Nach Beschwerde gegen Solar Morgeten erklärt sich der oberste Landschaftsschützer
«Wir sind keine Verhinderer»

Das erste Projekt, das vom Solarexpress profitieren könnte, muss wieder zittern. Die Stiftung Landschaftsschutz hat Beschwerde eingereicht. Geschäftsführer Raimund Rodewald wehrt sich gegen das Verhinderer-Image und erklärt, warum er das Stromgesetz unterstützt.
Publiziert: 05.06.2024 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2024 um 09:07 Uhr
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Raimund Rodewald hat mit der Stiftung Landschaftsschutz Beschwerde gegen das erste Projekt des Solarexpresses gelegt.
Foto: Keystone
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Die Freude auf der Alp Morgeten im bernischen Simmental war gross: Als erste grosse alpine Solaranlage hatte das Projekt die Baubewilligung bekommen. Am Montag folgte der Rückschlag: Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat zusammen mit zwei weiteren Organisationen Beschwerde eingereicht. Nicht zum ersten Mal verhindern Naturschützer mehr Strom. Geschäftsführer Raimund Rodewald (64) rechtfertigt sich.

Blick: Warum die Einsprache gegen das Solarprojekt Morgeten?
Raimund Rodewald: Das hat formelle und inhaltliche Gründe. Zum einen zeigt das Solarprojekt, dass das Parlament beim Solarexpress schlampig gearbeitet hat. Beim konkreten Projekt läuft das Stromnetz durch eine Moorlandschaft. Die ist absolut geschützt. Eine Bewilligung liegt auch noch nicht vor. Der Umweltverträglichkeitsbericht wurde in aller Eile erstellt und hat beträchtliche Fehler. In dieser heute intakten Landschaft leben seltene Vögel und Insekten. Wie diese reagieren, wenn dort ein Solarpark entsteht, ist unklar. Auch die Behörden waren in ihren Stellungnahmen eher kritisch.

Der Landschaftsschützer

Raimund Rodewald ist seit über 30 Jahren Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz und wohl das bekannteste Gesicht des Schweizer Umweltschutzes. Der promovierte Biologe hat die Schweizer Raumplanung massgeblich mitgeprägt. 2008 erhielt er den Ehrendoktor der juristischen Fakultät der Uni Basel.

Raimund Rodewald ist seit über 30 Jahren Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz und wohl das bekannteste Gesicht des Schweizer Umweltschutzes. Der promovierte Biologe hat die Schweizer Raumplanung massgeblich mitgeprägt. 2008 erhielt er den Ehrendoktor der juristischen Fakultät der Uni Basel.

Mit dem WWF konnten die Betreiber der Solaranlage eine Einigung erzielen. Warum genügt Ihnen das nicht?
Der WWF hat einen anderen Fokus. Wir haben diesen Standort von Beginn an kritisiert. Wenn seltene Vögel wie das Steinhuhn einmal weg sind, kommen sie nicht wieder. Das dürfen wir nicht riskieren.

Man bekommt den Eindruck, man kann es den Landschaftsschützern gar nie recht machen.
Das stimmt nicht! Wir haben einige Projekte im Bündnerland akzeptiert, zum Beispiel in Samedan oder in der Surselva. Bei Solar Morgeten geht es aber um unsere zentralen Anliegen. Wenn wir dort nichts machen, wird der Landschaftsschutz zur Farce.

Das Stromgesetz unterstützen Sie. Gleichzeitig bekämpfen Sie einzelne Projekte, wie jenes beim Gornerli bei Zermatt, die im Gesetz stehen. Das ist doch widersprüchlich.
Das mag tatsächlich auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Aber das Gornerli-Projekt ist noch sehr weit weg, es gibt noch kein konkretes Projekt. Mit technischen Alternativen kann man das Wasser nutzen, ohne die Landschaft zu gefährden. Wir können nicht wegen eines Projekts den ganzen Erlass ablehnen. Das Gesetz bringt viel, zum Beispiel bessere Effizienzmassnahmen. Zudem bleiben Beschwerden gegen einzelne Projekte möglich.

Das heisst im Klartext: Die Umweltverbände stimmen jetzt mal dem Gesetz zu, legen dann aber gegen alle Projekte Beschwerden ein.
Nein. Wir sind keine Verhinderer. Die restlichen Wasserkraft-Projekte im Gesetz unterstützen wir. Und auch bei neuen Solarkraftprojekten gibt es sinnvolle Standorte, gegen die wir nichts haben.

Aber zum Beispiel hat Aqua Viva gegen das Trift-Wasserkraftprojekt bereits Beschwerde eingereicht.
Ich kann Aqua Viva nicht verbieten, dort Einsprache zu erheben, wir selbst haben es nicht gemacht.

Die fünfte Landessprache ist die Einsprache. Einverstanden?
Nein. Es ist unsere Aufgabe, die Landschaft zu schützen, wie es die Aufgabe von Aqua Viva ist, die Gewässer zu schützen. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Aber natürlich kann ich nicht für jede lokale Gruppierung sprechen. Gerade bei den Windkraftprojekten ist der lokale Widerstand gross.

Wo soll der Strom aus Ihrer Sicht denn herkommen?
Die Mangellage, wovor der Bund gewarnt hat, ist ja zum Glück nicht eingetreten. Auf den Dächern hat es noch viel Potenzial für Solarpanels. Dort muss man schneller zubauen. Aber es ist völlig unnötig, die Alpen zu verschandeln. Im Sommer produzieren wir viel zu viel Strom, sodass wir ihn quasi verschenken müssen.

Aber nur auf den Dächern gibt es nicht genügend Winterstrom.
Wir brauchen technische Lösungen, um den Sommerstrom zu speichern. Dazu ist auch im Mittelland die Stromproduktion im Winter nicht einfach null. Aber ich habe auch keine Patentlösung. Unabdingbar ist aber das Vermeiden von Energy Waste, also von Stromvergeudung.

Also werden wir 2035 genügend Strom haben?
Wenn wir mit der Solaroffensive auf den Dächern weitermachen, sicher. Vermutlich muss man auch über die AKW-Laufzeit diskutieren und Stromspeicher sind zu entwickeln. Auch ein Stromabkommen mit der EU ist zentral. Wenn wir in 20 Jahren zu wenig Strom haben, liegt es sicher nicht an unseren Beschwerden.

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