Ihre Eltern haben gemeinsam gekämpft, um die Umwelt zu schützen. Jetzt streiten sich deren Kinder: Naturschützerin Vera Weber (49) hat gegen das neue Stromgesetz das Referendum ergriffen. Abenteurer Bertrand Piccard (66) will es unbedingt. Im Juni entscheidet das Volk. Vorher treffen sich die beiden zum Streitgespräch – in der Villa in Montreux VD, in der Weber aufgewachsen ist.
Blick: Bertrand Piccard, Sie haben schon viele Abenteuer auf der ganzen Welt erlebt. Warum wollen Sie eine Abstimmung in der kleinen Schweiz gewinnen?
Bertrand Piccard: Seit drei Generationen setzt sich meine Familie für den Schutz der Umwelt ein. Das Stromgesetz bietet die grösste Chance seit langem, die Natur zu schützen und gleichzeitig den Klimawandel zu bekämpfen. Das dürfen wir nicht verpassen.
Vera Weber: Genau das Gegenteil ist der Fall! Mit diesem Gesetz wird die Natur auf dem Altar der Energieproduktion und des sogenannten Klimaschutzes geopfert. Es schwächt den Naturschutz: Wälder werden gerodet, unsere Alpen mit Solarpanels verschandelt. Dieses Gesetz verstösst gegen alles, was meine Familie seit 50 Jahren für den Landschaftsschutz tut.
Die Natur- und Tierschützerin Vera Weber (49) ist Präsidentin der Fondation Franz Weber, die ihr Vater, der 2019 gestorben ist, einst gegründet hat. Der grösste politische Erfolg der Webers ist die Annahme der Zweitwohnungsinitiative im März 2012. Das Referendum zum Stromgesetz hat sie mit anderen kleineren Umweltschutzverbänden ergriffen.
Weber hat die Hotelfachschule in Luzern abgeschlossen und führt derzeit, bis ein Nachfolger gefunden ist, das Grandhotel Giessbach im Berner Oberland.
Die Natur- und Tierschützerin Vera Weber (49) ist Präsidentin der Fondation Franz Weber, die ihr Vater, der 2019 gestorben ist, einst gegründet hat. Der grösste politische Erfolg der Webers ist die Annahme der Zweitwohnungsinitiative im März 2012. Das Referendum zum Stromgesetz hat sie mit anderen kleineren Umweltschutzverbänden ergriffen.
Weber hat die Hotelfachschule in Luzern abgeschlossen und führt derzeit, bis ein Nachfolger gefunden ist, das Grandhotel Giessbach im Berner Oberland.
Piccard: Heute kommt die Energie in der Schweiz zu zwei Drittel von fossilen Energien wie Erdöl und Gas. Die Gletscher schmelzen, Bäume verdorren und Millionen von Menschen auf der Welt sterben wegen der Luftverschmutzung. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird die Natur viel stärker geschädigt als mit diesem Gesetz. Wir müssen importiertes Öl und Gas durch einheimischen, sauberen Strom ersetzen.
Frau Weber, warum blockieren Sie den Klimaschutz?
Weber: Wir sind natürlich für erneuerbare Energien. Aber es ist absolut nicht notwendig, auch nur einen Quadratmeter Natur dafür zu zerstören. Wir haben ein riesiges Potenzial auf Dächern und Fassaden. Dort Solarpanels anzubringen, belastet die Natur nicht. Wenn hingegen Wälder gerodet werden, opfern wir einen riesigen Teil des natürlichen Lebensraums von Tieren und Pflanzen. Wald zu roden, um Windturbinen zu bauen, ist ein absolut schamloser Unsinn.
Piccard: Es stimmt, dass es auf den Dächern noch Platz hat für neue Solarpanels. Aber das nützt nicht genug im Winter, wenn es Nebel gibt. Da brauchen wir auch Solaranlagen in den Alpen.
Wie wollen Sie im Winter für genügend Strom sorgen, Frau Weber?
Weber: Man kann nicht pauschal sagen, dass es im Winter keine Sonne gibt. Dazu kommt schon heute 60 Prozent unseres Stroms aus der Wasserkraft. Und es gibt noch eine Reihe anderer Technologien. Die Schweiz ist kein Windland – anstatt selbst Windräder aufzubauen, und dafür Wald zu roden, könnten wir Deutschland seinen überschüssigen Windstrom abkaufen.
Piccard: Wenn die Solarenergie im Winter nicht ausreicht, müssen wir klimaschädliche Gaskraftwerke und Atomkraftwerke betreiben. Windräder liefern dagegen sauberen Strom. Heute sterben viel mehr Wälder aufgrund der Klimaveränderungen ab, als wenn man ein paar Windräder aufstellt.
Aber es ist doch paradox, Wälder zu roden, um das Klima zu schützen.
Piccard: Das Paradoxe ist, dass die Natur durch den Klimawandel viel stärker geschädigt wird, wenn alles so bleibt, als wenn wir dieses neue Gesetz verabschieden! Und überhaupt: Wenn irgendwo Bäume gefällt werden für ein Windrad, müssen an anderer Stelle welche angepflanzt werden. Es wird also nicht weniger Bäume in der Schweiz geben als vorher. Und um zu wachsen, nehmen junge Bäume viel mehr CO2 auf als alte.
Weber: Ein alter Wald hat einen so hohen Wert für die Biodiversität, wie ihn ein junger Wald erst in Hunderten von Jahren erreicht. Es ist völlig verrückt zu glauben, dass Windräder und Solarpanels in den Schweizer Alpen und Wäldern das Klima weltweit schützen. Dafür bräuchte es globale Lösungen …
Piccard: Wenn es in jedem Land eine Vera Weber gibt, kommen wir nirgendwo hin beim Klimaschutz!
Weber: Und wo wollen Sie neue Bäume wachsen lassen? Sie werden dafür Ackerland brauchen. Es gefährdet unsere Ernährungssicherheit, weil wir Bäume pflanzen müssen, wo unser Essen angebaut werden sollte.
Herr Piccard, wenn Sie Werbung machen, wird oft auch die unberührte Natur gezeigt. Würde Sie ein Windrad in den Alpen nicht auch stören?
Piccard: Ob etwas schön ist oder nicht, ist sehr subjektiv. Ausländer besuchen den Grande-Dixence, um einen der schönsten Staudämme Europas zu sehen. Mit dem Klimawandel ziehen sich die Gletscher zurück. Sie hinterlassen leere Täler mit Steinen. Keine Artenvielfalt, keinen Wald, es gibt nichts. Nur Steine. Das ist auch nicht schön.
Bertrand Piccard (66) ist Psychiater und Forscher, er stammt aus der berühmten Forscherdynastie der Piccards. Ihm gelang 1999 die erste Nonstop-Weltumrundung in einem Ballon. Später flog er erneut um den Globus – dieses Mal in einem Solarflugzeug. Das Projekt trug den Namen «Solar Impulse», wonach auch die heutige Stiftung Piccards benannt ist. 2028 will er mit einem wasserstoffbetriebenen Flugzeug nonstop um die Welt fliegen. Piccard ist verheiratet und Vater dreier Töchter.
Bertrand Piccard (66) ist Psychiater und Forscher, er stammt aus der berühmten Forscherdynastie der Piccards. Ihm gelang 1999 die erste Nonstop-Weltumrundung in einem Ballon. Später flog er erneut um den Globus – dieses Mal in einem Solarflugzeug. Das Projekt trug den Namen «Solar Impulse», wonach auch die heutige Stiftung Piccards benannt ist. 2028 will er mit einem wasserstoffbetriebenen Flugzeug nonstop um die Welt fliegen. Piccard ist verheiratet und Vater dreier Töchter.
Während Piccard spricht, hat sich eine Elster auf dem Balkon von Webers Haus gesetzt. Der Blick der Naturschützerin schwenkt ab und bleibt beim Vogel. Lange schaut sie ihn an, bis er in Richtung Genfersee wegfliegt.
Piccard: Auch mir gefällt es nicht, dass an bestimmten Orten Windkraftanlagen stehen. Und deshalb wird es ein Beschwerderecht geben, das wir nutzen können.
Weber: Beschwerden, die chancenlos sein werden!
Piccard: Das Gesetz sieht nur vor, dass mit Beschwerden Verfahren nicht unnötig verzögert werden können. Aber sie sind nicht unmöglich.
Weber: Aber die Produktion von erneuerbarer Energie steht laut Gesetz über dem Naturschutz. Die Gerichte werden keinen Spielraum mehr haben. Wir werden also die Möglichkeit haben, Rechtsmittel einzulegen, aber das wird nicht helfen.
Piccard: Vera, je vous adore, aber es ist Demagogie zu sagen, dass wir Wälder abholzen werden, um Windräder aufzustellen! Weil die Bevölkerung das nicht akzeptieren wird! Es sind weiterhin Volksinitiativen und Referenden möglich. Nur die Einsprüche werden schneller bearbeitet.
Frau Weber, sind Sie eine Demagogin, also jemand, der das Volk aufhetzt?
Weber: Nein. Wir haben dieses Gesetz mit unseren Anwälten analysiert, und alle haben gesagt, dass es extrem gefährlich ist.
Piccard: Anwälte, die Sie bezahlt haben. Die sagen Ihnen, was Sie hören möchten.
Weber: Ich bitte Sie! Darunter sind auch unabhängige Juristen, zum Beispiel Alain Griffel von der Universität Zürich. Dieses Gesetz ist extrem gefährlich, die Natur- und Umweltschutzorganisationen haben praktisch keine Chancen mehr, weil die Gerichte die Produktion von erneuerbarer Energie über den Naturschutz stellen müssen.
Piccard: Die grossen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, WWF oder Pro Natura sind normalerweise die Ersten, die Einspruch gegen Windkraftprojekte erheben. Doch diesem Gesetz stimmen sie zu ...
Weber: … sie haben das Gesetz akzeptiert, aber mussten viele Kröten schlucken. Die Energieproduktion hat Vorrang vor dem Naturschutz. Wir werden uns selbst verlieren: Wir verlieren unser Land, unsere Landschaften. Wir opfern die Natur auf dem Altar der Energieproduktion.
Piccard: Der Slogan ist werbewirksam, aber er ist nicht wahr! Der einzige Weg, die Umwelt heute zu schützen, ist, die fossilen Brennstoffen zu ersetzen. Ich sehe es selbst: Dort, wo ich wohne, gab es noch nie so viele tote Bäume. Die Bäume sterben, weil wir immense Dürreperioden haben. Wir können nicht mit Giesskannen hingehen und einen Baum nach dem anderen giessen.
Den Guetzli-Teller, den Vera Weber vor dem Gespräch bereitgestellt hat, ignorieren beide. Erst als sie nach dem Interview auf dem Balkon weiter diskutieren, greifen sie zu.
Weber: Es gibt auch positive Elemente im Gesetz, zum Beispiel zur Energieeinsparung. Man muss nur einige Artikel dieses Gesetzes korrigieren, damit die Natur wieder den Stellenwert erhält, den sie verdient. Damit Klima und Energie nicht über den Naturschutz gestellt werden können.
Piccard: Wenn wir jetzt noch einmal von vorne anfangen und diesen Kompromiss aufschnüren, werden auch die Gegner Korrekturen fordern. Das ist gefährlich, wir öffnen die Büchse der Pandora und werden Jahre verlieren.
Weber: Es geht in diesem Gesetz um das grosse Geld und grosse Subventionen, aber nicht um die Umwelt. Lieber verlieren wir ein paar Jahre als die ganze Natur.