In Frankreich stehen viele Atomkraftwerke still, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird es bei der Gasversorgung eng. Nun wappnet sich die Schweiz für eine Gas- und Strommangellage im Winter. Bei der wirtschaftlichen Landesversorgung laufen die Fäden zusammen. Für den Fachbereich Energie ist dort Bastian Schwark (43) zuständig. Im Blick-Interview erklärt er, wo im Ernstfall zuerst der Stecker gezogen wird.
Blick: Herr Schwark, im Winter könnte es bei der Gas- und Stromversorgung eng werden. Haben Sie schon einen Notvorrat an Kerzen, Batterien und Gaskochern angelegt?
Bastian Schwark: Kluger Rat – Notvorrat! Ein gewisser Notvorrat an Trinkwasser, Lebensmitteln und Bargeld schadet nie. Auch ich habe einen zu Hause angelegt. Im Zweifel lohnt es sich aber, die entsprechenden Empfehlungen des Bundes nun nochmals durchzugehen, ob man wirklich alles hat, was nötig ist.
Neben dem AKW-Stillstand in Frankreich und dem Ukraine-Krieg sorgt nun eine Hitzewelle für weiteres Ungemach. Wie schlimm ist die Situation?
Die Situation ist angespannt. Beim Gas sind wir vollständig vom Ausland abhängig und wissen nicht, wie sich die geopolitische Lage weiterentwickelt. Beim Strom stehen wir dank der inländischen Produktion komfortabler da. Derzeit stehen alle vier AKW zur Verfügung. Im Winter sind wir aber auch beim Strom auf ausländische Importe und damit unsere europäischen Partner angewiesen.
Die schauen doch zuerst für sich selbst, wenn es knapp wird!
Derzeit ist es weniger ein Mengenproblem als ein Preisproblem. Strom ist grundsätzlich genügend vorhanden. Aber die Strompreise schnellen nach oben. Im aktuellen Standardszenario ist die Stromversorgung auch im Winter gesichert. Es gibt aber immer Faktoren, die das System unter Stress setzen können – beispielsweise, wenn unerwartet mehrere Kernkraftwerke ausfallen. Deshalb müssen wir auch für kritischere Szenarien vorbereitet sein.
Dafür gibt es einen Notfallplan. Wie viel lässt sich da überhaupt einsparen?
Bei einer drohenden Mangellage wäre die erste Stufe Sparappelle – dass beispielsweise bei einer drohenden Gasmangellage die Heiztemperatur gesenkt oder bei einer drohenden Strommangellage auf den Wäschetrockner verzichtet werden soll. Das dürfte beim Strom Einsparungen von rund 5 Prozent und beim Gas rund 5 bis 10 Prozent bringen. Beim Gas wäre die nächste Stufe, dass sogenannte Zweitstoffkunden von Gas auf Öl wechseln, wo dies möglich ist – womit sich gut 20 Prozent Gas einsparen lässt. Beim Strom würden nach den Einsparappellen Verbrauchseinschränkungen beziehungsweise Verbote verordnet werden, was etwa 10 Prozent einsparen sollte.
Bastian Schwark (43) ist Head of Market Operations bei der Schweizer Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid AG. Bei der wirtschaftlichen Landesversorgung, einer Milizorganisation mit dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung als Stabsorgan, leitet er ad interim den Fachbereich Energie. Es handelt sich dabei um ein Nebenamt, in dem er als Fachexperte aus der Wirtschaft seine spezifischen Kenntnisse, Erfahrungen und Beziehungen einbringt. Schwark ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Zürich.
Bastian Schwark (43) ist Head of Market Operations bei der Schweizer Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid AG. Bei der wirtschaftlichen Landesversorgung, einer Milizorganisation mit dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung als Stabsorgan, leitet er ad interim den Fachbereich Energie. Es handelt sich dabei um ein Nebenamt, in dem er als Fachexperte aus der Wirtschaft seine spezifischen Kenntnisse, Erfahrungen und Beziehungen einbringt. Schwark ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Zürich.
Die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (Ostral) nennt in einer Auflistung nicht nur Saunas oder Klimaanlagen, die verboten werden könnten, sondern auch Rolltreppen und Aufzüge. Das hat bei behinderten Menschen für einen Aufschrei gesorgt.
Eine definitive Liste würde erst durch den Bundesrat verabschiedet werden, bisher gibt es nur mögliche Beispiele. Mir liegt eine andere Liste vor, auf der Rolltreppen und Lifte nicht aufgeführt sind. Die einzelnen Massnahmen müssten im Ernstfall nochmals genau überdacht werden. Ich möchte aber betonen: Wir wollen sicher keine Menschen mit Behinderung in ihrer Mobilität einschränken.
Dann werden also keine Lifte und Rolltreppen abgestellt?
Sicher nicht breitflächig. Allenfalls kann man einen Lift abschalten, wenn mehrere vorhanden sind. Aber sicher nicht so, dass ältere Menschen oder solche mit eingeschränkter Mobilität in einem mehrstöckigen Wohnblock quasi eingesperrt sind – wie man das etwa in China in ähnlichen Fällen gesehen hat. Wir respektieren ihr Mobilitätsbedürfnis.
Wo wollen Sie dann den Stecker ziehen?
Im Fokus stehen energieintensive Geräte, auf die man ohne grossen Komfortverlust verzichten kann. Wir denken an Saunas, Dampfbäder, Whirlpools, Solarien, Hallenbäder oder Klimaanlagen. Auch Geschäftsbeleuchtungen und Leuchtreklamen können abgeschaltet und die öffentliche Beleuchtung reduziert werden. Im Haushalt wäre der Verzicht auf Wäschetrockner denkbar. Und eventuell muss man auch auf gewisse energieintensive Sport- und Kulturveranstaltungen verzichten.
Wie bitte? Fällt dann die Eishockeysaison ins Wasser und es gibt nur noch A-cappella-Konzerte?
Flutlichtanlagen kann man beispielsweise nur während der eigentlichen Spielzeit einschalten und nicht stundenlang brennen lassen. Da ist noch einiges möglich, ohne gleich Anlässe zu streichen.
Wir erleben einen Boom von E-Autos und E-Bikes. Müssten auch diese einen Sparbeitrag leisten?
Auf jeden Fall. So könnte die Nutzung von E-Autos bei einer drohenden Strommangellage auf zwingende Fahrten reduziert werden. Man kann ja auch mal den öffentlichen Verkehr benutzen oder auf den alten Drahtesel umsteigen.
Werden Einschränkungen und Verbote verordnet, müssen diese auch kontrolliert werden. Kommt dann die Sauna-Polizei vorbei?
Es ist eine ähnliche Problematik wie während der Corona-Pandemie, als es im Privatbereich gewisse Einschränkungen gab. Die Strafbehörden wären auch in diesem Fall mandatiert, Verbote zu überwachen. Hallenbäder wären einfacher zu kontrollieren als private Saunas. Ich bin mir sicher, dass die Polizei wie während der Corona-Zeit mit Fingerspitzengefühl agieren würde. Niemand will einen Überwachungsstaat.
Und wenn der Nachbar einen verpetzt, wenn man im Whirlpool sitzt?
Wenn der Nachbar Anzeige erstattet, ist nicht ausgeschlossen, dass plötzlich die Polizei vor der Tür steht. Wir appellieren umso mehr an die Eigenverantwortung und den gesunden Menschenverstand. Wenn der Stromkuchen kleiner wird, muss jeder ein kleineres Stück davon abschneiden, damit es für alle reicht.
Und wenn das nicht reicht, dann sitzen wir im Dunkeln?
Es gibt die Möglichkeit der Kontingentierung für Grossverbraucher. Erst als allerletzten Schritt, quasi als Ultima Ratio, würden zyklische Netzabschaltungen greifen, bei denen einzelne Regionen jeweils während einigen Stunden vom Netz genommen würden. Solche Stromsperren sind in Indien, China oder Südafrika in den vergangenen Monaten häufig vorgekommen. Hier wollen wir ein solches Extremszenario unbedingt vermeiden.
Wie gross schätzen Sie das Risiko ein, dass es doch eintritt?
Netzabschaltungen sind zwar denkbar, aber doch ziemlich unwahrscheinlich. Es bleibt ein Restrisiko, weshalb wir uns auf dieses Szenario vorbereiten müssen. Wichtig ist, dass kritische Strukturen wie Spitäler auch in einem solchen Szenario funktionieren, indem sie etwa mit Notstromaggregaten ausgerüstet sind. Jede Firma und jede Privatperson kann sich überlegen, ob und welche Vorkehrungen sie treffen will. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir ohne Netzabschaltungen durch den Winter kommen.