SVP-Bundesrat zieht nach seinem ersten Jahr Bilanz
Haben Sie schon einmal bereut, gewählt worden zu sein, Herr Rösti?

Albert Rösti hat in seinem ersten Jahr als Bundesrat für viel Aufsehen gesorgt. Im Interview spricht er über die Energieversorgung, seine Wolfsabschuss-Pläne und warum er dachte, sich eine grosse Last aufgebürdet zu haben.
Publiziert: 28.12.2023 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 28.12.2023 um 09:44 Uhr
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Albert Rösti ist seit einem Jahr Bundesrat.
Foto: Philippe Rossier

Das Büro von Albert Rösti (56) im Bundeshaus Nord ist hell und modern, die Wände zieren Fotografien von Zügen und Autobahnen sowie ein riesiges Gemälde, das die Berner Alpen zeigt. Eines aber ist traditionell: eine grosse Trychel. Sie ist kein Geschenk von seinem Vorgänger Ueli Maurer (73), sondern der SVP Berner Oberland. Und Rösti hat keine Berührungsängste: Ohne zu zögern, schwingt er die Trychel – und die Blick-Journalisten stellen sich vor, dass er mit diesem Höllenlärm jeden Morgen seine Beamten weckt. Ruhig war es um Rösti in seinem ersten Jahr als Bundesrat ohnehin nicht. Zeit für eine erste Bilanz. 

Der Öl-Lobbyist kämpfte für das Klimaschutzgesetz
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Albert Rösti im Porträt:Der Öl-Lobbyist musste für das Klimaschutzgesetz kämpfen

Herr Rösti, wie waren die ersten Weihnachten als Bundesrat?
Albert Rösti:
Es waren schöne Weihnachten, aber nicht anders als in den Jahren davor. Für meine Familie bin ich ja nicht der Bundesrat, sondern der Albert Rösti. 

Kommentiert die Familie den Bundesrat Albert Rösti hin und wieder?
Meine Tochter fragt schon manchmal: War das jetzt nötig? (lacht) Und meine Frau ist auch eine kritische Begleiterin.

Haben Sie schon einmal bereut, gewählt worden zu sein?
Bereut auf keinen Fall. Aber in den ersten Wochen habe ich schon ab und zu gedacht: Da habe ich mir eine grosse Last aufgebürdet.

Inwiefern?
Vieles war neu – ich durfte viele neue Mitarbeitende und Geschäfte kennenlernen. Ausserdem hat man zunächst kaum Aussenkontakte, sondern muss sich in die Dossiers einarbeiten. Am Anfang hatte ich schon manchmal das Gefühl, ich sei gefangen in diesem Büro. Aber es hat sich gelohnt, durchzubeissen, ich bin motiviert an der Arbeit und viel mit der Bevölkerung in Kontakt.

Albert Rösti

Der studierte Agronom Albert Rösti (56) war bereits Gemeindepräsident, Direktor der Milchproduzenten, Auto- und Öl-Lobbyist, Nationalrat und SVP-Präsident. Seit diesem Jahr ist er Bundesrat und führt das gewichtige Departement für Umwelt-, Verkehr-, Energie- und Kommunikation und führt dabei über 2500 Mitarbeitende. Rösti ist in Kandersteg BE aufgewachsen, doktorierte an der ETH, studierte aber auch in den USA. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. In seiner Freizeit setzt sich Rösti gerne aufs Velo.

Seit Albert Rösti in den Bundesrat gewählt wurde, sind seine Tage vollgepackt.
Philippe Rossier

Der studierte Agronom Albert Rösti (56) war bereits Gemeindepräsident, Direktor der Milchproduzenten, Auto- und Öl-Lobbyist, Nationalrat und SVP-Präsident. Seit diesem Jahr ist er Bundesrat und führt das gewichtige Departement für Umwelt-, Verkehr-, Energie- und Kommunikation und führt dabei über 2500 Mitarbeitende. Rösti ist in Kandersteg BE aufgewachsen, doktorierte an der ETH, studierte aber auch in den USA. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. In seiner Freizeit setzt sich Rösti gerne aufs Velo.

Gab es etwas am Amt, das Sie überrascht hat?
Wie viele andere vor mir habe ich den Rhythmus unterschätzt. Es ist nicht so, dass die Arbeitstage länger werden, aber sie sind viel enger getaktet. Es gibt Tage, da habe ich 14 Sitzungen. Und was völlig fehlt, sind Reisezeiten: Früher hatte ich Termine in Bern, Zürich, St. Gallen, Uetendorf. Auf dem Weg dazwischen konnte ich entspannen. Diese Erholungszeiten fehlen mir manchmal. Jetzt findet fast alles hier statt. Das ist effizient, hat aber den Nachteil, dass alle 30 bis 60 Minuten etwa Neues los ist … bereut? Nie! Das Uvek ist ein riesiger Glücksfall für mich, ein grosses Privileg. Aber man muss fit sein, wenn man am Morgen ins Büro kommt.

Wann kommen Sie am Morgen ins Büro?
Da setze ich den Joker ein … Nicht so früh, etwa gegen halb 8. Aber ich arbeite am Abend lange.

Wie erholen Sie sich nach 14 Sitzungen?
Wichtig ist Disziplin, besonders beim Schlafen. Ich achte darauf, dass ich sieben, besser acht Stunden pro Nacht schlafe. Ich weiss, manche sagen, das liege als Bundesrat nicht mehr drin. Ich finde, wenn ich acht Stunden schlafe, habe ich immer noch 16 Stunden zum Arbeiten. Das ist auch für einen Bundesrat genug. Ganz abgesehen davon: Viele andere Leute haben auch fordernde Berufe und stressige Tage. Es gibt keinen Grund, mich zu bedauern.

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«Es wird genügend Projekte geben, um die Winterstromlücke zu schliessen.»
Albert Rösti
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Das prägende Thema Ihres ersten Amtsjahrs war die Energiepolitik. Solarexpress, Windexpress, Wasserkraft – da wurde viel aufgegleist, aber konkret vorwärtsgekommen sind wir nicht, oder?
Doch, wir haben unter anderem mit einem Reservekraftwerk dafür gesorgt, dass wir nicht in eine Strommangellage geraten. Aber was den längerfristigen Zubau bei der Energieversorgung angeht, sind wir noch nicht auf Kurs. Das jedoch ist die Folge von Einsprachen und Projektverzögerungen. Umso wichtiger ist der Mantelerlass, der 16 Projekte festlegt, bei denen die Stromproduktion dem Landschaftsschutz vorgeht. Auch Gerichte können das nicht mehr umstossen. Möglicherweise gibt es nun ein Referendum, dann hoffen wir, dass die Bevölkerung bereit ist, das mitzutragen.

Und wenn ja?
Bei der Solarenergie wird zwar Jahr für Jahr mehr zugebaut. Doch selbst dann dürfen wir uns keine Illusionen machen. Insbesondere bei der Wasserkraft dauert es sicher noch fünf bis zehn Jahre, bis mehr Strom fliesst. Aber wenn wir in zehn Jahren mehr Wasserkraft an Grimsel, Trift und Gornergrat haben, haben wir wirklich etwas erreicht. Kommen dann noch zwei Terawattstunden alpiner Solarstrom und ein Terawatt Windstrom dazu, haben wir die zehn Prozent mehr Winterstrom, die wir brauchen, damit wir auf der sicheren Seite sind. Das ist im Moment mein wichtigstes Ziel als Energieminister. 

Aber faktisch gibt es immer wieder Einsprachen oder lokale Abstimmungen.
Das ist unsere Demokratie. Es wird immer Leute geben, die man nicht überzeugen kann. Aber ich bin sicher: Es wird genügend Projekte geben, um die Winterstromlücke zu schliessen. Ob der zweite Schritt gelingt – die Schweiz CO2-neutral zu machen und 45 Terawattstunden durch erneuerbare Energien zu produzieren – das muss die Zukunft zeigen.

Sie tönen skeptisch.
Wenn ich die Anzahl Einsprachen sehe, die nach wie vor vom Landschaftsschutz und von Naturschutzorganisationen angekündigt werden, dann bin ich skeptisch, ja. Auch darum habe ich den Beschleunigungserlass ins Parlament gebracht, so können grosse Wind-, Wasser- oder Solarkraftwerksanlagen schneller geplant und gebaut werden.

Hand aufs Herz. Wenn Sie entscheiden könnten: Sollten wir neue AKW bauen?
Wir sollten uns jetzt nicht in einer Kernkraftdiskussion verzetteln. Die Frage kommt nächstes Jahr automatisch auf den Tisch, wenn die Blackout-Initiative eingereicht wird. 

Sie weichen aus.
Sehen Sie, egal, wie die Diskussion ausgeht, brauchen wir jetzt mehr Solaranlagen auf Dächern, an Fassaden und in den Alpen. Langfristig habe ich einen Auftrag von der Bevölkerung: wegkommen von CO2 aus Öl und Gas. Dazu müssen alle Technologien in Betracht gezogen werden.

Der Bundesrat wird mit der EU über ein Stromabkommen verhandeln. Dabei haben Sie gesagt, man brauche es nicht. Wieso verhandeln wir nun trotzdem?
Ich sagte, wir brauchen es nicht um jeden Preis. Doch wir haben ein Interesse daran, dass die Schweiz nicht vom europäischen Stromhandel ausgeschlossen wird. Zwar haben mir die Minister unserer Nachbarländer gesagt, dass das nicht zu befürchten sei. Aber das halte ich lieber schriftlich in einem Abkommen fest: Mit mündlichen Zusagen allein kann man nie sicher sein, dass nicht doch wieder Nadelstiche kommen, wenn es irgendwo Probleme gibt. Ich mache mir aber weniger Sorgen um die Einigung mit der EU als um die innenpolitische Umsetzung. Insbesondere die Liberalisierung des Strommarkts wird herausfordernd sein.

Warum das? Wie heute in der Grundversorgung zu sein, bleibt ja für jeden möglich.
Anforderung der EU ist aber, dass jeder aus der Grundversorgung aussteigen und seinen Strom auf dem freien Markt kaufen kann. Das kann verheerende Auswirkungen haben: Stellen Sie sich vor, dass die meisten Haushalte in den freien Markt wechseln, weil der Strom dort günstiger ist. Und dann steigen die Preise wie nach dem Anfang des Ukraine-Kriegs plötzlich rasant an – das kann riesige Probleme geben. Die Öffnung des Strommarkts im Parlament durchzubekommen, dürfte nicht einfach werden – in allen Parteien gibt es Vorbehalte. 

Wie wollen Sie das angehen?
Es wird begleitende Massnahmen brauchen. Innenpolitisch wird die Liberalisierung nur dann mehrheitsfähig sein, wenn man den Befürchtungen vor viel zu hohen Strompreisen etwas entgegensetzen kann.

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«Das Vorgehen war absolut demokratisch.»
Albert Rösti
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Kommen wir zu einem anderen Thema: Ihr Schuss auf den Wolf scheint nach hinten loszugehen. Jetzt werden Forderungen laut, dass sich die parlamentarische Aufsicht das anschauen soll. War es das wirklich wert?
Ja, unbedingt. Wenn wir ein Raubtier in diesem Land haben, das Ängste auslöst, wenn die Bauern um ihre Nutztiere fürchten, dann muss der Umweltminister handeln, ob es Applaus gibt oder nicht. Die Wolfspopulation wächst exponentiell. Würden wir nicht handeln, würde sich das Problem massiv verschärfen. Auch wenn der Blick eine Kampagne dagegen macht und behauptet, ich wolle 70 Prozent der Wölfe abschiessen – was einfach falsch ist!

Sie sind an die Grenzen des rechtlich Möglichen gegangen, um die Wolfsabschüsse durchzudrücken.
Die Gerichte werden prüfen, ob die Bedingungen für eine Regulierung erfüllt sind, weil Umweltverbände dagegen Beschwerde eingereicht haben. Ich bin zuversichtlich, dass alles rechtens ist. Das Vorgehen war absolut demokratisch. Denn in der Zwischenzeit hat das Parlament ein neues Jagdgesetz verabschiedet, das präventive Regulierungen des Wolfes vorsieht und gegen das kein Referendum ergriffen wurde. Also gilt das Gesetz. 

Demokratisch? Sie haben nicht einmal eine normale Vernehmlassung durchgeführt.
Wir haben alle Beteiligten angehört – allerdings in kürzerer Zeit als üblich, um zu verhindern, dass wir zwei Jagdperioden verpassen. Denn in dieser Zeit hätten sich die Wölfe weiter vermehrt, und es wäre zu noch mehr Rissen bei Schafen und Ziegen gekommen. Das wäre auch schlecht für den Wolf gewesen, er hätte in der Bevölkerung an Akzeptanz verloren. 

Wagen wir noch einen Ausblick auf 2024. Auch ihr zweites Amtsjahr wird kaum ruhiger verlaufen: Vielleicht müssen sie drei Abstimmungskämpfe führen: für den Mantelerlass und den Autobahnausbau und gegen die Biodiversitäts-Initiative.
Die drei Abstimmungen haben absolute Priorität. Abgesehen davon bleibt Strom ein Schwerpunkt. Die vom Parlament beschlossenen Massnahmen müssen umgesetzt werden. Und die konkreten Ausbauprojekte müssen realisiert werden.

Wollen Sie selbst vor Ort dafür weibeln?
Nein. Bei den einzelnen Projekten ist es an den Projektverantwortlichen, zu überzeugen. Es wäre sicher kontraproduktiv, wenn ich ins Wallis ginge und den Leuten da sagen würde, sie müssten jetzt eine alpine Solaranlage bauen. Doch sollten Ausbauprojekte Unterstützung brauchen – etwa, wenn man Kompromisse aushandeln muss – will ich das gern tun. 

Werden Sie ans WEF reisen?
Ja. Das genaue Programm steht noch nicht fest, aber ich werde versuchen, andere Energie- und Verkehrsminister zu treffen. 

Habeck sorgt mit Versprecher für Lacher
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«Herr Kollege Röstli»:Habeck sorgt mit Versprecher für Lacher

Meinen Sie, Ihr deutscher Amtskollege Robert Habeck kennt Ihren Namen nun? Vor einem Jahr nannte er Sie «Röstli».
Erinnern Sie mich bloss nicht daran! Das war meine zweite Woche als Bundesrat, gefühlt warteten alle auf einen Fehltritt. Ich habe darauf geachtet, ja keinen Fehler zu machen. Und dann schreiben alle nur über Herrn Habecks Versprecher … 

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