Politik gleicht manchmal einem Spiel. Da wird gezockt, geblufft, gedealt und gewettet. Der Einsatz diesmal: unsere Renten! «Wetten, dass das Stimmvolk die Rentenreform durchwinkt?», tippen die Bürgerlichen. «Wetten, dass die Vorlagen an der Urne abgeschmettert werden?», halten Linke, Grüne und Gewerkschaften dagegen.
Es geht gleich um zwei Mammutprojekte in der Altersvorsorge. Die AHV-Reform, bei der das Frauen-Rentenalter auf 65 steigen soll. Neun Frauen-Jahrgänge sollen in den Genuss von Kompensationszahlungen von maximal 140 Franken monatlich kommen, das hat der Nationalrat am Dienstag entschieden. Ab dem zehnten Jahrgang ist Schluss. Die Linke wehrt sich gegen die Erhöhung. Für die Bürgerlichen ist sie zur Sanierung der AHV unabdingbar – und ein erster Schritt zu einem höheren Rentenalter für alle.
Rentenzuschlag als Streitpunkt
Bei der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) geht es am Mittwoch im Nationalrat ans Eingemachte: Dabei steht die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent im Zentrum. Auf 100'000 Franken Altersguthaben gibt es dann nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Dieser Verlust soll ausgeglichen werden. Beide Lager setzen auf zusätzliches Sparen.
Der entscheidende Streitpunkt liegt aber beim Rentenzuschlag. Der Bundesrat – unterstützt von Linken, Gewerkschaften und Arbeitgeberverband – setzt auf einen Zuschlag für alle. Für die ersten 15 Jahrgänge wären es 100 bis 200 Franken, danach würde der Zuschlag jedes Jahr neu festgelegt. Finanziert würde der Zustupf solidarisch über eine Lohnabgabe auch für hohe Einkommen.
Dieser Sozialpartner-Kompromiss, der eine Umverteilung von Gut- zu Wenigverdienenden beinhaltet, ist den Bürgerlichen ein Dorn im Auge. In der nationalrätlichen Sozialkommission setzten sie ein Alternativmodell durch, das den Rentenzuschlag auf 15 Jahrgänge befristet. Weil auch das Überobligatorium angerechnet würde, würden nur 35 bis 40 Prozent der Neurentner einen Zuschlag erhalten. Die Mehrheit ginge leer aus. Finanziert würde der Zustupf hauptsächlich aus den Pensionskassen-Reserven.
Referendum droht
Bei beiden Vorlagen droht das Referendum. Und ein Abstimmungskampf nach klassischem Links-rechts-Schema. Der Wetteinsatz ist auf beiden Seiten hoch. Fallen die Reformen durch, folgt eine jahrelange Blockade.
Dies, nachdem in den letzten 20 Jahren jede strukturelle Rentenreform an der Urne gescheitert ist: 2017 die Altersvorsorge 2020 von Bundesrat Alain Berset (49), der 1. und 2. Säule aus einem Guss reformieren wollte. 2010 die BVG-Reform, die den Umwandlungssatz auf 6,4 Prozent senken wollte. Und 2004 die Erhöhung des AHV-Frauenrentenalters auf 65.
«Wir haben schon ziemlich viele Erfahrungen damit, wie man Abstimmungen über Reformen verliert», mahnte Bundesrat Berset am Dienstag in der Debatte zur BVG-Reform.
Die Ausgangslage ist spannend. Während die Linke den Status quo verteidigen kann, müssen die Bürgerlichen das Stimmvolk von etwas Neuem überzeugen – was erfahrungsgemäss schwieriger ist.
Bürgerliche warnen vor Milliardenlöchern
Wie also wollen sie das Stimmvolk für sich gewinnen? «Der Handlungsbedarf ist in beiden Säulen unbestritten, trotzdem werden wir viel Überzeugungsarbeit leisten müssen», sagt FDP-Nationalrätin Regine Sauter (55, ZH) zu Blick. Sie ist sich sicher, dass das Stimmvolk beide Reformen mittragen wird. «Bei der AHV sorgen wir dafür, dass Frauen mit tieferem Einkommen die Rente zu besseren Bedingungen vorbeziehen können und einen höheren Rentenzuschlag erhalten», so Sauter. Und wenn nichts unternommen werde, drohten der AHV Milliardenlöcher.
Ähnlich das Bild bei der beruflichen Vorsorge. Man wolle gezielt dort ausgleichen, wo es nötig sei. «Und nicht mit der Giesskanne für alle», so Sauter. Sie ist sich bewusst, dass diese Abstimmung schwieriger zu gewinnen ist: «Es ist immer einfacher, das Geld anderer zu verteilen, wie das die Gewerkschaften fordern», sagt Sauter. «Gegenüber den kommenden Generationen ist das aber nicht fair.» Die FDP-Frau hofft, dass das Stimmvolk ein Einsehen haben wird.
SP-Maillard: «Mehr zahlen für weniger Rente?»
Ganz anders Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (53, VD). Er rechnet damit, dass es die von den Bürgerlichen aufgegleisten Reformen an der Urne schwer haben werden. Insbesondere die BVG-Reform: «In der zweiten Säule wird ein neuer Rentner im Jahr 2025 bei gleichem Kapital 20 Prozent weniger Rente bekommen als 2010. Gleichzeitig sollen die Versicherten mehr einzahlen für einen tieferen Umwandlungssatz?», analysiert Maillard. «Mehr zahlen für weniger Rente! Dieses rein bürgerliche Projekt wird dem Volk schwierig zu erklären sein.»
Auch bezüglich AHV-Abstimmung ist er zuversichtlich. Die Bürgerlichen hätten versprochen, dass das höhere Frauenrentenalter in der AHV mit Verbesserungen für die Frauen im BVG ausgeglichen werde. «Dieses Versprechen wird gebrochen. Weshalb sollten die Frauen das höhere AHV-Rentenalter also schlucken, wenn sie im BVG weiterhin noch so lange benachteiligt bleiben?», so Maillard.
Die AHV-Reform wird noch in der Wintersession bereinigt und dürfte 2022 zur Abstimmung kommen. Die BVG-Reform kommt wohl 2023 vors Volk. Dann heisst es jeweils: Top, die Wette gilt!