Die Altersvorsorge der Schweiz ruht auf drei Säulen: AHV, berufliche Vorsorge über Pensionskassen und privates Sparen. Doch das System gerät ins Wanken: Die AHV braucht wegen der geburtenstarken Babyboomer-Generation und steigender Lebenserwartung mehr Geld. Und angesichts tiefer Zinsen bröckelt auch die zweite Säule gewaltig. Der Sanierungsbedarf ist unbestritten. Der Streitpunkt ist das Wie – und vor allem das Wieviel!
In der laufenden Wintersession des Parlaments wird bereits heute Dienstag wieder um Rentenalter, Lohnbeiträge oder Ausgleichsmassnahmen gestritten. Bei der AHV-Reform geht es in die Schlussrunde, bei der BVG-Reform beginnt die Diskussion im Nationalrat erst.
Doch wo steht unser Rentensystem überhaupt? Was sind die Herausforderungen? Welche Lösungen gibt es? Das zeigt der grosse Renten-Report von Blick.
AHV zahlt 46 Milliarden Franken aus
Sie ist das bedeutendste Sozialwerk der Schweiz: die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Seit 1948 werden Renten an Seniorinnen und Senioren ausbezahlt.
2020 hat die AHV rund 46 Milliarden Franken für Pensionierte, Witwen und Waisen ausbezahlt. Insgesamt 2,4 Millionen Menschen erhielten eine Altersrente, knapp ein Drittel davon lebte im Ausland. In der Schweiz betrug die durchschnittliche Altersrente 1862 Franken.
Wie hoch die Altersrente ist, hängt von zwei Faktoren ab:
1. Wie lange zahlt man ein? Derzeit zahlen Arbeitnehmende jährlich 4,35 Prozent ihres Lohns an die AHV, gleich viel die Arbeitgeber. Wer nicht arbeitet, muss dennoch mindestens 413 Franken im Jahr zahlen. Wer ab 20 bis zur Pension regelmässig AHV-Beiträge bezahlt, kommt in die höchste von 44 Kategorien auf der Rentenskala. Damit erhält man eine Vollrente. Diese beträgt derzeit im Minimum 1195 Franken, im Maximum 2390 Franken.
Wer – beispielsweise wegen eines längeren Auslandsaufenthalts – Beitragslücken aufweist, erhält eine entsprechend gekürzte Teilrente. Das gilt auch für Ausländer, die für einige Jahre in der Schweiz arbeiten. 2020 hatten 84 Prozent der schweizerischen, aber nur sieben Prozent der ausländischen AHV-Bezüger eine Vollrente.
2. Wie hoch ist das durchschnittliche Jahreseinkommen? Auch wer regelmässig einzahlt, erhält bei der Pensionierung nicht einfach die Maximalrente. Anspruch auf das Maximum hat nur, wer über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von mindestens 86'040 Franken verfügt – immerhin werden hier auch Erziehungs- und Betreuungsgutschriften berücksichtigt. Von den in der Schweiz lebenden Bezügern bezog nur gut ein Viertel die Maximalrente.
Auf der sogenannten Rentenskala 44 weist das Bundesamt für Sozialversicherungen die jeweilige Vollrentenhöhe aus. Zudem lässt sich die spätere AHV-Rente auch online grob berechnen – und zwar hier.
Kein Geschlechtergraben in der AHV
Was auffällt: Der Geschlechtergraben ist relativ klein. Die rund 930'000 AHV-Bezügerinnen erhielten im Schnitt 1873 Franken, die rund 730'000 AHV-Bezüger im Schnitt 1849 Franken. Den Ausschlag für die höhere Frauenrente gibt ein Verwitwetenzuschlag, den mehr Frauen als Männer erhalten.
Dröselt man die Durchschnittsrenten nach Zivilstand auf, so erhielten ledige Männer 1866 Franken und ledige Frauen 1894 Franken. Grösser ist der Unterschied bei Verheirateten, deren Ehepartner noch nicht pensioniert ist, weshalb das Rentensplitting noch nicht greift: Männer kommen auf 2002, Frauen auf 1520 Franken. Der Grund: Männer haben tendenziell ein höheres Arbeitspensum und höhere Einkommen als Frauen.
So wirkt die «Heiratsstrafe»
Grundsätzlich werden die Altersrenten für Männer und Frauen separat berechnet. Bei Ehepaaren werden sie gesplittet – also geteilt –, sobald beide in Rente sind. Hier kommt noch ein weiterer Faktor ins Spiel: Sie erhalten zusammen höchstens das 1,5-fache der Maximalrente – aktuell also maximal 3585 Franken. Diese Plafonierung wird nicht selten auch als «Heiratsstrafe» bezeichnet.
2020 erhielten 43 Prozent der Bezüger eine solche «Ehepaarrente». Bei den Ehepaaren in der Schweiz waren 88 Prozent der Renten plafoniert – das heisst, ohne diese Limitierung hätten sie eine höhere Rente zugut gehabt. Die durchschnittliche Rente der rund 406'000 Ehepaare lag bei 3394 Franken.
Anteilmässig leisten mehr Männer (54 Prozent) als Frauen (46) AHV-Beiträge. Die Männer berappen gut zwei Drittel der Beiträge. Beim Rentenbezug ist das Verhältnis umgekehrt: Mehr Frauen (53 Prozent) als Männer (47) erhalten eine Altersrente. Geht es um die Summe, erhalten Frauen dank des Verwitwetenzuschlags gar 55 Prozent der ausbezahlten Altersrenten.
Allein die AHV-Rente reicht zum Leben kaum aus. Ergänzungsleistungen (EL) füllen diese Lücke. 2020 war gut jeder achte AHV-Bezüger in der Schweiz auf einen EL-Zustupf angewiesen. Insgesamt flossen rund 3,2 Milliarden Franken an 220'000 Betroffene, wovon zwei Drittel Frauen.
Babyboomer als Herausforderung
Das AHV-System ist im Grunde genial einfach. Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Selbständige und Nichterwerbstätige zahlen regelmässig in die AHV-Kasse ein – letztes Jahr 34,1 Milliarden Franken. Hinzu kommen Zuschüsse der öffentlichen Hand – beispielsweise ein Zustupf aus der Bundeskasse, ein Mehrwertsteuerprozent oder eine Spielbankenabgabe.
Letztes Jahr betrugen diese Einnahmen – man spricht auch von Umlageergebnis – rund 46,6 Milliarden Franken. Zählt man die Kapitalerträge aus dem AHV-Ausgleichsfonds hinzu, beläuft sich das sogenannte Betriebsergebnis sogar auf rund 48 Milliarden Franken.
Dem stehen Ausgaben von knapp 46 Milliarden Franken gegenüber. Letztes Jahr machte die AHV-Kasse knapp zwei Milliarden Franken vorwärts – und hatte 47,2 Milliarden auf der hohen Kante. Also gut eine Jahresausgabe.
Bloss, die Ausgaben werden in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Weil nun die Babyboomer in Pension gehen und die Seniorinnen und Senioren dank der höheren Lebenserwartung länger Rente beziehen. Alleine zwischen 2010 und 2020 stieg die Zahl der AHV-Bezüger um 23 Prozent.
Diese Entwicklung bringt die AHV-Kasse mittelfristig in Schieflage. Der Bund rechnet mit Ausgaben von mehr als 59 Milliarden Franken im Jahr 2030. Ohne Gegensteuer beläuft sich das Defizit dannzumal auf 3,7 Milliarden Franken. Das entspricht gut einem Lohnprozent.
Länger arbeiten oder mehr einzahlen
Für die Lösung gibt es drei Hebel:
1. Renten kürzen, was kaum jemand will.
2. Rentenalter erhöhen, also länger arbeiten.
3. Mehr einzahlen, wobei die Möglichkeiten vielfältig sind – von Lohnbeiträgen über die Mehrwertsteuer bis hin zu Nationalbank-Gewinnen.
Und hier tun sich in der Politik tiefe Gräben auf. Das bürgerliche Lager legt den Fokus auf eine Erhöhung des Rentenalters – zuerst für die Frauen mit der aktuellen AHV-Reform und später für alle. Die Linke hingegen will die AHV mit einer 13. AHV-Rente sogar ausbauen und die Ausgaben mit Mehreinnahmen finanzieren. Das bringt viel Zunder in die laufende AHV-Reform.
840'000 Personen beziehen Pensionskassen-Rente
Mit der AHV allein lässt sich kaum leben. Umso wichtiger ist die zweite Säule, die berufliche Vorsorge (BVG). Allerdings sind nicht alle Arbeitnehmenden in einer Pensionskasse versichert, denn dafür gilt es zuerst eine Einkommenshürde zu meistern: Man braucht einen Jahreslohn von mindestens 21'510 Franken bei einem Arbeitgeber, um überhaupt in die Pensionskasse einzuzahlen.
Von rund 5,1 Millionen Erwerbstätigen waren Ende 2020 nur 4,4 Millionen in einer Vorsorgeeinrichtung versichert. Der Anteil der Männer ist dabei deutlich höher: 2019 betrug das Verhältnis der Geschlechter 57 zu 43 Prozent. Das Nachsehen haben vor allem Teilzeitarbeitende im Tieflohnbereich – mehrheitlich Frauen.
Im Vergleich zur AHV beziehen viel weniger Menschen eine BVG-Rente: Rund 840'000 Personen waren es letztes Jahr. 2020 wurden 24,5 Milliarden Franken an Altersrenten ausbezahlt. Die Durchschnittsleistung betrug rund 29'000 Franken jährlich – 2400 Franken monatlich. Die Renten könnten auch höher anfallen, doch teilweise lassen sich die Senioren das angesparte Kapital ganz oder teilweise auf einen Schlag auszahlen.
Im Gegensatz zur AHV fliessen keine öffentlichen Beiträge in die berufliche Vorsorge. Arbeitnehmer und Arbeitgeber leisteten vergangenes Jahr Beiträge und Einlagen im Umfang von 66,5 Milliarden Franken. Der mittlere Beitragssatz liegt bei 18,5 Prozent – von 100 Franken Lohn fliessen also 18.50 in die berufliche Vorsorge.
Über 1000 Milliarden Franken
Hinzu kommen Kapitalerträge durch die von den Pensionskassen getätigten Anlagen in Aktien oder Immobilien. Ende 2020 summierte sich die Bilanzsumme der über 1400 Vorsorgeeinrichtungen gemäss Pensionskassenstatistik auf 1064 Milliarden Franken! Fast 60 Milliarden Franken mehr als im Vorjahr. Damit geht es den meisten Vorsorgeeinrichtungen relativ gut: Im Schnitt betrug der Deckungsgrad 113,5 Prozent.
Dass sich in den Pensionskassen im Gegensatz zur AHV so viel Kapital auftürmt, hat mit dem sogenannten Kapitaldeckungsverfahren zu tun. Während in der AHV die Einnahmen gleich wieder für die laufenden Renten ausgegeben werden, spart man sich im BVG selber ein individuelles Altersguthaben an. Alle Beiträge, die man im Laufe seines Lebens einzahlt, werden einer Art Sparkonto gutgeschrieben.
Die Rentenhöhe hängt vom angesparten Altersguthaben und vom Umwandlungssatz ab. Obligatorisch versichert sind die Löhne zwischen 21'510 und 86'040 Franken. Für dieses BVG-Obligatorium beträgt der sogenannte Umwandlungssatz 6,8 Prozent. Das heisst: Auf 100'000 Franken Guthaben bekommt man eine jährliche Rente von 6800 Franken. Wer also 350'00 Franken angespart hat, bekommt eine Jahresrente von 23'800 Franken.
Die meisten sind aber im Überobligatorium versichert. Das ist etwa der Fall, wenn man mehr als 86'040 Franken verdient. Oder wenn man selbst und der Arbeitgeber höhere Beiträge als vorgeschrieben zahlt. Oder wenn die Guthaben stärker verzinst werden als vorgeschrieben. Dann ist der Umwandlungssatz in der Regel deutlich tiefer als 6,8 Prozent. Gemäss VZ Vermögenszentrum sank der durchschnittliche Umwandlungssatz für 65-jährige Männer von 2010 bis 2020 von 6,74 auf 5,63 Prozent. Bis 2024 dürfte er auf 5,38 Prozent fallen.
Das ist erlaubt, solange das gesetzliche Minimum eingehalten wird. Dafür führen die Kassen quasi eine doppelte Rechnung: Dabei wird berechnet, wie hoch das Altersguthaben gemäss gesetzlicher Minimalvorgaben ist. Was darüber hinausgeht, unterliegt dem Überobligatorium. Diesen Spielraum können die Kassen in einer Mischrechnung nutzen, um den Umwandlungssatz über den ganzen Betrag gesehen zu senken.
Sinkende BVG-Renten
Wie stark der Spielraum effektiv genutzt wird, zeigt sich in den jährlichen Vorsorgeausweisen. Auf diesen wird die künftige Rente prognostiziert – und da dürfte sich in den letzten Jahren mancher die Augen gerieben haben.
Die CS-Pensionskassenstudie von 2019 zeigt das drastische Ausmass: 2010 betrug die Altersrente aus AHV und BVG etwa 57 Prozent des letzten Lohnes. 2025 werden es noch 46 Prozent sein. Das ist ein Minus von gut einem Fünftel!
Ein weiteres Problem: das Rentengefälle zwischen den Geschlechtern. Gemäss der neusten Sozialversicherungsstatistik betrug die durchschnittliche BVG-Altersrente bei den Männern 35'560 Franken, bei den Frauen hingegen nur 18'605 Franken pro Jahr.
Dies, weil Frauen ihre Erwerbstätigkeit häufiger unterbrechen und mehr Teilzeit arbeiten – oft aus familiären Gründen. Auch der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern trägt zu den grossen Differenzen bei.
Diese grosse Lücke in der zweiten Säule wirkt sich auch auf die Rentensituation der Frauen insgesamt aus: Der «Gender Pension Gap» über alle Rentenleistungen (AGV, BVG, dritte Säule) gesehen ist riesig. «Im Durchschnitt sind die Renten der Frauen, die zwischen 2002 und 2012 pensioniert wurden, 37 Prozent oder fast 20'000 Franken tiefer als die Renten der Männer», so der Bund.
Sozialpartner-Kompromiss zerzaust
Und hier kommt die Politik ins Spiel. Mit der anstehenden BVG-Reform müssten gleich verschiedene Probleme gelöst oder zumindest gemindert werden. Ein tieferer Umwandlungssatz von 6 Prozent soll der höheren Lebenserwartung Rechnung tragen. Ohne Ausgleichsmassnahmen droht damit vielen ein massiver Rentenverlust. Ebenso muss die Problematik von Wenigverdienenden und Teilzeitbeschäftigten angegangen werden.
Eine pfannenfertige Lösung liegt mit einem von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelten Sozialpartner-Kompromiss zwar auf dem Tisch, doch dieser wurde von der bürgerlichen Mehrheit in der nationalrätlichen Sozialkommission zerzaust. Im Parlament ist eine hitzige Debatte programmiert.
135 Milliarden in dritter Säule
Der Bevölkerung steht ein weiteres Vorsorgeinstrument offen: die dritte Säule. Hier spart man privat fürs Alter. Und das tun Herr und Frau Schweizer relativ fleissig: 135 Milliarden Franken waren 2020 bei Banken und Versicherungen auf 3a-Konten angelegt – fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Der Grund: Mit der privaten Vorsorge lassen sich Steuern sparen. So können Arbeitnehmende jährlich bis zu 6883 Franken einzahlen und vom steuerbaren Einkommen abziehen, bei Selbständigen sind es gar bis zu 34'416 Franken.
Leisten kann sich diesen Luxus allerdings nur eine Minderheit. Gemäss Bund haben 2017 insgesamt 32,2 Prozent der Steuerpflichtigen einen Abzug für die Säule 3a vorgenommen. Aber nur 10,8 Prozent haben den zulässigen Maximalbetrag einbezahlt.
Auch die dritte Säule wird in der BVG-Reform zum Spielball der Politik: Die nationalrätliche Sozialkommission will die Maximalbeträge für Arbeitnehmende auf 10'324 und für Selbständige auf 37'857 Franken erhöhen. Was Steuerausfälle von 500 Millionen Franken jährlich zur Folge hätte.
Früher in Rente
Das Drei-Säulen-Prinzip hat sich in der Schweiz bewährt, auch wenn aufgrund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung immer wieder mal nachgebessert werden muss. Was am Schluss im Portemonnaie bleibt, hat nicht nur Einfluss auf den künftigen Lebensstandard, sondern auch auf das Pensionsalter.
Ein guter Teil der Rentenbezüger möchte nämlich nicht bis zum ordentlichen Pensionsalter von derzeit 65 für Männer und 64 für Frauen warten. Der Wunsch nach einer Frühpensionierung ist gross, wie das neuste Raiffeisen-Vorsorgebarometer zeigt: 17,6 Prozent der Männer möchten vorzeitig in den Ruhestand, 9,7 Prozent der Frauen.
Die Realität sieht anders aus, weil auch jene mitzählen, die wegen Invalidität oder aus gesundheitlichen Gründen zur Frühpensionierung gezwungen sind: 2018 bis 2020 belief sich die Frühpensionierungsquote ein Jahr vor dem ordentlichen Rentenalter bei den Männern auf 39 Prozent und bei den Frauen auf 30,4 Prozent.
In gut bezahlten Branchen ist die Quote besonders hoch: Bei den Banken und Versicherungen nahmen 58 Prozent frühzeitig den Hut!