Die Mitte-Partei hat am Samstag an ihrer Delegiertenversammlung beschlossen, die Parteispitze solle zwei Volksinitiativen ausarbeiten, um Nachteile für Ehepaare auszumerzen. Ganz so weit gehen wie angekündigt, wird die Mitte bei der Abschaffung der Heiratsstrafe bei den Steuern und der AHV laut Blick-Recherchen allenfalls aber doch nicht.
Die Aufhebung der Nachteile für verheiratete Paare und eingetragene Partnerschaften nimmt die aus der CVP und der BDP hervorgegangene Mitte-Partei ein altes Anliegen der Christdemokraten auf. Die CVP war Ende Februar 2016 mit einer Abstimmung, die die Gleichbehandlung verheirateter und unverheirateter Paare verlangte, an der Urne knapp gescheitert.
Volksentscheid gekippt
Als dann im Sommer 2018 klar wurde, dass der Bundesrat im Abstimmungskampf mit falschen Zahlen jongliert hatte, klagte die CVP. Schliesslich hatte die Heiratsstrafe statt 80'000 rund 454'000 Doppelverdiener-Ehepaare betroffen. Und tatsächlich kippte das Bundesgericht in einem historischen Entscheid im Frühling 2019 die Abstimmung. Nie zuvor war auf Bundesebene eine Volksabstimmung für ungültig erklärt worden.
Im Abstimmungskampf hatte sich aber gezeigt, dass viele Bürgerinnen und Bürger, die dem Anliegen der CVP ansich positiv gegenüber standen, sich an der althergebrachten Ehedefinition im Initiativtext störten: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau», hiess es da. Die Ehe bloss heterosexuellen Paaren offenzuhalten, galt als rückständig.
Einheit der Materie
Ein weiterer Kritikpunkt war gewesen, dass die CVP-Initiative die Einheit der Materie nur knapp erfülle. Also das Gebot nur ebenso einhalte, dass in einer Initiative nicht zwei Sachen miteinander verknüpft werden dürfen, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben. Die Partei hatte aber die Gleichstellung von verheirateten Paaren mit unverheirateten bei den Steuern und den Sozialversicherungen verlangt.
In der Folge verzichtete die CVP darauf, die Abstimmung noch einmal gleichlautend an die Urne zu bringen.
Initiativ-Paar
Nun nimmt die Mitte-Partei das Anliegen also noch einmal auf. Jetzt soll auf die aus der Zeit gefallene Definition der Ehe als langfristiger Bund von Mann und Frau verzichtet werden. Und um sich von Anfang an der Diskussion zu entziehen, ob das Vorhaben die Einheit der Materie ritze oder nicht, fährt die Mitte-Partei doppelgleisig: Sie sammelt somit für eine Doppelinitiative – oder ein eigentliches Initiativ-Paar. Es soll also eine Initiative zur steuerlichen Gleichbehandlung und eine zur Gleichbehandlung bei den Sozialversicherungen, namentlich bei der AHV, geben. Denn während unverheiratete Rentnerpaare 2 ganze AHV-Renten erhalten, bekommen verheiratete Rentnerpaare bekanntlich nur 1,5 Renten ausbezahlt bei der AHV.
Der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth (53) brachte während der Delegiertenversammlung in die Diskussion um die Initiativen ein, man solle beim Splitting allenfalls berücksichtigen, dass eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft auch Vorteile bei der Absicherung bringt. Deshalb könne man sich auch einen Splittingfaktor von 1,8 überlegen.
Recherchen zeigen nun, solche Überlegungen gibt es auch bei der AHV-Initiative. Auch hier sollen verheiratete Rentnerpaare allenfalls statt zwei vollen Renten «nur» 1,8 Renten bekommen. Die Mitte-Partei prüft, ob ein Faktor von 1,7 oder 1,8 in die Übergangsbestimmungen zu den Initiativen geschrieben werden soll.
Individualbesteuerung
Schon am 7. Februar 2021, also symbolträchtig 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts, haben die FDP-Frauen bereits eine Volksinitiative zur steuerlichen Gleichbehandlung lanciert: Diese verlangt eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung. Also, dass jeder gleich besteuert wird, ob verheiratet oder nicht.
Dass die Mitte derart lange zuwartete mit ihren beiden Initiativen hatte sicher auch mit den Schwierigkeiten zu tun, die die Corona-Pandemie fürs Unterschriftensammeln mit sich brachte. Ein weiterer Grund sind aber wohl auch die Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023. Denn Initiativprojekte bringen Sichtbarkeit mit sich: Wenn die Mitte-Anhänger auf der Strasse Unterschriften sammeln, Politiker auf Podien dazu auftreten und die Medien darüber berichten, bringt das Aufmerksamkeit für die Initiativpartei – und allenfalls auch ein paar Prozentpunkte mehr Wähleranteil. Deshalb hat es die Mitte-Partei mit der Lancierung des Initiativ-Paars nicht eilig.
Zwar dürfte das Vorpreschen der FDP-Frauen die Mitte-Partei etwas in Zugzwang gebracht haben, mit ihren Vorhaben vorwärts zu machen. Und darum brachte die Mitte das Anliegen jetzt wohl an die Delegiertenversammlung. Mit dem Sammelstart, ab dem die Mitte-Partei dann anderthalb Jahre Zeit hat, um die notwendigen 100'000 Unterschriften zusammenzubringen, wollen Parteichef Gerhard Pfister (58) und seine Leute aber noch zuwarten.
Ideal wäre die Lancierung 2022
Zwar brauchen die Ausarbeitung und Prüfung der beiden Initiativtexte noch etwas Zeit. Doch ideal ist für die Mitte-Partei die Lancierung der Doppelinitiative ohnehin erst kommenden Frühling, so dass man bis zum Wahltermin bestmöglichst von der öffentlichen Aufmerksamkeit für die beiden Initiativen profitieren kann.
Herr Pfister, die Spitze der Mitte-Partei hat sich von den Delegierten grünes Licht geben lassen für die Ausarbeitung von gleich zwei Initiativen. Warum kommen Sie erst jetzt mit dem Vorhaben?
Gerhard Pfister: Die Mitte kämpft seit langem für die Abschaffung der Heiratsstrafe. Bereits 1984 hat das Bundesgericht entschieden, dass die steuerliche Diskriminierung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren verfassungswidrig ist. Nach der knappen Ablehnung der CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» hat das Bundesgericht 2019 die Abstimmungsbeschwerde der CVP gutgeheissen und die Abstimmung zur Heiratsstrafe-Initiative annulliert. Daraufhin verweigerte das Parlament aus ideologischen und wahlkampftaktischen Gründen einen Kompromiss. Das brauchte seine Zeit. Und jetzt drängen unsere beiden Initiativen, da die Heiratsstrafe bei den Steuern und in der AHV noch immer besteht.
Aber die FDP-Frauen haben doch schon eine Initiative für eine Individualbesteuerung lanciert, die die Ungerechtigkeit abschafft, die der Zivilstand mit sich bringen kann. Warum braucht es Ihre Steuer-Initiative noch?
Die Individualbesteuerung ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Sie stellt das heutige Steuersystem auf den Kopf und würde neue Diskriminierungen schaffen. Zudem würde sie Steuerpflichtigen und Kantonen eine riesige Bürokratie aufbürden. Diese Art der Besteuerung lehnt die Mitte klar ab. Es braucht ein System, das funktioniert und auch für die Vereinbarung von Beruf und Familie für Frauen und Männer Vorteile bringt. Wir setzen uns deshalb für eine Gemeinschaftsbesteuerung mit dem Splittingmodell ein: Alles zusammenrechnen und durch zwei teilen ist am gerechtesten. Ein solches Modell wird in der Mehrheit der Kantone schon heute angewendet. Kein Kanton hat die Individualbesteuerung gewählt.
Sie wollen also ein Splitting bei den Steuern. Wollen Sie auch, dass bei der AHV-Rente verheiratete Paare zwei volle Renten erhalten?
Die Diskriminierung von Ehepaaren und Paaren in eingetragener Partnerschaft gegenüber Nichtverheirateten in der AHV ist stossend. Während Unverheiratete eine doppelte AHV-Rente erhalten, gibt es für Ehepaare und Paare in eingetragener Partnerschaft nur höchstens 150 Prozent der Maximalrente. Gleichzeitig zahlen verheiratete Paare jährlich eine Milliarde zu viel Steuern. In der aktuellen AHV-Stabilisierungsvorlage haben wir uns dafür eingesetzt, die AHV-Rente für Verheiratete auf 155 Prozent zu erhöhen. Leider hat sich das Parlament gegen diese kleine Verbesserung ausgesprochen. Der Initiativtext wird jetzt erarbeitet. Ich kann nichts vorwegnehmen.
Bei der AHV steht es finanziell ja nicht zum Besten. Ist es da nicht gefährlich, noch mit der Abschaffung der Heiratsstrafe zu kommen?
Die AHV ist unser wichtigstes Sozialwerk. Deshalb ist es notwendig, mit der Stabilisierungsvorlage einen ersten Schritt für die Stärkung der AHV zu machen. Eine schrittweise Angleichung des Referenzalters für Frauen auf 65 halten wir für nötig. Dies muss mit Ausgleichsmassnahmen sozial abgefedert werden. Nur so wird die Vorlage auch mehrheitsfähig. Und wenn wir in einem nächsten Schritt mit der Abschaffung der Heiratsstrafe eine stossende Ungerechtigkeit beseitigen können, dann erhöht das die Akzeptanz zusätzlich und stärkt die AHV für die Zukunft. Aber zuerst müssen wir jetzt die Initiative lancieren und die nötigen Unterschriften sammeln.
Können wir uns Ihre Paar-Initiativen angesichts der Probleme bei der AHV und wegen der hohen Corona-Schulden unseres Staats überhaupt leisten?
Man wird einen Weg finden. Eine seit so langer Zeit bestehende Ungerechtigkeit darf nicht länger akzeptiert werden. Die AHV-Sanierung wird uns weiter beschäftigen, die aktuelle Reform soll ja lediglich die Finanzierung bis 2030 sichern.
Heute wissen wir: Es sind nicht bloss 80'000 Doppelverdiener-Ehepaare von der Heiratsstrafe betroffen, sondern über 450'000. Es sind aber einfach die Besserverdiener, für die Sie hier Politik machen, nicht?
Nein, denn es sind alle verheiratete Paare von der Heiratsstrafe betroffen und es profitieren alle verheirateten und eingetragenen Paare davon, wenn diese abgeschafft wird.
Schon zu CVP-Zeiten hat man vernommen, dass man sich von der rückständigen Ehedefinition verabschieden möchte. Wie genau wollen Sie das tun – oder denken Sie, dass sich dieses Problem mit der Annahme der «Ehe für alle» im September erledigen wird?
Ja, ich gehe davon aus, dass die «Ehe für alle» im September vom Stimmvolk angenommen wird. Auch unsere Konferenz der kantonalen Parteipräsidentinnen und Parteipräsidenten befürworten ja die «Ehe für alle» klar.
Einen Vorteil haben Ehepaare gegenüber unverheirateten Paaren ja weiterhin: die Witwenrenten. Ihre Initiativen befördern die Abschaffung der Witwenrenten aber sehr.
Hat die Witwenrete sich denn überlebt? Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz für die Diskriminierung der Witwer gegenüber den Witwen gerügt. Ob die Witwenrenten abgeschafft oder ob das System geändert und ausgeglichen wird, wird die politische Diskussion zeigen. Interview: Pascal Tischhauser
Herr Pfister, die Spitze der Mitte-Partei hat sich von den Delegierten grünes Licht geben lassen für die Ausarbeitung von gleich zwei Initiativen. Warum kommen Sie erst jetzt mit dem Vorhaben?
Gerhard Pfister: Die Mitte kämpft seit langem für die Abschaffung der Heiratsstrafe. Bereits 1984 hat das Bundesgericht entschieden, dass die steuerliche Diskriminierung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren verfassungswidrig ist. Nach der knappen Ablehnung der CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» hat das Bundesgericht 2019 die Abstimmungsbeschwerde der CVP gutgeheissen und die Abstimmung zur Heiratsstrafe-Initiative annulliert. Daraufhin verweigerte das Parlament aus ideologischen und wahlkampftaktischen Gründen einen Kompromiss. Das brauchte seine Zeit. Und jetzt drängen unsere beiden Initiativen, da die Heiratsstrafe bei den Steuern und in der AHV noch immer besteht.
Aber die FDP-Frauen haben doch schon eine Initiative für eine Individualbesteuerung lanciert, die die Ungerechtigkeit abschafft, die der Zivilstand mit sich bringen kann. Warum braucht es Ihre Steuer-Initiative noch?
Die Individualbesteuerung ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Sie stellt das heutige Steuersystem auf den Kopf und würde neue Diskriminierungen schaffen. Zudem würde sie Steuerpflichtigen und Kantonen eine riesige Bürokratie aufbürden. Diese Art der Besteuerung lehnt die Mitte klar ab. Es braucht ein System, das funktioniert und auch für die Vereinbarung von Beruf und Familie für Frauen und Männer Vorteile bringt. Wir setzen uns deshalb für eine Gemeinschaftsbesteuerung mit dem Splittingmodell ein: Alles zusammenrechnen und durch zwei teilen ist am gerechtesten. Ein solches Modell wird in der Mehrheit der Kantone schon heute angewendet. Kein Kanton hat die Individualbesteuerung gewählt.
Sie wollen also ein Splitting bei den Steuern. Wollen Sie auch, dass bei der AHV-Rente verheiratete Paare zwei volle Renten erhalten?
Die Diskriminierung von Ehepaaren und Paaren in eingetragener Partnerschaft gegenüber Nichtverheirateten in der AHV ist stossend. Während Unverheiratete eine doppelte AHV-Rente erhalten, gibt es für Ehepaare und Paare in eingetragener Partnerschaft nur höchstens 150 Prozent der Maximalrente. Gleichzeitig zahlen verheiratete Paare jährlich eine Milliarde zu viel Steuern. In der aktuellen AHV-Stabilisierungsvorlage haben wir uns dafür eingesetzt, die AHV-Rente für Verheiratete auf 155 Prozent zu erhöhen. Leider hat sich das Parlament gegen diese kleine Verbesserung ausgesprochen. Der Initiativtext wird jetzt erarbeitet. Ich kann nichts vorwegnehmen.
Bei der AHV steht es finanziell ja nicht zum Besten. Ist es da nicht gefährlich, noch mit der Abschaffung der Heiratsstrafe zu kommen?
Die AHV ist unser wichtigstes Sozialwerk. Deshalb ist es notwendig, mit der Stabilisierungsvorlage einen ersten Schritt für die Stärkung der AHV zu machen. Eine schrittweise Angleichung des Referenzalters für Frauen auf 65 halten wir für nötig. Dies muss mit Ausgleichsmassnahmen sozial abgefedert werden. Nur so wird die Vorlage auch mehrheitsfähig. Und wenn wir in einem nächsten Schritt mit der Abschaffung der Heiratsstrafe eine stossende Ungerechtigkeit beseitigen können, dann erhöht das die Akzeptanz zusätzlich und stärkt die AHV für die Zukunft. Aber zuerst müssen wir jetzt die Initiative lancieren und die nötigen Unterschriften sammeln.
Können wir uns Ihre Paar-Initiativen angesichts der Probleme bei der AHV und wegen der hohen Corona-Schulden unseres Staats überhaupt leisten?
Man wird einen Weg finden. Eine seit so langer Zeit bestehende Ungerechtigkeit darf nicht länger akzeptiert werden. Die AHV-Sanierung wird uns weiter beschäftigen, die aktuelle Reform soll ja lediglich die Finanzierung bis 2030 sichern.
Heute wissen wir: Es sind nicht bloss 80'000 Doppelverdiener-Ehepaare von der Heiratsstrafe betroffen, sondern über 450'000. Es sind aber einfach die Besserverdiener, für die Sie hier Politik machen, nicht?
Nein, denn es sind alle verheiratete Paare von der Heiratsstrafe betroffen und es profitieren alle verheirateten und eingetragenen Paare davon, wenn diese abgeschafft wird.
Schon zu CVP-Zeiten hat man vernommen, dass man sich von der rückständigen Ehedefinition verabschieden möchte. Wie genau wollen Sie das tun – oder denken Sie, dass sich dieses Problem mit der Annahme der «Ehe für alle» im September erledigen wird?
Ja, ich gehe davon aus, dass die «Ehe für alle» im September vom Stimmvolk angenommen wird. Auch unsere Konferenz der kantonalen Parteipräsidentinnen und Parteipräsidenten befürworten ja die «Ehe für alle» klar.
Einen Vorteil haben Ehepaare gegenüber unverheirateten Paaren ja weiterhin: die Witwenrenten. Ihre Initiativen befördern die Abschaffung der Witwenrenten aber sehr.
Hat die Witwenrete sich denn überlebt? Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz für die Diskriminierung der Witwer gegenüber den Witwen gerügt. Ob die Witwenrenten abgeschafft oder ob das System geändert und ausgeglichen wird, wird die politische Diskussion zeigen. Interview: Pascal Tischhauser