Chaos beim Rüstungskonzern Ruag
Amherd weiss seit 2019 von Korruptions-Vorwürfen

Recherchen von Blick zeigen: VBS-Chefin Viola Amherd wurde schon vor Jahren über Missstände beim Rüstungskonzern Ruag informiert. Die juristische Aufarbeitung kostet die Steuerzahler Millionen.
Publiziert: 22.09.2024 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2024 um 14:09 Uhr
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VBS-Chefin Viola Amherd und der damalige Ruag-Präsident Remo Lütolf wurden 2019 über Missstände informiert.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Raphael RauchBundeshausredaktor

In Interviews präsentiert sich Bundespräsidentin Viola Amherd (62) als Aufräumerin. «Als Anwältin schaue ich genau hin. Da muss alles sauber und korrekt sein. Alles andere geht nicht», sagte sie letztes Jahr dem «Tages-Anzeiger». Das Chaos beim staatlichen Rüstungskonzern Ruag kommentierte die VBS-Chefin mit den Worten: «Jetzt kommen Altlasten zum Vorschein. Vielleicht kommt da noch mehr. Ich hoffe es nicht, kann aber dafür nicht die Hand ins Feuer legen.»

Worüber Amherd schweigt: Sie weiss seit 2019 von Korruptionsvorwürfen bei der Ruag. Ein Whistleblower informierte Amherd 2019 über mutmassliche Amigo-Affären beim Rüstungskonzern. In einem Schreiben, das Blick vorliegt, steht: «Ich sehe mich gezwungen, Sie auf Missstände bei der Ruag hinzuweisen, die sowohl dem Unternehmen als auch unserem Land schaden.» Der Brief ging auch an den damaligen Verwaltungsratspräsidenten Remo Lütolf (68) und den gesamten Verwaltungsrat.

«Warum macht man das?»

Die Vorwürfe des Whistleblowers haben es in sich. Es geht um zehn Getriebe des Kampfpanzers Leopard 2, die «an einen dubiosen deutschen Schrotthändler» verkauft worden seien: «Und zwar deutlich unter Marktpreisniveau. Dieser verschrottet sie aber nicht, sondern verkauft sie weltweit gewinnbringend weiter.» Der Insider fragt: «Warum macht man das, wenn es nicht zum eigenen persönlichen Vorteil dient?»

Ein weiterer Vorwurf lautet: Die Ruag-Tochter in Kassel (D) verticke Leopard-2-Baugruppen an einen Schrotthändler zu Preisen, «die deutlich unter 50 Prozent eines Neupreises liegen». Das Exportziel: Südostasien. Der Whistleblower fragt: «Wie ist sichergestellt, dass diese militärischen Güter nicht in Länder gehen, die aus Schweizer Sicht nie hätten beliefert werden dürfen?»

Die Ruag geht den Vorwürfen nur halbherzig nach

Auch Leopard-1-Panzer, die in Norditalien seit Jahren vor sich hin rosten, sind Teil der Anschuldigungen. «Die Ersatzteile werden nicht direkt, sondern über die Ruag-Tochtergesellschaft in Deutschland weltweit vermarktet», schreibt der Whistleblower – vorbei an der offiziellen Schweiz. «Welche politischen Risiken geht die Schweiz damit ein und wie passt das zur Neuausrichtung der Ruag?»

Statt den Whistleblower ernst zu nehmen, ging die Ruag den Vorwürfen offenbar nur halbherzig nach. Und VBS-Chefin Viola Amherd schaute nicht so genau hin, wie sie in Interviews behauptet. Der damalige Ruag-CEO Andreas Berger (56) forderte schnelle Aufklärung, um die Bundesrätin zeitnah zu informieren. Doch statt eine externe Untersuchung einzuleiten, regelte die Ruag den Vorgang auf dem kurzen Dienstweg.

«Das Vorgehen der Ruag war total unprofessionell»

Spätestens am 3. September 2019 wurde Hannes Hauri (60) über die anonymen Vorwürfe informiert. Hauri war bei der Ruag für die Panzer-Geschäfte verantwortlich und Linienvorgesetzter des Walliser Managers, der im Zentrum der Vorwürfe stehen soll. Zehn Minuten nach Erhalt des E-Mails informierte Hauri den Walliser Manager. «Das Vorgehen der Ruag war total unprofessionell», sagt ein Armeeangehöriger zu Blick. «Der mutmassliche Täter wurde gewarnt, möglicherweise konnte er Beweismittel vernichten. Die Aufklärung von Korruptionsfällen muss von unabhängigen Stellen geschehen, nicht durch die Betroffenen selbst.»

Wie genau Ruag und VBS die Vorwürfe aufklärten, ist unklar – Bundesrätin Viola Amherd und die Ruag hüllen sich in Schweigen und verweisen auf laufende Verfahren. Klar ist: Hätten Amherd und Ruag 2019 strenger reagiert, wäre späterer Ärger erspart geblieben. Klar ist auch: Amherd hat von ihren Vorgängern im VBS, Guy Parmelin (64) und Ueli Maurer (73), ein schwieriges Erbe mit vielen Altlasten übernommen.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Walliser Manager

2022 kam es zu einer Hausdurchsuchung bei der Ruag in Deutschland. Der Vorwurf der Korruptionsstaatsanwaltschaft lautete: Über die Firma seiner Ehefrau soll der Walliser Manager Rüstungsgüter zum eigenen Vorteil vertickt haben. Letztes Jahr berichteten Medien über zweifelhafte Vorgänge bei Leopard-1-Panzern in Norditalien. Doch wie Blick weiss, interessiert sich die Staatsanwaltschaft auch für andere fragwürdige Geschäfte.

So soll der Walliser Manager im engen Austausch mit dem niederländischen Verteidigungsministerium gestanden haben. Im Jahr 2020 sollen die Niederlande Ersatzteile für Leopard-2-Panzer an die Ruag verkauft haben – mit dem Ziel, diese an eine deutsche Firma weiterzuverkaufen. Die Ersatzteile gingen direkt aus einem Lager der niederländischen Armee in Almelo (Niederlande) an die deutsche Firma und tauchten in keinem Ruag-Lager auf. Offenbar diente die Ruag als Zwischenhändlerin für ein Geschäft, von dem vor allem der Walliser Manager und seine Geschäftspartner profitieren sollten.

Keine Ruag-Panzer für die Ukraine

Im Mai 2021 kontaktierte das niederländische Verteidigungsministerium den Walliser Manager erneut. Die Niederlande benötigten dringend Ersatzteile für die finnische Armee, die teilweise von den Holländern gewartet wird. 2021 war Finnland noch kein Nato-Land. Doch die Vorstellung, dass nun Ruag-Teile die Nato-Aussengrenze zu Russland schützen, dürfte so manchem SVP-Hardliner nicht gefallen.

Nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wollten die Niederländer einen Panzer-Deal einfädeln: Die Leopard-1-Panzer der Ruag auf einem Schrottplatz in Norditalien sollten vom deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall aufgemöbelt, von den Niederlanden bezahlt und in die Ukraine exportiert werden. Nach einem Zickzackkurs verbot der Bundesrat den Export, was das Vertrauen in den Rüstungsstandort Schweiz nachhaltig beschädigte.

Die Compliance-Abteilung versagt

Nichts deutet darauf hin, dass der Walliser Manager und sein Vorgesetzter Hannes Hauri zwischen 2019 und 2022 gebremst oder kontrolliert wurden. Im Gegenteil: Der Walliser Manager hatte Positionen inne, bei denen sonst eine Compliance-Abteilung Alarm schlägt: Er soll Einkauf, Verkauf und Preisbildung in Personalunion verantwortet haben. «Das ist Aufhebung von Gewaltenteilung. Es gibt keine Kontrollmechanismen», kritisiert ein Armeeangehöriger.

Interne Papiere, die Blick vorliegen, kritisieren auch Hannes Hauri, den Vorgesetzten des Walliser Managers: «Wir haben kein Protokoll oder kein Bestätigungsmail gefunden», steht in einer Aktennotiz. Hauri wird mangelnde Führung und mangelnde Dokumentation vorgeworfen.

Eidgenössische Finanzkontrolle kritisiert Hannes Hauri

Noch deutlicher wird die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK): In einem Bericht vom Frühjahr kritisiert diese, dass Hauri zusammen mit dem Walliser Manager eine «unnötige Aufhebungsvereinbarung» unterschrieben habe. Und an anderer Stelle steht, dass die Ruag in Norditalien von heute auf morgen einen dreifachen Mietpreis zahlen musste.

Als die deutsche Korruptionsstaatsanwaltschaft aktiv wurde, stellte die Ruag den Walliser Manager im Frühjahr 2022 frei; dieser musste die Ruag verlassen. Trotzdem setzte ihn die Ruag nicht auf eine schwarze Liste und wollte mit ihm weiter Geschäfte machen – nun über eine externe Firma. Hauri hingegen wurde «seitwärts befördert», wie ein Armeeangehöriger sagt: «Ihm wurde ohne Gesichtsverlust die Verantwortung entzogen.» Hauris Karriere tat dies keinen Abbruch: Übernächste Woche, am 1. Oktober, tritt er seine neue Stelle als CEO der Swiss P Defence AG an. Dabei handelt es sich um die nach Italien verkaufte Munitionsfabrik der früheren Ruag Ammotec.

Eine Goldgrube für Juristen

Das VBS will sich zu den Vorwürfen nicht äussern und verweist auf laufende Verfahren. Zusätzlich zum deutschen Strafverfahren gegen den Walliser Manager, dessen Ehefrau und weitere Geschäftspartner gibt es vier Untersuchungen, die die Schweizer Steuerzahler Millionen von Franken kosten. Die erste EFK-Untersuchung benannte bereits massive Missstände. Drei weitere Untersuchungen sind noch am Laufen: zum einen durch die Zürcher Bahnhofstrassenkanzlei Niederer Kraft Frey, die mehrere Millionen Franken für ihr Mandat kassiert. Zum anderen prüft die EFK Führung und Steuerung der Ruag. Ausserdem geht die Finanzdelegation möglichen Betrugsaspekten nach.

Schon bald wird VBS-Chefin Viola Amherd einen Nachfolger für den scheidenden Ruag-Verwaltungsratspräsidenten Nicolas Perrin (65) präsentieren. Perrin ist der Schwager von Amherds persönlicher Beraterin Brigitte Hauser-Süess (69). Wie lange Remo Lütolf sich an der Spitze von Ruag International halten kann, ist unklar – Lütolf wusste wie Amherd seit 2019 über die Vorwürfe Bescheid.

Blick hat alle Beteiligten um eine Stellungnahme gebeten. Niemand wollte sich äussern. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.

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