Stellantis-CEO Carlos Tavares zum Klimaschutz
«Grosskonzerne werden immer als Teufel gesehen»

Carlos Tavares (63) steht immer unter Strom: Er rettete Peugeot und Co., schmiedete mit Stellantis einen 14-Marken-Konzern und steuert diesen jetzt Vollgas Richtung E-Mobilität. Warum so schnell?
Publiziert: 20.03.2022 um 11:25 Uhr
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Kaum jemand hat die Autobranche zuletzt so umgekrempelt wie Carlos Tavares.
Foto: JORGE CUNHA
Andreas Faust

Kaum jemand hat die Autobranche zuletzt so umgekrempelt wie Carlos Tavares. Vor acht Jahren wurde der 63-jährige Portugiese Boss beim französischen PSA-Konzern (damals Citroën, DS, Peugeot), trimmte ihn dank knallhartem Kostenmanagement wieder auf Profitabilität. Dann 2017 der erste Knall: PSA kauft Opel aus der Abhängigkeit von General Motors – nächster Kandidat fürs grosse Kostendrücken.

Im vorletzten Jahr schafft Tavares dann den ganz grossen Coup: Fusionsverhandlungen zwischen Fiat Chrysler Automotive (FCA) und Renault scheitern, Tavares als lachender Dritter schmiedet bis Anfang 2021 aus PSA und FCA den Mega-Konzern Stellantis mit 14 Marken von Abarth bis Peugeot. Neuer Name, neue Strategie: Bis 2030 will Tavares in Europa nur noch Elektroautos verkaufen, bis 2038 den ganzen Konzern völlig CO2-neutral aufstellen – bis hin zum Essen in den Werkskantinen.

Videokonferenz-Termin mit Tavares zu Elektromobilität und den aktuellen Krisen wie Ukraine und Chipmangel; zusammen mit der Jury «Car of the Year». Der CEO im Rollkragenpulli im Homeoffice – man ahnts nur, aber wohl in einer Kammer unterm Dach.

Nur Elektroautos reichen nicht

Vor fünf Jahren habe er noch Elektromobilität und digitale Vernetzung für Unsinn gehalten – warum denkt er jetzt anders? Nein, er sei nicht gegen Elektromobilität – aber gegen die Art und Weise, wie sie angegangen werde. Die Gesellschaft wolle klimaneutrale Mobilität – und die lasse sich nur elektrisch erreichen: «So sind die gesetzlichen Vorgaben, die wir akzeptieren müssen.» Punkt.

Aber: Damit E-Mobilität klappe, sei eine 360-Grad-Strategie für das Gesamtsystem nötig. Dazu gehörten Ökonomie, Ökologie, Geopolitik und das Tempo, in dem man Klimaschutz umsetzen könne. «Wir hätten mit dem Strom statt den Autos starten sollen», sagt Tavares. «Wenn Strom nicht sauber ist, dann ist Elektroantrieb nicht zielführend.» Das Leben eines E-Autos beginne wegen der Rohstoffe und der Produktion mit einem grossen CO2-Fussabdruck. Nur mit sauberer Energie liesse der sich über den Lebenszyklus wieder ausgleichen: «Elektroautos reichen nicht – wir brauchen sauberen und zahlbaren Strom. Aber es war ja einfacher, Elektroautos zu fordern, als die Energiewirtschaft auf den richtigen Kurs zu bringen.»

Energie ist nicht selbstverständlich

Jetzt stehe Europa vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der Abhängigkeit von russischer Energie vor grossen Herausforderungen. «Die nächsten Jahre werden sehr schwierig. Nicht nur Strom, sondern Energie allgemein werden sich verteuern.» Ohne nachhaltige, sparsame Energiewirtschaft werden man die kommenden Jahre nicht schaffen. «Wir haben genug Energie immer für selbstverständlich gehalten – und jetzt merken wir: Das ist sie nicht.»

Als Unternehmer müsse er dabei vor allem an eines denken: «PSA und FCA haben Nahtod-Erfahrungen gemacht – wir wissen, wie wichtig Profitabilität ist.» Sie sei der Schlüssel. Seinen Spar-Werkzeugkasten füllte Tavares einst bei Renault-Nissan als zweiter Mann hinter dem später spektakulär gescheiterten CEO Carlos Ghosn. Luxusautos fürs Image? Sportwagen, nur weil sie cool sind? Tavares liebt Autos, fährt sogar Rennen, aber wenn sie keinen Profit bringen, werden solche Modelle eingestampft. Alfa Romeo oder Maserati, die der Stellantis-Konzern gerade beide neu aufstellt, müssen nicht Stückzahlziele erfüllen – sie müssen schwarze Zahlen schreiben.

Europa wählte den Verbrenner ab

Deren Wichtigkeit sei aber nicht jedem klar – manchem gelte die Industrie nur als Steuerquelle zur Finanzierung der Gesellschaft: «Grosskonzerne werden immer als Teufel angesehen. Man geht davon aus, dass wir auf unseren Händen sitzen und nichts tun. Aber das Gegenteil ist der Fall.» Die Industrie sei an den besten Lösungen interessiert, die auch für die Kunden zahlbar seien. Nur grosse Konzerne mit den entsprechenden Stückzahlen in der Produktion könnten diese schaffen. Dabei wären gesetzliche Vorgaben nicht immer hilfreich: «Wir müssen Produkte zertifizieren lassen, die wir nicht mit beschlossen haben. Nicht wir entscheiden, welcher der Treibstoff der Zukunft ist. Wir können uns einbringen, aber wir können es nicht entscheiden.»

Wer entscheidet dann? «Mein Verständnis ist: Europa will keine Verbrenner mehr. Denn die Europäerinnen haben in den Parlamentswahlen die Weichen für das Ende der Verbrenner gestellt», sagt Tavares. Das entspreche nicht immer der Meinung Einzelner. «Aber es ist eine demokratische Entscheidung: Bis spätestens 2035 sollen die Verbrenner weg sein. Wenn wir sonntags so wählen, müssen wir uns alle montags darauf einstellen.» Diesen politischen Vorgaben könne er sich nicht entziehen und müsse unternehmerisch darauf reagieren, statt mit Verweigerung oder Blockade – «sonst sitze ich morgen im Gefängnis.» Er denke zehn Jahre im Voraus: «Also muss ich jetzt beginnen, E-Autos zu pushen und die Produktion umzustellen.»

China ist nicht so wichtig

Stellantis ist in China schlechter unterwegs als andere Mitbewerber – ist das ein Problem? «Wir brauchen dort keine riesigen Volumen – Hauptsache, wir schreiben schwarze Zahlen.» Aber das Land stehe am Scheideweg, erst recht in der aktuellen geopolitischen Lage. «Wenn in China etwas Übles passiert, werden ein deutscher und ein US-Autobauer ein Riesenproblem haben – aber nicht wir. Wir sind klein.» Man könne auch mit einem kleinen China-Geschäft und Stärke in Europa und den USA Erfolg haben. Wichtig sei aber, nicht defizitär zu arbeiten: «Für mich ist es nicht akzeptabel, wenn andere Regionen solche Defizite ausgleichen müssen. Das will ich den Mitarbeitenden nicht zumuten.»

Taskforce für Ukraine-Mitarbeiter

Wie gehts weiter mit den Motorshows? Die Pariser Schau soll im Herbst wieder stattfinden. Auch Genf arbeitet am Neustart für 2023. «Für uns müssen drei Faktoren erfüllt sein: Erstens müssen die hohen Messekosten mehr Nutzen bringen als andere Marketing-Massnahmen. Zweitens gehen wir nur an solche Messen, an denen es um Autos geht und wo wir als Autobauer auch erwünscht sind.» Er wolle mit Stellantis-Geld nicht Plattformen für Proteste finanzieren. Und drittens müsse das Geld wieder eingespielt werden können – durch Autoverkäufe an der Messe. Stellantis sei kein Entertainment-Unternehmen. «Ich wäre gerne zurück an den Motorshows. Aber nur, wenn es für uns wirtschaftlich stimmt.»

Und schliesslich: Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Stellantis? «Rein wirtschaftlich: Fast keine, unser Geschäft in Russland und der Ukraine ist sehr klein. Die Sanktionen haben wir sehr schnell umgesetzt. Und die Probleme in den Lieferketten können wir ausgleichen – die Halbleiter-Krise ist das deutlich grössere Problem», sagt Tavares. Viel wichtiger seien sie 71 Stellantis-Mitarbeitenden in der Ukraine: «Wir haben eine Taskforce gegründet und halten ständig Kontakt mit ihnen. Wir unterstützen sie mit Geld und versuchen, sie aus dem Land zu bringen, wenn das gewünscht ist.» Aber einige wollten bewusst bleiben.

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