Auf die Schweiz kommen dunkle Zeiten zu. Schon im Winter könnten Strom und Gas knapp werden. Gerade auch, weil Russland Europa den Gashahn jederzeit zudrehen kann. Der Bund wappnet sich für verschiedene Szenarien.
Im Moment bereitet er eine schweizweite Energiespar-Kampagne vor, die Ende August starten soll. Für den Notfall will der Bundesrat zudem mehrere Gas- und Ölkraftwerke als Reserve bereitstellen. Und am Mittwoch hat er beschlossen, den Einsatz von Hunderten Notstromaggregaten prüfen zu lassen.
Auch ein mehrstufiger Notfallplan liegt bereit, der die verschiedenen Etappen bei einer drohenden Strommangellage skizziert. Und der sieht so aus:
Spar-Appelle: Der Bund ruft die Bevölkerung zum Energiesparen auf. Etwa, indem man die Heizung runterdreht. Das dürfte beim Strom Einsparungen von rund 5 Prozent und beim Gas rund 5 bis 10 Prozent bringen.Verbote: Nicht zwingend benötigte Geräte und Anlagen werden verboten oder eingeschränkt. Dann wird etwa Saunen oder Schwimmbädern der Stecker gezogen. Oder auch Leuchtreklamen und Klimaanlagen. Damit würden etwa 10 Prozent Strom eingespart.
Kontingentierung: Reicht auch das nicht, könnte der Bundesrat etwa für Grossverbraucher Kontingentierungen beschliessen. Diese müssten eine angeordnete Energiemenge einsparen, um Abschaltungen möglichst zu vermeiden.
Netzabschaltungen: Ultima Ratio sind zyklische Stromsperren. Vier bis acht Stunden würde dann gebietsweise die Elektrizität abgeschaltet. Noch bleibt unklar, auf welcher Stufe die Schweiz landen wird. Denn noch gibt es viele Unbekannte, die Einfluss auf die Energiesituation haben. Wie kalt wird der Winter? Kommt ein Gasembargo? Kommt noch genug Regen und füllt die Stauseen? Und bringt Frankreich seine Atommeiler wieder ans Netz?
Das Risiko einer Strommangellage sei «gross und real», warnt Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), im SRF. «Wir müssen uns darauf einstellen, dass es vielleicht nicht so gut kommt.»
«Bund hat Dringlichkeit noch nicht erkannt»
Zwar liegt die Hauptverantwortung beim Bund, doch der Warnruf gilt auch den Kantonen. Diese bereiten sich ebenfalls auf den Ernstfall vor. «Die Thematik beschäftigt uns sehr stark, und die Kantone sind daran, ihre Krisenstäbe zu aktivieren», sagt Jan Flückiger (44), Generalsekretär der Energiedirektoren-Konferenz.
Zwar gibt der Bund vor, was abgeschaltet oder rationiert werden muss, doch die Kantone verantworten den Vollzug. «Wir erwarten vom Bund, dass er rasch auch Details kommuniziert», sagt Flückiger. Denn vieles sei noch offen. «Wir wissen noch nicht, für wen genau was gelten wird, seien dies Skilifte, Lebensmittelverteiler oder Grossbäckereien.»
Ebenso wichtig sei die Sicherheitslage, wenn es zu Netzabschaltungen kommen sollte. «Die innere Sicherheit wird dann zum Problem», so Flückiger. «Da hat der Bund die Dringlichkeit noch nicht erkannt.»
Am Freitag nächster Woche treffen sich die Energiedirektoren zur Plenarversammlung. Da wird die drohende Strommangellage zu den Diskussionsthemen gehören. «Und es dürfte auch einen Austausch über die besten Energiesparmassnahmen bei den Kantonen geben.»
Aargau sieht sich besonders betroffen
Ein Blick in verschiedene Kantone zeigt, dass sich diese jetzt schon für die Energiekrise rüsten. Die Aargauer Regierung beispielsweise sieht ihren Kanton besonders betroffen. So ist der Aargau etwa Standort wichtiger Energieproduktionsanlagen und -leitungen sowie von möglichen Reservekraftwerken. Bereits wurde deshalb eine Taskforce «Versorgungssicherheit» eingesetzt.
So unterstützt die Regierung auch die Pläne des Bundes, eine bestehende Gasturbinen-Testanlage in Birr AG als Reservekraftwerk kurzfristig zur Überbrückung von Strommangellagen zu betreiben – «um so rasch wie möglich eine grössere Kapazität an sicherer, flexibel abrufbarer Stromproduktionsleistung schaffen zu können», wie Baudirektor Stephan Attiger (55, FDP) an einer Medienkonferenz betonte. Wobei eine Produktion unter Volllast in diesem Winter noch nicht möglich sei.
«Plünderungen sind nicht ausgeschlossen»
Der Kanton Solothurn wiederum steht vor einer besonderen Herausforderung: 14 Netzbetreiber sind auf dem verwinkelten Kantonsgebiet tätig. «Da braucht es viele Absprachen», sagt Diego Ochsner (55), Chef des kantonalen Krisenstabs. Wie viele Betreiber im nächsten Winter das Netz vorübergehend abschalten müssten, sei offen. Doch der Kanton bereitet sich auf den Ernstfall vor – die Schaffung eines Sonderstabs ist bereits geplant.
Unvorbereitet ist man aber schon jetzt nicht. 2014 fand nämlich eine schweizweite Sicherheitsverbundsübung zum Thema Strommangellage statt – und daraus hat der Kanton Lehren gezogen. So verfügt er beispielsweise über 20 Zapfwellengeneratoren, die an Traktormotoren angeschlossen werden können. «Im Notfall können diese etwa in Altersheimen zum Einsatz kommen. Oder wenn Evakuierungen nötig sind, könnten wir Mehrzweckhallen mit Notstrom versorgen», so Ochsner. Weiter hat der Kanton fünf Tankstellen mit Notstrom ausgerüstet. «Diese versorgen die Sicherheitskräfte mit Treibstoff», sagt Ochsner. Denn bei einer Stromabschaltung sei mit grossen Sicherheitsproblemen zu rechnen. «Da sind selbst Plünderungen nicht ausgeschlossen.»
Gedanken macht man sich beim Kanton auch darüber, wie Energie gespart werden kann. Nicht nur, dass etwa die Heizung heruntergedreht werden kann. «Wir haben auch einzelne Verwaltungsgebäude im Auge, in denen wir die Heizung ganz abschalten und die Mitarbeitenden ins Homeoffice schicken können.»
Kantonale Sparmassnahmen in Prüfung
Ähnlich tönt es in anderen Kantonen. So hat etwa der Kanton Graubünden den Teilstab «Sicherheit Energieversorgung» des kantonalen Führungsstabs eingesetzt, der eine Eventualplanung vorantreibt. Und im Kanton Zürich wird die Lage «fortlaufend analysiert, und auf verschiedenen kantonalen Ebenen laufen intensive Vorbereitungsarbeiten in direktionsübergreifenden Fachgruppen», so Sprecherin Cristina Casanova. Oder der Kanton Wallis hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, «um die Entwicklung der Situation zu verfolgen und allfällige Massnahmen zu prüfen».
Der Kanton Basel-Stadt wiederum hat einen Teilstab «Mangellage Strom und Gas» eingerichtet. «Die Arbeiten und die Planung gliedern sich in folgende drei Hauptthemen: Grossverbraucher, Information/Kommunikation und kantonale Massnahmen», sagt Wirtschaftsdepartement-Generalsekretärin Brigitte Meyer. Man werde auch die kommende Kampagne des Bundes aufnehmen und verstärken. Auch weitergehende kantonale Sparmassnahmen in der Verwaltung würden geprüft.
In Bern laufen die Vorbereitungen ebenfalls. «Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeiten im Strombereich kann einer Strommangellage in erster Linie mit schweizweit einheitlichen Massnahmen entgegnet werden», betont aber Regierungsrat-Sprecher Reto Wüthrich. Er lässt offen, ob der Kanton darüber hinaus zusätzliche Massnahmen – etwa die Kantonsverwaltung betreffend – beschliessen werde. Das werde sich in den nächsten Wochen zeigen.