So bereitet sich der Aargau auf den Krisenwinter vor
«…letzte Stufe zyklische Stromabstellungen für 4 Stunden»

Es wird eng. Im Winter droht der Schweiz eine Stromlücke. Neben dem Bund bereiten sich auch die Kantone darauf vor. Der Aargau etwa unterstützt die Pläne, eine bestehende Gasturbinen-Testanlage zur Überbrückung zu betreiben. Noch aber seien viele Fragen offen.
Publiziert: 18.08.2022 um 09:32 Uhr
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Aktualisiert: 19.08.2022 um 11:33 Uhr
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Das Risiko ist «gross und real». Im Winter droht der Schweiz eine Energiemangellage.
Foto: imago/Christian Ohde

Auf die Schweiz kommen dunkle Zeiten zu. Schon im Winter könnten Strom und Gas knapp werden. Gerade auch, weil Russlands Präsident Wladimir Putin (69) Europa den Gashahn jederzeit zudrehen kann. Mehrstufige Notfallpläne des Bundes sehen daher ausgerechnet für die kalte Jahreszeit im Energiebereich Einschränkungen, Kontingentierungen und sogar Abschaltungen vor. Diese verschiedenen Etappen müssten nun aber noch weiter konkretisiert werden, fordert etwa die Aargauer Regierung.

Der Bundesrat will für den Notfall mehrere Gas- und Ölkraftwerke als Reserve bereitstellen. Am Mittwoch hat er zudem beschlossen, den Einsatz der 300 in der Schweiz vorhandenen Notstromaggregate prüfen zu lassen.

Der Aargau sieht sich besonders betroffen

Zwar liegt die Hauptverantwortung beim Bund, parallel dazu bereiten sich aber auch die Kantone vor, um im Winter nicht frieren zu müssen. So hat etwa der Kanton Graubünden den Teilstab «Sicherheit Energieversorgung» des kantonalen Führungsstabs eingesetzt, der eine Eventualplanung vorantreibt.

Auch die Aargauer Regierung will nicht unvorbereitet sein. Sie sieht ihren Kanton besonders betroffen. So ist der Aargau etwa Standort wichtiger Energieproduktionsanlagen und -leitungen sowie von möglichen Reservekraftwerken. Bereits wurde deshalb eine Taskforce «Versorgungssicherheit» eingesetzt.

Der Aargauer Regierungsrat unterstützt die Pläne des Bundes, eine bestehende Gasturbinen-Testanlage in Birr AG als Reservekraftwerk kurzfristig zur Überbrückung von Strommangellagen zu betreiben. Der Kanton führt entsprechende Gespräche.

Kurzfristig Reserven als Versicherung schaffen

Als Energiekanton übernehme der Aargau Verantwortung, teilte der zuständige Regierungsrat Stephan Attiger (55, FDP) mit. Es gebe einen Bedarf, kurzfristig verfügbare Reservekapazitäten im Sinne einer Versicherung zu schaffen.

Der Bundesrat möchte, dass bereits im kommenden Spätwinter, also im Februar und März, in der Schweiz Reservekraftwerke zur Verfügung stehen. Strom aus Gas und Öl soll die Stromversorgung vorübergehend sichern.

Der Kanton Aargau führe Gespräche mit dem Bund, der Standortgemeinde und der Betreiberfirma der Gasturbinen-Testanlage, «um so rasch wie möglich eine grössere Kapazität an sicherer, flexibel abrufbarer Stromproduktionsleistung schaffen zu können», sagte der Aargauer Regierungsrat weiter.

Eine Produktion unter Volllast sei in diesem Winter noch nicht möglich. Es handle sich um zwei Testanlagen. Der Standort sei jedoch ideal, weil es neben der Gaszuleitung auch ein Öllager am Standort gebe. Mit der Anlage sollten gemäss Attiger vor allem Engpässe zu Spitzenzeiten überbrückt werden können. Bei einem Engpass soll die Anlage in Betrieb genommen werden und auch wieder abgestellt werden können.

Bund soll Notrecht anwenden

Das Energieunternehmen Ansaldo Energia mit Sitz im italienischen Genua und Niederlassung in Baden AG betreibt in Birr ein Testzentrum mit zwei Gasturbinen. Diese neueren Gasturbinen verfügen zusammen gemäss Kantonsangaben über eine elektrische Leistung von bis zu 660 Megawatt (MW). Dies entspricht fast der Leistung der beiden Atomreaktoren von Beznau 1 und 2 im Kanton Aargau.

Der Regierungsrat erwartet nach eigenen Angaben vom Bund «eine aktive Führungsrolle und ein einheitliches nationales Krisenmanagement». Der Bundesrat müsse - nicht erst im Ereignisfall - Notrecht anwenden, da es sich um eine bundesweite Mangellage handle.

Zusätzliches Potenzial erkannt

Zudem: Die Aargauer Regierung sieht ein deutlich grösseres Potenzial von bestehenden Notstromaggregaten als der Bundesrat. In der Schweiz bestehen gemäss Bund rund 300 Notstromaggregate mit einer Gesamtleistung von 280 Megawatt, die von der nationalen Netzgesellschaft Swissgid für Systemleistungen eingesetzt werden. Diese Notstromaggregate sind also ans Stromnetz angeschlossen.

Der Bund habe aber nicht erhoben, wie viele Anlagen ohne Anschluss in Unternehmen bestünden, hielt Attiger fest. So bestehe die Möglichkeit, dass Unternehmen ihre Notstromaggregate in Betrieb nehmen und dafür aus dem Netz weniger Strom beziehen. Allein im Aargau seien Aggregate mit einer Leistung von 200 Megawatt nicht ans Netz angeschlossen. Die Frage einer finanziellen Entschädigung für solche Unternehmen müsse allerdings noch geklärt werden.

Das Risiko ist «gross und real»

Droht nun die Gefahr eines Flickenteppichs mit unterschiedlichsten Massnahmen in den Kantonen, wie wir es bereits während der Corona-Pandemie erleben mussten? Nein, glaubt Michael Frank. Der Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) weist gegenüber SRF darauf hin, dass die Kompetenzverteilung bei einer Stromlücke nicht vergleichbar sei.

Das Risiko einer Strommangellage sei aber tatsächlich «gross und real», betont Frank. Noch aber gebe es viele Unbekannte: Wie kalt wird der Winter? Kommt ein Gasembargo? Kommt noch genug Regen und füllt die Stauseen? «Wir müssen uns darauf einstellen, dass es vielleicht nicht so gut kommt», so Frank. (dba)

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