaturen wieder sinken.

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