Es gibt viele Gründe, dankbar zu sein. Man kann dankbar sein, dass man Ferien hatte (und wohlbehalten aus ihnen zurückkehrte) oder dass man keine Ferien hatte (immerhin hat man einen Job). Man kann dankbar sein für den Platz am Fenster im Zug, das Minigespräch über gefrorene Pouletflügelchen an der Migroskasse, Sylvia Plaths Roman «Die Glasglocke», für eine Freundschaft, ein Dach über dem Kopf, vorbeiziehende Wolken, Liebe, Gegenliebe, für die Schönheit von Orangenblüten, den Willen zum Leben, für das manchmal aufkeimende Gefühl von innerem Frieden.
Dabei ist Dankbarkeit nicht nur ein Weg zu Glück und Freude, sondern auch zu Gesundheit: Studien behaupten, Dankbare hätten ein besseres Immunsystem und tieferen Blutdruck als Nörgler.
Sogar die Kritiker der Dankbarkeits-Euphorie geben zu, dass «Dankbarkeit» verglichen mit «Achtsamkeit», «Resilienz» oder «positivem Denken» die wohl prosozialste der angesagten Selbstoptimierer-Techniken ist. Dankbarkeits-Ratgeber ermuntern zu entsprechend kommunikativen Übungen: Schreib der hilfsbereiten Arbeitskollegin einen Dankbarkeits-Brief! Lass deinen Bruder wissen, was für ein absolut grossartiger Bruder er ist! Diese guten Taten machten nicht nur einen selbst glücklich, versprechen die Dankbarkeits-Gurus, sondern auch die Empfänger.
Aber ist Dankbarkeit tatsächlich immer angebracht? Die amerikanische Publizistin Barbara Ehrenreich ist skeptisch: Sollte eine miserabel bezahlte Walmart-Verkäuferin dankbar sein, wenn ihr Stundenlohn um 1 Dollar erhöht wird, während die Walmart-Besitzer, die Waltons, die mit Abstand reichste Familie der USA sind? Wie wohlfeil ist es, sich für den feinen Restaurantbesuch mit einer Notiz auf seiner Dankbarkeitsliste zu bedanken, statt mit einem üppigen Trinkgeld?
Mehr von Ursula von Arx
Letztlich helfe die vielgelobte Dankbarkeit lediglich, die bestehende Ungerechtigkeit leichter zu ertragen und den Status quo zu erhalten, meint Ehrenreich. Die wahre Herausforderung liege darin, die Leben zu verbessern, nicht die Haltungen dazu. Aber dafür müsste man sich von der Yoga-Matte erheben. Und das Gefühl von Dankbarkeit durch ein tatkräftigeres ersetzen: Solidarität.
Abgesehen davon, ob Dankbarkeit nun gut oder schlecht sei: Wie dankbar sind Sie für diese Buchstabenreihen? Alles wird gut.
Ursula von Arx glaubt, dass vielleicht mehr gute Menschen zu finden sind unter den Wütenden und Unzufriedenen als unter den Dankbaren. Sicher aber weniger Heuchler. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im «Blick».