Das droht bei Strom- und Gasmangel
Kann mir der Vermieter die Heizung abdrehen?

Im Winter wird die Versorgung mit Strom und Gas kritisch. Blick sagt, was du dazu wissen musst – und wie du dich vorbereiten kannst.
Publiziert: 20.07.2022 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 20.07.2022 um 14:55 Uhr
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Ernste Gesichter bei der Medienkonferenz des Bundesrats: Die Schweiz steuert im Winter vielleicht auf eine Energiekrise zu. Im Bild: Bundesrat Guy Parmelin und Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Werner Luginbühl, Präsident der Elektrizitätskommission (v. l.).
Foto: keystone-sda.ch
Sophie Reinhardt und Sermîn Faki

Gehen im Winter die Lichter und die Heizungen aus? Der Bund bereitet sich zumindest darauf vor. Auch wenn die Energieversorgung der Schweiz aktuell gesichert ist, kann es gemäss Bundesrat im kommenden Winter zu einer Mangellage kommen. Das heisst: Es gibt über Wochen nicht genug Strom und Gas.

Mit verschiedenen Szenarien bereitet sich der Bund auf diese Situation vor. Zunächst soll es Sparappelle geben, dann allenfalls verbindliche Einschränkungen und im absoluten Notfall auch Netzabschaltungen. Nur, was heisst das für die einzelnen Konsumenten? Und wie können sie sich vorbereiten? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zur drohenden Energieknappheit.

Warum droht im Winter eine Stromknappheit?

Im Winter muss die Schweiz Strom importieren – das ist schon länger so. Diesen Winter könnte es aber schwierig werden, weil viele französische AKW derzeit wegen Störungen und Wartungen nicht am Netz sind. Kaum ein Experte geht davon aus, dass sich dies bis im Winter ändert. «Denkbar wäre ein Szenario mit einer Verkettung verschiedenster Faktoren», sagt Julien Duc, Sprecher des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). «Einem trockenen Sommer und damit leeren Stauseen in der Schweiz. Darauffolgend ein langer Winter mit wenig Wind und Sonne und dem Ausfall mehrerer Kernkraftwerke im Ausland, so dass keine ausreichenden Importe in die Schweiz mehr möglich wären.»

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Was ist das Problem beim Gas?

Das Problem heisst Wladimir Putin (69). Denn Europa hängt am russischen Gas. Und damit auch die Schweiz: Im Jahr 2021 betrug der Anteil russischen Gases am Schweizer Import 43 Prozent. Reduziert der russische Präsident die Gaslieferungen noch mehr oder stellt sie gar ein, sitzt Europa in der Kälte. Und im Dunkeln, denn insbesondere in Deutschland wird Gas auch zur Stromerzeugung genutzt.

Das Ziel Europas ist, dass die Gasspeicher im Dezember zu 90 Prozent gefüllt sind. Wie realistisch ist das?

«Wir stellen einerseits fest, dass die bisherige Speicherbefüllung in den letzten Wochen gut vorangekommen ist», sagt Michael Schmid vom Verband der Schweizerischen Gasindustrie. Andererseits beurteile die deutsche Bundesnetzagentur die weitere Entwicklung aber als kritisch, sollten die russischen Gaslieferungen auf dem niedrigen Niveau der letzten Tage verbleiben oder gar ganz eingestellt werden. Heisst im Klartext: Derzeit ist nicht absehbar, wie sich die Gasversorgungslage in Europa weiter entwickeln wird.

Was tut die Schweiz, um eine Mangellage zu verhindern?

Erstens hat der Bundesrat beschlossen, eine Wasserkraftreserve einzurichten: In Stauseen soll so viel Wasser zurückgehalten werden, dass man einen Versorgungsengpass von mehreren Wochen überbrücken könnte. Dazu müssten sich die Stauseen aber füllen. Es braucht also Regen.

Zweitens hat die Landesregierung die Gasbranche verpflichtet, Gas zu kaufen und in Europa speichern zu lassen, denn die Schweiz hat keine eigenen Gasspeicher. Insgesamt soll eine Reserve von sechs Terawattstunden (TWh) beschafft und die Option auf weitere 6 TWh gesichert werden. 6 TWh entsprechen rund 15 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs. Rund 60 Prozent der 6-TWh-Reserve hat die Branche bereits gebucht.

Was, wenn das nicht reicht?

Dann soll eine Kaskade von Massnahmen in Gang gesetzt werden. Zuerst will der Bund eine Kampagne lancieren, die Bevölkerung und Wirtschaft zum Energiesparen aufruft. Wenn das nicht reicht, werden Verbote verhängt, um Energie zu sparen. Und wenn das immer noch nicht genug ist, werden Erdgas und Strom kontingentiert.

Heisst das, dass Haushalten Heizung und Strom abgestellt werden können?

Nein. Haushalte – sie verbrauchen gut ein Drittel des Stroms und 42 Prozent des Gases – gehören zu den geschützten Verbrauchern. Sie sollen möglichst wenig beeinträchtigt werden. Allerdings ist in einer anhaltenden Mangellage denkbar, dass auch geschützte Verbraucher ihren Konsum einschränken müssen. «Dies könnte erreicht werden, indem die Raumtemperatur abgesenkt würde oder Räume, welche nicht benötigt werden, nicht beheizt würden», so Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie.

Der Bundesrat redet auch von Verboten. Heisst das, wir dürften den Haarföhn nicht mehr nutzen? Oder wird die Strassenbeleuchtung ausgeschaltet?

Möglich wären Einschränkungen oder Verbote von nicht absolut notwendigen und energieintensiven Anwendungen, sagt Julien Duc vom VSE. Als Beispiele nennt er Saunen, Hallenbäder, Skilifte und Schneekanonen, aber auch Leuchtreklamen. Einzelheiten zu eingeschränkten Verwendungen sollen gemäss Bund bis Ende Sommer vorliegen. Der VSE geht davon aus, dass der Stromverbrauch mit Sparappellen, Verboten und Kontingenten um 35 bis 40 Prozent gesenkt werden könnte.

Darf mein Vermieter die Heizung in meiner Wohnung drosseln?

Erste Städte und Gemeinden überlegen sich das schon für ihre Liegenschaften. Und es wäre rechtens, wenn auch nicht grenzenlos. «Wenn die Wohnungstemperatur unter 20 Grad fällt, ist mietrechtlich von einem Mangel auszugehen», sagt Larissa Steiner, Leiterin der Rechtsberatung des Zürcher Mieterverbandes. Der Vermieter kann seine Mieterinnen und Mieter also auffordern, die Heizung in der Wohnung bis auf 20 Grad herunterzudrehen, aber nicht tiefer. Natalie Imboden, Generalsekretärin des Schweizerischen Mieterverbandes, gibt ausserdem zu bedenken, dass es verschwenderisch ist, sämtliche Räume stark zu beheizen. Um Energie zu sparen und das Portemonnaie zu schonen, reiche für Schlafzimmer und Gänge eine Temperatur von 17 Grad.

Wie viel liesse sich denn überhaupt einsparen, wenn man die Raumtemperatur reduziert?

An kalten Tagen, wenn viel geheizt wird, können rund sechs Prozent des gesamten Gasverbrauchs eingespart werden, wenn die Raumwärme um ein Grad gesenkt wird, sagt Gas-Experte Schmid: «Mit dieser Massnahme lässt sich also viel Gas einsparen, ohne dass dies mit Kosten verbunden wäre.»

Bringt es etwas, schon jetzt im Sommer Strom und Gas zu sparen?

Da muss man unterscheiden: Beim Gas geht das kaum, weil die Haushalte im Sommer keinen nennenswerten Gasverbrauch haben, wie Schmid sagt. Anders sieht es beim Strom aus. «Es ist wichtig zu betonen, dass wir uns aktuell noch im Normalbetrieb befinden», so VSE-Sprecher Duc. Die Sensibilisierung, mit Strom ganzjährig gewissenhaft und effizient umzugehen, sei dennoch alles andere als nutzlos. «Jede Kilowattstunde zählt – ob produziert oder eingespart.» Dem stimmt auch das Bundesamt für Energie zu, zumal die Strom- und Gaspreise derzeit hoch sind. «Es gibt ja viele Möglichkeiten, die wir alle kennen: duschen statt baden oder die Geschirrspülmaschine ganz füllen, bevor man sie anlässt», so Sprecherin Zünd. «Wer Energie spart, schont auch das Portemonnaie.»

Welche Steigerung der Nebenkostenabrechnung wegen höherer Energiepreise müssen Mieter akzeptieren?

Bei den Nebenkosten können alle effektiven Kosten verrechnet werden, wenn diese im Mietvertrag aufgeführt sind. Und das schenkt ein: Eine Verdoppelung kann zu Mehrkosten von 1200 Franken pro Jahr führen. Wehren können sich Mieterinnen und Mieter dagegen nicht. Sie sind verpflichtet, die erhöhten Gas- und Ölpreise vollumfänglich zu bezahlen. Der Mieterinnen- und Mieterverband fordert aber, dass zumindest die Verwaltungspauschalen reduziert werden müssen. Standardmässig nämlich schlagen Verwaltungen drei Prozent auf die Nebenkostenabrechnung drauf – und das macht bei massiv höheren Heiz- und Stromkosten schnell etwas aus.

Im Ernstfall sieht der Bundesrat gar die zeitweise Abschaltung von Stromnetzen vor. Was bedeutet das?

Netzabschaltungen bedeuten, dass die Stromversorgung von Teilnetzgebieten – also Quartieren oder Dörfern – für ein paar Stunden täglich unterbrochen wird, wie Duc vom VSE erklärt. Je nach Situation geschieht dies im 4-8-4- oder 4-4-4-Stundentakt: vier Stunden Strom, dann vier oder acht Stunden Abschaltung, dann wieder vier Stunden Strom. Duc betont jedoch, dass dies nur als allerletzte Massnahme im absoluten Notfall angedacht ist. Übrigens: Pläne, welche Gemeinden oder Quartiere wann betroffen wären, gibt es bereits. Aber diese sind streng geheim, damit sich Kriminelle nicht vorbereiten können.

Sollten Haushalte jetzt Dieselgeneratoren oder grosse Mengen Holz kaufen?

Nötig sind so drastische Massnahmen wahrscheinlich nicht. Obwohl der Bund darauf hinweist, dass es immer vorteilhaft sei, einen gewissen Vorrat zu haben. «Wer es sich leisten kann und will, trotzdem eine Heizreserve etwa in Form eines Schwedenofens und des dafür nötigen Holzes anzuschaffen, kann dies tun», so Marianne Zünd.

René Baggenstos, Geschäftsführer der IG Erdgas, rät Hausbesitzern mit Ölheizung: «Füllt die Heizöltanks jetzt, wo die Transportkapazitäten noch vorhanden sind. Auf den Herbst und Winter hin wird es schwierig werden, das Heizöl nach Hause liefern zu lassen!» Der Bund weist darauf hin, dass Besitzer von Holzheizungen die Pellets schon jetzt beschaffen sollten.

Haushalte werden lange vor Einschränkungen geschützt – anders die Wirtschaft. Was kommt jetzt auf diese zu?

Es gibt Betriebe, die Erdgas recht einfach durch Heizöl ersetzen können, sagt René Baggenstos. «Diese befüllen jetzt vor allem ihre Tanks und testen die technischen Abläufe für eine Umschaltung.» Viele Unternehmen befassten sich aktuell zudem mit ihrer Notstromversorgung und beschaffen sich beispielsweise Dieselgeneratoren.

Kann die Industrie überhaupt so einfach Gas sparen?

Sofern nicht auf Heizöl umgeschaltet werden kann, wird es in der Tat sehr schwierig, sagt Baggenstos. Weniger Gas bedeutet für die Industrie automatisch weniger Produktion. «Wenn ein Industriebetrieb zehn Prozent weniger Gas bekommt, bedeutet dies beispielsweise gleich 50 Prozent weniger Produktion», erklärt er.

Von einer Kontingentierung wären vor allem Unternehmen betroffen. Was bedeutet das für sie?

Eine Kontingentierung hätte je nach Ausmass einschneidende Konsequenzen für Industrie und Gewerbe, mit unter Umständen markanten Produktionsausfällen, sagt Schmid vom Verband der Schweizerischen Gasindustrie. Und auch Baggenstos von der IG Erdgas sagt: «Der Druck, Kosten zu senken, wird enorm sein, was folglich leider auch Entlassungen zur Folge haben würde.»

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