Vom Huscheli zur Feministin
Die Verlockung war zu gross. Blick hatte sich 1971 unzweideutig für das Frauenstimmrecht ins Zeug gelegt und eine starke, progressive Ja-Kampagne geführt. Doch als es so weit war, gewann in der Redaktion wieder das Unterbewusstsein die Oberhand: Auf die Titelseite nach dem Abstimmungserfolg setzte man eine künftige Stimm- und Wahlberechtigte, die sich artig für die Rosen aus Männerhand bedankt, nackt.
Selbst damals konnten viele Leserinnen und Leser den Gedanken nicht folgen, die zu dieser Kombination geführt hatten. Oder nur zu gut: «Blick kann es nicht lassen, bei passender, aber meist unpassender Gelegenheit seine Nackedeis zu präsentieren. Dabei ging es am 7. Februar doch um das Frauenstimmrecht und nicht um ein Nudistenzentrum!», schrieb etwa ein H. Ellenberger aus Schaffhausen. Die Redaktion versuchte, «das kecke Bild» zu erklären. Aber da war Hopfen und Malz verloren.Das Skandal-Cover ist Teil der Geschichte von Blick.
An ihr schreiben neue Generationen weiter, meist mit Stolz und stets, ohne sie zu verleugnen. So inszenierten wir 2021 die Titelseite neu, als 50 Jahre Frauenstimmrecht gefeiert wurden. Mit der wohl bekanntesten Feministin des Landes, mit Kleidern, mit verwelkten Rosen (der Fotograf hatte frische gekauft und im Ofen getrocknet). Tamara Funiciello (34) machte sofort mit. «Dass Blick die Frau heute nicht auf den Körper reduziert, sondern ihr eine Stimme gibt, zeigt, dass sich einiges verändert hat», erklärte die SP-Nationalrätin. Einiges, wie sie betonte, aber noch nicht genug.
Für manche Leserinnen und Leser war auch diese Titelseite eine Frechheit. Diesmal störten sie sich am roten Tuch der Politik. Eine Provokation ganz in der Tradition von Blick. Nur anders.
Jede Stimme zählt
Zusätzlich zum Blick gab es von 1985 bis 1990 auch den Blick für die Frau. Heute ist der Anspruch, dass Blick Männer und Frauen gleichermassen anspricht. Und gleich behandelt. Dazu gehört die von der Ringier-Gruppe 2019 lancierte Initiative EqualVoice. Ihr Ziel: Frauen sichtbarer zu machen. Statt Quoten zu fordern, treibt Ringier die Gleichstellung mit publizistischer und technologischer Kraft voran.
Der eigens entwickelte EqualVoice-Factor misst die Sichtbarkeit von Frauen und Männern in Text und Bild. Die erste Messung Ende 2019 zeigte: Frauen sind stark untervertreten. Das ist inzwischen besser geworden, muss noch viel besser werden. Wir arbeiten dran.
EqualVoice hat sich zu einem Standard für mehr Diversität entwickelt. Heute nutzen 32 Medientitel in sieben Ländern den EqualVoice-Factor. Und mit EqualVoice United geht die Initiative über die Branche hinaus: Mit Diversity-Partner Edge und zwanzig führenden Schweizer Unternehmen setzt sich das Netzwerk für die Förderung der Gleichstellung in der Schweizer Wirtschaft ein.
Dürfen wir Sie Lilian nennen?
«Stich ins Herz!» So kommentierte Blick am 8. Dezember 1983 die Nichtwahl von SP-Bundesratskandidatin Lilian Uchtenhagen (1928–2016). Statt der Zürcher Frau wählte das Parlament den Solothurner Mann Otto Stich (1927–2012).
Vor dem Wahldebakel zeigte eine Blick-Umfrage: 64 Prozent wollten die Zürcherin in der Regierung. «Das Volk wollte Lilian, aber die Herren in Bern wählten einen Mann», titelte der Blick. Und nannte die Sache beim Namen – auch wenn die Zeitung Uchtenhagen, anders als ihre Konkurrenten, konsequent beim Vornamen nannte. «Darf man Frau Uchtenhagen Lilian nennen?», fragte eine besorgte Leserin. Blick hakte direkt bei der Bundesratskandidatin nach. «Wer nahe am Volk politisieren will, darf sich das durchaus gefallen lassen», antwortete sie.
Blutte waren einst ein Trumpf
Weniger ist mehr. Das Wesen einer knackigen Schlagzeile wandte Blick lange auch auf die Kleiderordnung von Frauen an. Seite-3-Girl, Blick-Girl, Star des Tages – mal stilvoll inszeniert, mal plump präsentiert. Lange ein Markenzeichen. Sogar Jasskarten gabs oben ohne. Seit 2017 macht es Blick ganz ohne. Ohne Erotikrubrik, auch ohne Einnahmen aus Sex-Inseraten. Den ausgezogenen Girls und anzüglichen Sprüchen weint, soweit bekannt, niemand nach.
Sexismus, Sport & Sichtbarkeit
Vor meinem Wechsel zu Ringier 2007 wurde ich vorgewarnt. Eine Blick-Mitarbeiterin sprach mich an und sagte: «Du wagst dich in ein Haifischbecken.» Frauen hätten einen schweren Stand, besonders in der Sportredaktion. Was ich angetroffen habe, hat mich in einem von Männern dominierten Team weder überrascht noch schockiert, weil ich bereits viele Jahre im Sportjournalismus tätig war: eine Art flapsiger Schenkelklopfer-Sexismus. Ob nun männliches Rudelverhalten (ist das diskriminierend?) oder persönliche Einstellung – in den letzten Jahren haben sich Gesprächskultur und Umgangston auf der Blick-Sportredaktion extrem gewandelt.
Vor 65 Jahren sorgte eine Zeitung für Bewegung in der Schweizer Medienlandschaft, ja bewegte die Schweiz. Blick hat damit bis heute nicht aufgehört – weil er selbst immer in Bewegung bleibt.
Dieser Artikel und 64 weitere sind Teil der Jubiläums-Beilage. Ein Geschenk an unsere Leser: Sie steckt am Samstag (19. Oktober) in jedem Blick und am Sonntag (20. Oktober) im SonntagsBlick – und hier gibt es die Beilage als PDF zum Download.
Vor 65 Jahren sorgte eine Zeitung für Bewegung in der Schweizer Medienlandschaft, ja bewegte die Schweiz. Blick hat damit bis heute nicht aufgehört – weil er selbst immer in Bewegung bleibt.
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Und damit auch die Schlagzeilen. Titel, die einst ohne Bedenken gesetzt wurden, traut sich heute keiner mehr vorzuschlagen. «Kein Stängeli für Hockey-Hühner» (2014). «Titten, Töff & Tralala» (2012). Und im Curling gings um «Die schärfste Putzfrau der Welt!» (2012). Erst vor acht Jahren noch musste ich entnervt darüber diskutieren, ob das Wort Busen im Titel angebracht ist oder nicht.
Nach den Gründen für diese dreisten Formulierungen habe ich nie gefragt, da ich die Antwort nicht hören wollte. Sie wäre kaum ehrlich gewesen. Ob aus gesellschaftlichem Druck oder tatsächlicher Einsicht – Hauptsache, der Umschwung wurde eingeleitet. Die sportlichen Leistungen der Frauen werden heute gleichermassen respektiert und entsprechend honoriert. Frauen im Sport sind in der Medienwelt sichtbarer.