Hätte, hätte, Panzerkette: Vermutlich ärgert sich Nicolas Perrin (64), der scheidende VR-Präsident der Ruag MRO, dieser Tage grün und blau. Denn fest steht: Hätte er Ruag-CEO Brigitte Beck (57) nicht im August entlassen, stünde der bundeseigene Rüstungskonzern wohl nicht seit Monaten in der Dauerkritik.
Im Frühjahr 2023 hatte sich Brigitte Beck diverse Patzer geleistet. Erst entschärfte sie ein Interview, das sie CH Media gegeben hatte, und drohte der Redaktion. Dann widersprach sie an öffentlichen Veranstaltungen dem Bundesrat und rief Nato-Staaten dazu auf, sich nicht an das Schweizer Kriegsmaterialgesetz zu halten.
Doch statt auf die Entgleisungen seiner CEO zu reagieren, tat Perrin wochenlang nichts. Erst nach geraumer Zeit schaltete er eine Anwaltskanzlei ein, die Becks Performance untersuchte. Das interne Gutachten liegt Blick vor. Es kommt zum Schluss, die Ruag-Chefin habe die Rechtsgrundlagen ihrer Tätigkeit im Kriegsmaterialgesetz «in einem wesentlichen Teil nicht gekannt» – sonst hätte sie Deutschland und Spanien nicht aufgefordert, Schweizer Kriegsmaterial weiterzugeben. Die Anwälte nennen es «Inkaufnahme einer Rechtsverletzung» . Zudem sei das Krisenmanagement der Ruag «ungenügend» gewesen, insbesondere das von CEO Beck.
Es folgte ein Skandal nach dem anderen
Als Perrin im August Beck schliesslich feuerte, war das nicht der erhoffte Befreiungsschlag. Medien begannen, im Umfeld der Ruag zu recherchieren – und stiessen auf einen Skandal nach dem anderen. So fanden sie etwa einen mutmasslich korrupten Walliser Manager, der bei seiner früheren Tätigkeit für die Ruag in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll.
Was für VR-Präsident Perrin lange Zeit vorteilhaft war, wurde ihm nun angekreidet: Er ist Schwager von Brigitte Hauser-Süess (69), der persönlichen Mitarbeiterin und Weggefährtin von VBS-Chefin Viola Amherd (61). Für das Frauenduo wurde Perrin zum Klumpenrisiko, er musste gehen. Vor wenigen Wochen noch hatte er gegenüber Blick beteuert, erneut als Ruag-Präsident kandidieren zu wollen.
Wie Blick inzwischen erfuhr, verlässt auch Heinz Liechti (69) den Verwaltungsrat – der einstige VBS-Mitarbeiter war bislang Vizepräsident der Ruag. Das Rüstungsunternehmen weigert sich, zu Liechtis bevorstehendem Abgang Stellung zu nehmen.
Auch sonst kommt die Ruag nicht zur Ruhe. Recherchen zeigen: Das Chaos dort ist grösser als bislang bekannt.
Mörser: Gemäss einem internen Bericht der Wirtschaftsprüfer von EY gibt es Probleme mit einem Ruag-Minenwerfer. «Beim Schweizer Mörser wurde festgestellt, dass sich durch die Nutzung ein Gewinde im Bereich des Verschlusskopfes löst», schreiben sie. «Sollten sich diese Gewinde auch beim omanischen Produkt lösen, könnte dies ein Garantiefall für Ruag werden. Es bestehen noch Unsicherheiten, ob die Verschlussköpfe bei den ausgelieferten Mörsern ersetzt werden müssen.» Ein Insider zu Blick: «Müsste man die Mörser austauschen, wäre das sehr teuer.» Die Ruag will sich nicht zum Fall äussern und teilt mit: «Das Dokument, aus dem Sie zitieren, ist veraltet und nicht mehr aktuell.»
RIO: Die Ruag leistet sich die Ruag Innovation Organisation (RIO), die jährlich 13 Millionen Franken kostet. Offiziell laufen in dieser Einheit «die Fäden für innovative Ideen und Produkte zusammen». Sie solle dem Unternehmen helfen, «neue Kunden zu gewinnen, alternative Business-Modelle zu entwickeln und sich in weiteren Märkten zu etablieren», gilt allerdings Ruag-intern als Groschengrab. Der Insider kritisiert: «RIO hat keine klare Fokussierung und keine Positionierung im Innovationsökosystem der Armee.» RIO sei überdimensioniert und funktioniere als Taskforce an allen Führungsebenen vorbei. Dem Vernehmen nach wird die Einheit direkt vom scheidenden Verwaltungsratsvize Heinz Liechti geführt.
Krise im Verwaltungsrat: Die Mitglieder des Ruag-Verwaltungsrats scheinen nicht zu harmonieren. Obwohl das VR-Mitglied Elisabeth Bourqui (48) schon länger im Amt ist, weiss die Ruag über sie lediglich zu vermelden: «Updates folgen.» Offiziell ist der Rüstungskonzern stolz darauf, dass drei von sechs Verwaltungsräten Frauen sind – allerdings scheint deren Expertise in der Rüstungsbranche nicht immer vorhanden zu sein. «Der Verwaltungsrat mischt sich viel zu viel in operative Themen ein und legt das Management praktisch lahm», kritisiert der Ruag-Insider. Die Ruag wollte sich zu diesen Vorwürfen nicht äussern.
25 Leopard-1-Panzer rosten in Norditalien vor sich hin
Wie geht es jetzt weiter? VBS-Chefin Viola Amherd muss neben einem neuen Ruag-Präsidenten auch einen Vizepräsidenten suchen. Im Gespräch für den Chefposten ist das bisherige VR-Mitglied Monica Duca Widmer (64). Für sie spricht, dass sie eine Frau ist. Gegen ihre Ernennung spricht, dass sie zum Ruag-Establishment gehört und es bislang nicht schaffte, dort aufzuräumen.
Von aussenstehenden Beobachtern wird Jakob Baumann (65) genannt: Der ehemalige Divisionär war Planungschef der Armee, wurde Rüstungschef und Leiter des Departementsbereichs Armasuisse im VBS. Schon früher war Baumann bereits einmal Verwaltungsrat der Ruag; mit der Ernennung zum Rüstungschef schied er aus diesem Gremium aus.
Ein peinliches Problem, mit dem sich die Ruag möglichst bald beschäftigen muss, sind 25 Leopard-1-Panzer, die in Norditalien vor sich hinrosten (Blick berichtete). Die deutsche Firma GLS hatte der Ruag die Oldtimer abgekauft – doch der Schweizer Konzern behauptet, den Vertrag widerrufen zu haben. Ein Gericht in Italien gab der GLS recht. Die Ruag hat Berufung eingelegt.