«Parlament hat es sich etwas sehr einfach gemacht»
Warum die oberste Berglerin den Eigenmietwert verteidigt

Carmelia Maissen, Präsidentin der Regierungskonferenz der Gebirgskantone, kämpft dafür, dass der Eigenmietwert bleibt. Obwohl sie selbst in einem Haus wohnt – und in den Bergen viele Hausbesitzer wohnen.
Publiziert: 10:49 Uhr
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Aktualisiert: 10:52 Uhr
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Carmelia Maissen ist Präsidentin der Regierungskonferenz der Gebirgskantone.
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

  • Eigenmietwert-Abschaffung: Gebirgskantone gegen neue Steuer auf Zweitwohnungen
  • Carmelia Maissen vertritt Interessen der Gebirgskantone als Regierungskonferenz-Präsidentin
  • Graubünden: 90 Millionen Franken jährliche Steuereinnahmen durch Eigenmietwert gefährdet
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Wenn Carmelia Maissen (47) dieser Tage die Steuererklärung ausfüllt, muss sie später wie Hunderttausende Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer den Eigenmietwert bezahlen. Während viele Hausbesitzer sich darüber ärgern, sieht es Maissen differenzierter.

Die Bündner Mitte-Regierungsrätin vertritt die Interessen der Gebirgskantone. Diese sind gegen die Abschaffung des Eigenmietwerts. Denn dank der Zweitwohnungen in den Bergen fliesst viel Steuergeld in die Kantons- und Gemeindekassen. 

Doch das Parlament hat im Dezember entschieden, dass die umstrittene Steuer rund um ein fiktives Einkommen gestrichen werden soll. Dafür soll eine neue Steuer auf Zweitwohnungen eingeführt werden. Nun muss noch das Volk zustimmen. Die Hausbesitzer-Lobby hofft auf ein Ja. 

«Leistungen kürzen, Steuern erhöhen»

Fällt der Eigenmietwert, fehlen den Kantonen Steuereinnahmen. «Allein für den Kanton und die Gemeinden in Graubünden sind es 90 Millionen Franken pro Jahr», rechnet Maissen vor. «Das muss kompensiert werden. Wir müssen also entweder die Leistungen kürzen, andere Steuern erhöhen oder die neue Steuer auf Zweitliegenschaften einführen.»

Maissen ist Präsidentin der Regierungskonferenz der Gebirgskantone. Die promovierte Architektin und Tochter von alt Ständerat Theo Maissen (80) vertritt also jene Kantone, die das System beibehalten wollen.

Doch in den Bergen leben tendenziell mehr Leute in eigenen Häusern als in den Städten. Wie geht das zusammen? «Die Abschaffung des Eigenmietwerts ist nicht gratis und bringt unseren Leuten unter dem Strich nichts. Sie müssten für die Einnahmeausfälle anderweitig bezahlen», sagt Maissen. «Und all jene, die heute in einem alten Haus wohnen, haben danach weniger Anreiz, das alte Bad zu erneuern.» Dies, weil mit der Abschaffung des Eigenmietwerts keine Steuerabzüge für den Hausunterhalt mehr möglich wären. 

Nicht nur die Abschaffung des Eigenmietwerts sei ein Problem. «Auch das Sparpaket, über das jetzt diskutiert wird, werden Bund und Kantone hart treffen. Jetzt auch noch 1,7 Milliarden aus dem Eigenmietwert zu verlieren, wird schwierig.» Sie verweist darauf, dass nicht nur die Bergkantone, sondern 19 von 26 Kantonen das neue Konzept ablehnen.

«Wäre der Eigenmietwert nur auf die Erstwohnungen gefallen, hätten die Gebirgskantone Hand geboten», sagt Carmelia Maissen.
Foto: Philippe Rossier

Nur: Den Kantonen geht es nicht schlecht. Im Jahr 2023 gab es in Graubünden einen Überschuss von 120 Millionen. Zuletzt wurden deshalb die Steuern gesenkt – «ein Auftrag des Parlaments», sagt Maissen. Doch Graubünden ist nicht allein: In einigen Kantonen gibt es Steuerrabatte, in anderen Gratis-ÖV für Jugendliche. «Die finanzielle Situation in Graubünden hinkt immer etwas hinterher. Läuft es besser, gehen die Einnahmen aus dem Finanzausgleich zurück. Das wird uns in den nächsten Jahren einholen.»

Objektsteuer? «Schwer umzusetzendes Bürokratieungeheuer»

Wenn der Eigenmietwert fällt, bekommen die Kantone eine neue Einnahmequelle: Sie dürfen eine neue Steuer für Zweitwohnungen erheben. Die sogenannte Objektsteuer soll ein Teil der Einnahmenausfälle kompensieren. Graubünden nimmt allein 70 der 90 Millionen Franken über den Eigenmietwert von Zweitwohnungen für Kanton und Gemeinden ein.

«Wäre der Eigenmietwert nur auf die Erstwohnungen gefallen, hätten die Gebirgskantone Hand geboten. Doch diese neue Objektsteuer für Zweitwohnungen ist ein schwer umzusetzendes Bürokratieungeheuer.» So bräuchte es zuerst kantonale und kommunale Gesetze. «Es gibt noch viele offene Fragen und neue Schlupflöcher drohen», sagt Maissen. «Das Parlament hat es sich etwas sehr einfach gemacht. Während es bei der Raumplanung am liebsten jedes Detail regelt und in die kantonalen Kompetenzen eingreift, hat das Parlament hier sehr viele wichtige Fragen nicht geklärt.»

Die Arbeit im Parlament ist Maissen nicht fremd. Sie studierte in Zürich, danach arbeitete sie in Bern bei den Parlamentsdiensten. Die Mischung aus Stadt und Land sieht sie als Stärke, nicht als Graben. «Das Leben ist nie schwarz-weiss. Viele Leute kommen aus den Städten in die Berge, um sich zu erholen, und profitieren vom Austausch. Das schafft Verständnis.» 

Wer bei der Eigenmietwert-Abschaffung und der neuen Steuer für Zweitwohnungen mehr Verständnis schaffen kann, wird sich voraussichtlich im September zeigen. Dann entscheidet das Volk.

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