Drohnen-Trauerspiel, verzögertes Radarsystem, Logistik-Software-Puff – Finanzpolitiker schlagen Alarm
In Viola Amherds VBS geht es drunter und drüber

In einem Brief an Verteidigungsministerin Viola Amherd zeigt sich die Finanzaufsicht des Parlaments äusserst beunruhigt über die zunehmende Zahl von Rüstungsvorhaben, die in grossen Schwierigkeiten stecken. Und das sind längst nicht die einzigen Probleme.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Die Armee will ihr System zur Luftraumüberwachung erneuern. Doch die Probleme wurden deutlich unterschätzt. Das führt zu jahrelangen Verzögerungen.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Finanzaufsicht alarmiert über Rüstungsvorhaben der Armee. Massive Probleme und Risiken erkannt
  • Verzögerungen bei Luftraumüberwachung, Logistik-Software und Aufklärungsdrohnen beunruhigen Politiker
  • Sieben grosse Rüstungs- und IT-Vorhaben mit Gesamtkosten von 19 Milliarden Franken
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Die Finanzaufsicht des Parlaments schlägt Alarm! In einem geharnischten Brief an Verteidigungsministerin Viola Amherd (62, Mitte) listet die Delegation gleich sieben grosse Rüstungs- und IT-Vorhaben auf, bei denen sie massive Probleme und Risiken erkennt. Radio SRF spricht von einer «Liste des Versagens». Gesamtkosten: satte 19 Milliarden Franken. Zunehmende Verzögerungen, steigende Risiken und ungenügende Ressourcen beunruhigen die Finanzpolitiker.

  • Dabei geht es etwa um die Beschaffung des neuen Systems zur Überwachung des Luftraums, das schon in Betrieb sein sollte. Denn das veraltete Radarsystem hat das Ende seiner Betriebsdauer erreicht und könnte jederzeit ausfallen. Wegen Integrationsproblemen aber verzögert sich die Inbetriebnahme des neuen Systems um Jahre.
  • Auch die Einführung einer neuen Logistik-Software wurde gestoppt. Das nächste IT-Debakel der Armee: Die Software ist nicht robust genug und funktioniert nicht unabhängig vom Ausland – ein Muss in Krisenzeiten.
  • Ein Trauerspiel ist die Beschaffung israelischer Aufklärungsdrohnen. Sie wurden schon 2015 unter alt Bundesrat Ueli Maurer (74, SVP) gekauft. Es folgten jahrelange Verzögerungen. Und sie sind wegen technischer Mängel noch immer nicht im Einsatz. So könnten sie etwa mit Vögeln oder Gleitschirmfliegern zusammenprallen, wie das Schweizer Fernsehen berichtete. Wird das Problem nicht gelöst, müssten die Drohnen von «einem Hubschrauber oder einem Flugzeug» begleitet werden. Eine absurde Vorstellung.
  • Auch beim 2-Milliarden-Schlüsselprojekt, mit dem die Armee ihre mobilen Telekommunikationssysteme ersetzen will, sei das Risiko eines Scheiterns deutlich auf «hoch bis sehr hoch» angestiegen, warnt die Finanzdelegation. Mit Unbehagen nehme sie zur Kenntnis, dass das Projekt schon 14 Monate Verspätung habe.
  • Ein erheblicher Rückstand auf den Zeitplan sei auch bei den Plänen für ein neues Führungsnetz der Armee feststellbar. Dieses soll auch dann funktionieren, wenn die zivilen Verbindungen ausfallen. Kostenpunkt: rund 1 Milliarde Franken.
  • Nicht besser sieht es aus beim Schlüsselprojekt «sicheres Datenverbundnetz Plus» beim Bevölkerungsschutz. Auch hier erkennen die Parlamentarier technisch wie organisatorisch grosse Herausforderungen. Der Projektstatus sei von Orange auf Rot gesetzt worden.
  • Zuletzt erkennt die Finanzdelegation auch bei der neuen Digitalisierungsplattform die fristgerechte und vollständige Umsetzung als gefährdet.

Liste der Beschaffungsflops ist lang

Das alles hält die Finanzdelegation für äusserst bedenklich. Es ist aber nur das neuste Kapitel in einer langen Reihe von Pleiten, Pech und Pannen. Die Liste der Beschaffungsflops ist lang. Schon beim Kauf von Mirage-Kampfjets in den 1960er-Jahren kam es zu Querelen und hohen Mehrkosten. 50 Jahre später flog dem damaligen Verteidigungsminister Maurer der «Papierflieger» Gripen um die Ohren.

Die Aufzählung lässt sich fast beliebig fortsetzen. Sie reicht vom überteuerten Werterhalt von Duro-Lastwagen bis zur unglücklichen Beschaffung neuer Minenwerfer.

Im Parlament wächst die Ungeduld. «Die Probleme sind seit Jahren bekannt, werden aber nicht gelöst», heisst es von Sicherheitspolitikern. Bedeutet auch: Viele Probleme hat Amherd schon von ihren Vorgängern geerbt. Aber: Auch sie hat den Laden nicht in den Griff bekommen.

Erschwerend kommt hinzu: Diese Woche wurde bekannt, dass mit Darko Savic im Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) ausgerechnet jener Mitarbeiter den Hut nimmt, der in den letzten 16 Jahren die wichtigsten Projekte im Bereich der Luftverteidigung verantwortet hat. Dieser Schritt scheint das VBS gerade in einer solch heiklen Phase auf dem falschen Fuss zu erwischen.

Und nun kann das Militär noch mehr Geld ausgeben. Im Dezember hat das Parlament eine erste Aufstockung des Armeebudgets beschlossen. Doch selbst Befürworter zeigen sich unsicher, ob das gut kommt. Oder werden noch mehr Rüstungsmillionen in den Sand gesetzt?

Vorwurf: Probleme werden nicht angegangen

Kommt hinzu: Die Fehlerkultur scheine im Verteidigungsdepartement (VBS) nicht sehr ausgeprägt zu sein. Probleme werden klein- oder gleich ganz weggeredet, gegen aussen und innen. Exemplarisch zeigt das ein interner Bericht zur neuen Luftraumüberwachung. Dieser kritisiert im zuständigen Kommando Cyber eine «problematische Führungskultur». Eine «Lehmschicht» verhindere, dass Probleme offen diskutiert würden.

Die Vorwürfe sind auch gegen Bundesrätin Amherd gerichtet. Kritiker werfen ihr vor, statt Probleme im eigenen Departement zu lösen, sich lieber ins internationale Schaufenster zu stellen, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) oder Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (46) die Hand zu schütteln – und parallel dazu die Armee immer weiter in Richtung Nato zu rücken.

Dabei werden im Parlament zahlreiche dringliche Baustellen bei Armee und VBS erkannt. Das betrifft längst nicht nur harzige Rüstungsvorhaben. Auch der Nachrichtendienst fällt immer wieder negativ auf. Die Besetzung des Spitzenpostens im neuen Staatssekretariat für Sicherheit zog sich über Monate hin, nachdem Staatssekretär Jean-Daniel Ruch (61) gehen musste, bevor er kam. Hinzu kommen Vorwürfe der Vetterliwirtschaft. Und zuletzt brummte das Parlament Amherd den Auftrag auf, eine Gesamtstrategie auf Stufe Bundesrat zu entwerfen. Bis heute sei unklar, wohin die Regierung mit der Armee wolle.

Finanzdelegation will Kontrolle verstärken

Doch auch mit Alleingängen zerschlägt Amherd immer wieder Geschirr – im Parlament wie im Bundesrat. Das alles aber konnte ihr keinen spürbaren Schaden zufügen. Unbeirrt geht die Walliserin ihren Weg weiter. Immerhin kann sie auch auf eine eindrückliche Erfolgsbilanz verweisen: Der Abstimmungssieg bei den neuen Kampfjets oder die massive Erhöhung des Armeebudgets sind nur zwei Punkte. Doch die Bilanz wird immer mehr getrübt.

Damit aber lässt es die Finanzdelegation nicht mehr auf sich beruhen, stellt ihr Präsident, SVP-Nationalrat Lars Guggisberg (47), gegenüber Blick klar. Zu gross sind die Sorgen über die in Schieflage geratenen Rüstungsvorhaben. Das VBS müsse die wirksame und wirtschaftliche Mittelverwendung sicherstellen, wird die Delegation deutlich. Sie will den VBS-Beamten vermehrt auf die Finger schauen.

Aber auch das VBS selber soll seine Aufsicht und Steuerung «mit Nachdruck» verstärken. Dafür sollen die zuständigen Stellen bei Bedarf mit mehr Mitteln ausgestattet werden. Sogar in der Armee selber besteht der Eindruck, dass die Armasuisse schlicht nicht über die nötigen Ressourcen verfüge, um alle Beschaffungen wie geplant bewältigen zu können. Bereits Mitte Februar wird Amherd den Finanzpolitikern aufzeigen müssen, wie sie all die Probleme in den Griff bekommen will.

Das VBS habe das Schreiben zur Kenntnis genommen, erklärt es auf Anfrage. Und: Es werde selbstverständlich dem Anliegen der Delegation entsprechen, die erwähnten Themen im Rahmen der nächsten Aussprache zu thematisieren.

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