«Jetzt braucht es Massnahmen»
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Sexismus in der Armee:«Jetzt braucht es Massnahmen»

Armeechef Süssli zum Sexismus
«Studienresultate haben mich erschreckt»

Diskriminierung und sexualisierte Gewalt sind in der Schweizer Armee nach wie vor stark präsent. Darüber klagen Soldatinnen. Das ist auch der Armeespitze bewusst. Nun schnürt sie ein Massnahmenpaket.
Publiziert: 31.10.2024 um 14:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2024 um 09:49 Uhr
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Noch immer gibt es in der Schweizer Armee nur wenige Frauen – nicht einmal zwei Prozent. (Symbolbild)
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Sexismus und Diskriminierung tief in der Armee verankert
  • 50 Prozent der Befragten berichteten von Diskriminierung
  • Armee plant ein neues Massnahmenpaket
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Nicht mal zwei Prozent. Der Frauenanteil in der Schweizer Armee verharrt auf tiefem Niveau. Kein Wunder: Einfach ist die raue Welt für Soldatinnen nicht. «Sieht eine Frau im Militär einigermassen gut aus, ist sie eine Matratze oder eine Nutte. Stämmige Frauen hingegen sind Kampflesben», berichtete eine Armeeangehörige unlängst. «Jede Frau, die das Militär gemacht hat, kann Beispiele nennen, wie sie diskriminiert oder sexistisch beleidigt wurde», erzählte eine andere. Auch von übergriffigen Kollegen und Vorgesetzten ist die Rede.

Es sind keine Einzelfälle. Das ist auch der Armeeführung bewusst. «Diskriminierung und sexualisierte verbale, nonverbale und körperliche Gewalt aufgrund des Geschlechts und/oder der sexuellen Orientierung sind in der Schweizer Armee verbreitet», räumt das Militär ein. Die Palette reicht von verletzend empfundenen Sprüchen und Gesten bis zu schwerer körperlicher Gewalt. Das zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie, die von der Fachstelle «Frauen in der Armee und Diversity» in Auftrag gegeben worden ist.

«Die Resultate der Studie haben mich erschreckt. Sie sind nicht akzeptabel», räumte Armeechef Thomas Süssli (58) vor den Medien ein. Die Studienresultate würden zeigen, dass die Armee mit ihrer Nulltoleranz-Strategie noch lange nicht am Ziel sei. Sie seien ein Signal, dass weitere Verbesserungen nötig seien. «Die roten Linien müssen von Anfang an klipp und klar sein.»

Fast jede Frau war schon einmal betroffen

An der anonymen Umfrage haben 1126 Armeeangehörige teilgenommen – 764 Frauen und 362 Männer. Das Resultat: Von den Befragten waren knapp 50 Prozent von Diskriminierung betroffen. 40 Prozent gaben an, sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. Sexualisierte verbale Gewalt ist dabei am meisten verbreitet. Das zeige sich etwa an den 81 Prozent, die angeben, selten bis sehr oft sexistische Bemerkungen und Witze im Dienst erlebt zu haben. Die Resultate reichen bis zu 30 Jahre zurück.

Gerade Minderheiten wie Frauen, nicht-heterosexuelle und trans Angehörige der Armee seien betroffen. Bei heterosexuellen Frauen sollen es massive 94,2 Prozent sein, die schon sexuelle Gewalt erlebt haben. Also eigentlich fast jede Dienstleistende. Das zeigt: Im Militär herrscht nach wie vor eine Machokultur. Oder wie es die Armee selber ausdrückt: Diskriminierung und sexualisierte Gewalt seien mit der Organisationskultur der Schweizer Armee verflochten. Alleine in den vergangenen fünf Jahren musste sich die Militärjustiz 54 Mal mit «Verletzung der sexuellen Integrität» beschäftigen.

Armee zeigt sich vom Ausmass überrascht

Betroffene geben am häufigsten an, dass die Kultur in ihrer Organisation Diskriminierung ermöglicht: Diese habe keine Konsequenzen, wird weder verfolgt noch bestraft, und oft herrscht dort eine Machokultur.

Die Armee habe dieses Ausmass bisher nicht erkannt, erklärte Hans-Peter Walser, Chef Kommando Ausbildung: «Das geht mir nahe. Ich habe einen Sohn und eine Tochter, die beide auch Dienst leisten. Daher bin ich selber ebenfalls betroffen.»

Sexismus ist nach wie vor stark präsent

Lange seien in der Schweiz Diskriminierung und sexualisierte Gewalt akzeptiert und die Ungleichbehandlung sogar oft gesetzlich verankert gewesen. «Entsprechend sind Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und/oder der sexuellen Orientierung, Sexismus und sexualisierte Gewalt in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens noch immer präsent», räumt die Armee in ihrem Bericht ein. Sie erwähnt die Kirche, die Gastronomie, den Sport oder die Baubranche.

Damit soll Schluss sein. Seit 2023 bekennt sich die Armeespitze zu einer Nulltoleranz. Vor zwei Jahren wurde eine Diversity-Strategie mit einem Massnahmenplan erarbeitet. Die am Donnerstag präsentierte Studie zeigt nun aber weiteren Handlungsbedarf auf. Mit einem neuen Massnahmenplan will die Armee den Schutz ihrer Angehörigen stärken und den von Verteidigungsministerin Viola Amherd (62) angestrebten Kurswandel beschleunigen.

Armee schnürt Massnahmenpaket

Die Armee hat sechs Handlungsfelder mit 16 Massnahmen ausgemacht. Dazu gehören etwa ein Reporting von Disziplinarfällen aufgrund von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt, eine Arbeitsgruppe für den Opferschutz und die Einführung eines anonymen Meldetools: «Prozesse im Melde- und Verfahrenswesen sollen schneller, niederschwelliger und einfacher werden.»

Zudem sollen Mitglieder aller Stufen verstärkt auf das Thema Diskriminierung sensibilisiert werden. Geplant ist eine Selbstverpflichtung durch einen Kodex und eine Austauschplattform für Armeekader. Ferner sollen Handbücher und Merkblätter erstellt oder überarbeitet, Konfliktbewältigung trainiert sowie Fach- und Betreuungsdienste weitergebildet werden. Eine neue Fachgruppe im Bereich Sexualdelikte soll die Zusammenarbeit der Armee mit der Militärjustiz verstärken.

Ob die Armee die nach wie vor vorherrschende Machokultur in den eigenen Reihen in den Griff bekommen wird, soll eine nächste Umfrage im 2027 zeigen. Armeechef machte aber bereits gestern unmissverständlich klar: «Wer nicht bereit ist, diesen Weg mit uns zu gehen, muss persönlich die Konsequenzen tragen.»

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