Die Bürgerlichen zeigen keine Gnade: Sie wischen den Sozialpartner-Kompromiss vom Tisch und drücken der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) ihren Stempel auf. Mit 126 zu 66 Stimmen stellten sich SVP, FDP, Mitte und GLP in der Gesamtabstimmung im Nationalrat hinter die Reform, mit welcher die zweite Säule umgekrempelt wird.
Linke, Grüne und Gewerkschaften stehen bereits Gewehr bei Fuss: Bestätigt der Ständerat die vom Nationalrat vorgegebene Stossrichtung, ergreifen sie das Referendum. Dann kommt die Pensionskassen-Vorlage vors Volk.
Mehrheit geht beim Rentenzuschlag leer aus
Was will die BVG-Reform verändern?:
- Umwandlungssatz: Der Mindestumwandlungssatz wird im BVG-Obligatorium von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent gesenkt. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Diese Massnahme war im Grundsatz unbestritten.
- Rentenzuschlag: Einen Rentenzuschlag gibt es für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Maximal 200 Franken monatlich für die ersten fünf, maximal 150 Franken für die zweiten fünf und maximal 100 Franken für die letzten fünf Jahrgänge sind vorgesehen. Allerdings wird das Überobligatorium angerechnet. Dadurch kommen nur etwa 35 bis 40 Prozent der Neurentner in den Genuss eines Rentenzuschlags – und oft auch nicht in den vollen Genuss. Die Mehrheit der Versicherten geht beim Rentenzuschlag leer aus. Finanziert werden soll der Zuschlag hauptsächlich aus den Pensionskassen-Reserven. Der vom Bundesrat eingebrachte Sozialpartner-Kompromiss fiel mit 125 zu 64 Stimmen durch.
- Einzahlen ab 20: Das Eintrittsalter für die BVG-Pflicht wird von heute 25 auf neu 20 Jahre gesenkt. Junge müssen also früher in die Pensionskasse einzahlen.
- Angepasste Altersgutschriften: Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden geglättet: Im Alter von 20 bis 44 Jahre beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 bzw. 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab Alter 45 sind es 14 Prozent (bisher 15 bzw. 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
- Versicherter Lohn: Der sogenannte Koordinationsabzug, der den versicherten Lohn bestimmt, wird von heute 25’095 auf neu 12'443 Franken halbiert. Neu liegt der versicherte Lohn damit zwischen 12'443 und 85'320 Franken. So werden die Pensionskassenbeiträge auf einem grösseren Teil des Lohns erhoben. Das wirkt sich positiv auf das angesparte Altersguthaben aus. Gerade Niedrigverdienende – darunter viele Teilzeitbeschäftigte und Geringverdienerinnen, erhalten damit eine bessere soziale Absicherung im Alter.
- Eintrittsschwelle: Um in einer Pensionskasse versichert zu werden, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 21'510 Franken jährlich verdienen. Diese Schwelle sinkt auf 12'548 Franken. Damit würden mehr Angestellte mit kleinen Einkommen versichert.
SP: «Rentenzuschlag nur für wenige statt für alle»
Insbesondere das Kompensationsmodell sorgte für hitzige Diskussionen. «Statt alle bekommen jetzt nur noch wenige Zuschläge», kritisierte SP-Nationalrätin Barbara Gysi (57, SG). Von den 35 bis 40 Prozent, die einen Zuschlag erhalten würden, bekomme ein grosser Teil nicht einmal den vollen Zuschlag. Viele Frauen hätten nichts davon.
Da das Überobligatorium angerechnet werde, müssten viele Neurentner mit Rentenverlusten rechnen. «Es geht rasch einmal um Zehntausende von Franken!», so Gysi. Dabei habe es in den letzten 15 Jahren in den Pensionskassen bereits einen «gigantischen Abbau» gegeben.
Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet (32, VD) bezeichnete den Nationalratsentscheid sogar als «Schande».
SVP-Rösti: «Das ist starker Tobak»
Zum Ärger von SVP-Nationalrat Albert Rösti (54, BE): «Das ist starker Tobak!», enervierte er sich über Porchets Wortwahl. Immerhin würden 35 bis 40 Prozent der Neurentner einen Rentenzuschlag erhalten, monierte er.
FDP-Nationalrätin Regine Sauter (55, ZH) wiederum wehrte sich gegen die im Sozialpartner-Kompromiss vorgesehene Umverteilung. Diese führe zu einem Rentenausbau, warnte sie. «Dem erteilen wir eine klare Absage!» In der zweiten Säule solle jeder für sich selber sparen – «und dabei soll es auch bleiben». Das Alternativmodell setze «zielgerichtet» da an, wo es auch es effektiv eine Lücke gebe.
Sie machte zudem klar, dass ein Umwandlungssatz von 6 Prozent faktisch immer noch zu hoch sei. Dieser solle für eine Übergangsgeneration gelten. Doch die folgenden Generationen müssten sich darauf einstellen, dass dieser später noch weiter sinke.
Nationalrat lehnt «Steuergeschenk für Reiche» ab
Immerhin in einem Punkt drang die Linke durch: Der Nationalrat lehnte eine Erhöhung der steuerfreien Beiträge in die dritte Säule mit 112 zu 80 Stimmen ab. Damit wären jährliche Steuerausfälle in der Höhe von 500 Millionen Franken für Bund, Kantone und Gemeinden einhergegangen.
Grünen-Nationalrätin Porchet sprach von einem «Steuergeschenk für Reiche», da sich schon heute nur Besserverdienende den Maximalabzug von derzeit 6883 Franken leisten könnten. Auch Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel (64, AG) bezeichnete die Erhöhung als «Steueroptimierungs-Instrument», welches nicht in diese Vorlage gehöre. Einzig SVP und FDP machten sich für den Abzug stark.
Das Geschäft geht nun an den Ständerat. Nimmt dieser beim Rentenzuschlag keine gewichtigen Korrekturen vor, ist das Referendum von Linken, Grünen und Gewerkschaften beschlossene Sache.